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Altes Testament: Völkermord im Namen Gottes?

Gewalt und Krieg sind Teil der biblischen Erzählungen über die Geschichte Israels. Der Theologe Julius Steinberg zeigt Ansätze auf, um solche Stellen besser zu verstehen.

Zu den schwierigsten Themen der Bibel gehören die Berichte, in denen Menschen einander bekämpfen und töten – und das, wie es aussieht, auf Gottes Anordnung hin. Im Alten Testament hat das oft ein großes Ausmaß, weil es nicht um Einzelkämpfe, sondern um den Krieg zwischen ganzen Völkern geht. So liest sich das Buch Josua über weite Strecken wie eine Kriegsberichterstattung. Überhaupt geht es im Alten Testament oft kriegerisch zu. Was uns als heutige Leserinnen und Leser am meisten herausfordert, ist dabei nicht die Darstellung von Gewalt allein, sondern deren Wertung.

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Beim Auszug aus Ägypten haben die Israeliten noch alle Sympathien auf ihrer Seite. Unterdrückung und Zwangsarbeit lassen sie hinter sich und brechen auf in die Freiheit. Der Pharao verfolgt sie mit seinem Heer. Doch Gott beschützt sein Volk auf wunderbare Weise und der mächtige Unterdrücker muss am Ende scheitern. Das ist so, wie es sein sollte.

Hat Gott Israel den Auftrag zum Völkermord gegeben?

Anders stellt sich die Situation beim Einzug in das Land Kanaan dar. Die Israeliten nehmen das ihnen von Gott zugesagte Land ein. Dafür vertreiben und vernichten sie die Volksgruppen, die vorher dort ansässig waren, und zwar, wie die Bibel beschreibt, auf den Befehl Gottes hin. Hat Gott Israel den Auftrag zum Völkermord gegeben? Es sind Stellen wie diese, die den Gott des Alten Testaments als einen Gott der Gewalt erscheinen lassen und die Frage aufwerfen, wie das mit der Botschaft von der Liebe Gottes im Neuen Testament zusammenpasst.

Das Ziel dieses Beitrags ist nicht, die Härte und den Schmerz der im Josuabuch geschilderten Ereignisse wegzuerklären. Das wäre nicht ehrlich und wir würden damit einen Aspekt übergehen, der sich durch die gesamte Bibel zieht, nämlich das Gerichtshandeln Gottes. Stattdessen können wir versuchen, uns in die Situation einzufühlen, – nicht um zu rechtfertigen, sondern um zu verstehen.

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Ein erster wichtiger Schritt ist die historische Wahrnehmung des Textes und unseres Umfelds: In was für einer Kultur, in was für einer Welt leben wir heute? Worin unterscheidet sich diese von den biblischen Zeiten? Die Unterschiede sind größer als man zunächst vermuten könnte. Nicht nur ging es in der Region um das alte Israel herum sehr kriegerisch zu, man ordnete Gewalt auch grundsätzlich anders ein als heute.

Historisch erlebte Israel von der Landnahme an – klassisch datiert auf ca. 1400 v. Chr. – bis zu seinem Untergang im Jahr 586 v. Chr. und dem Neuanfang ab etwa 538 v. Chr. eine ganze Serie von politischen Konflikten. Unter den Volksgruppen an der östlichen Mittelmeerküste bildeten die beiden Teilstaaten Juda und Israel die größten politischen Strukturen. Mit bedauerlicher Regelmäßigkeit kam es mit den kleineren Nachbarn wie Edom, Ammon und Moab zum Krieg.

Mit der Ankunft der Seevölker (Philister) in den Küstengebieten ab ca. 1200 v. Chr. vergrößerte sich der außenpolitische Druck. Man geht davon aus, dass das Königtum in Israel auch entstanden ist, um der Bedrohung durch die Philister Herr zu werden: Die letzten der biblischen Richter und die ersten beiden Könige Israels befassten sich mit ihnen.

Bedroht durch Großreiche

Die größte Herausforderung bildeten aber die Großreiche aus dem Zweistromland im heutigen Irak, besonders die Assyrer und die Babylonier, die mächtige und technisch hoch ausgerüstete Armeen aufstellten, Städte und Länder unterwarfen und Tribute erpressten. Im Lauf der Jahrhunderte wurden die Grenzlinien Judas und Israels immer wieder neu gezogen.

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Angesichts dieser Unbeständigkeit muss es nicht verwundern, dass das Alte Testament Kriege an so vielen Stellen thematisiert. Vielleicht kann man dadurch auch die Psalmbeter ein wenig besser verstehen, die so oft von ihren Feinden sprechen und aus Ohnmacht heraus zu Gott schreien und ihn anflehen, Vergeltung zu üben und Gerechtigkeit herzustellen.

Gewalt als Instrument für das Recht

Die allgegenwärtige politische Unbeständigkeit war eine Ursache dafür, dass man in biblischen Zeiten anders über Gewalt dachte als heute. In unserem Denken steht Gewalt in erster Linie dem Recht gegenüber. Wer Gewalt anwendet, übertritt Gesetze. Wer beispielsweise Vergeltung übt, missachtet den Rechtsstaat und seine Institutionen. In der damaligen Zeit gab es diese Form von Gewalt natürlich auch. Ebenso wichtig war jedoch das Umgekehrte: Gewalt, die sich nicht dem Recht gegenüberstellt, sondern dem Unrecht. Unterdrücker in ihre Schranken weisen, das Unrecht bekämpfen, der Gerechtigkeit zum Sieg verhelfen – das alles geht nicht ohne Macht.

Als heutige Leserinnen und Leser sind wir irritiert, wenn wir feststellen, dass Israels sogenannte Richter in erster Linie charismatische Führungspersonen waren, die Truppen mobilisierten und Kriege führten. Das entspricht nicht unserem heutigen Verständnis vom Amt des Richters. Doch damals konnte nur Recht durchsetzen, wer Macht hatte. Die Richter stellten die politische Ordnung auf militärischem Weg wieder her. Ihre so gewonnene Autorität nutzten sie anschließend, um das Richteramt in unserem heutigen Sinne auszuüben.

Rache entstammt der Rechtsprechung

In dieser Linie sind auch die Rufe der Psalmbeter nach dem „Gott der Rache“ einzuordnen (z.B. Psalm 94,1. Genauer übersetzt ist hier vom „Gott der Rachen“ bzw. „der Rachetaten“, in der Mehrzahl, die Rede. Gemeint ist nicht Rache als eine Eigenschaft oder Grundhaltung Gottes, sondern es geht um einzelne Aktionen Gottes, die erbeten werden). Dem heutigen Verständnis nach ist Rache sehr stark von Emotionen bestimmt. Sie widerspricht dem Rechtsgedanken und ist oft unverhältnismäßig hart.

Im alten Israel – wie übrigens auch im alten Griechenland – war Rache dagegen ein Konzept aus der Rechtsprechung selbst. Bei der Blutrache ging es zum Beispiel darum, die Ermordung eines Menschen, der ja sein Recht nicht mehr selbst vertreten konnte, angemessen zu sühnen. Einige Bibelwissenschaftler empfehlen deshalb, das hebräische Wort nekamah nicht mit „Rache“, sondern mit „Vergeltung“ zu übersetzen, um nicht auf eine falsche Spur zu kommen: Der „Gott der Rache“ ist demnach der Gott, der genügend Macht hat, um Gerechtigkeit durchzusetzen.

Durch Gewalt für Gerechtigkeit sorgen

Mit diesen Überlegungen nähern wir uns den Themen „Krieg“ und „Gewalt“ im Alten Testament ein Stück weit an. Wir können verstehen, warum im Alten Testament so viel von Krieg die Rede ist, und auch, warum Menschen nach Gewalt rufen, nämlich nach der Macht Gottes und der Macht eines Königs, die sich der Unterdrückung entgegenstellen und für Gerechtigkeit sorgen.

Die Eroberung Kanaans durch Israel ist damit allerdings noch nicht genügend erklärt. Denn hier erscheinen die Israeliten nicht als Verteidiger ihrer Freiheitsrechte, sondern im Gegenteil in der Rolle des Aggressors, die ein friedliches Land überfallen. Wie kann man damit umgehen?

Die Eroberung Kanaans – kein historisches Ereignis?

Es gibt eine Reihe von alttestamentlichen Bibelwissenschaftlern, die die historische Zuverlässigkeit der Berichte aus dem Josuabuch grundsätzlich anzweifeln. Ein Völkermord habe in Wirklichkeit niemals stattgefunden, die Israeliten seien nicht als Eroberer ins Land eingefallen, sondern die israelitische Identität habe sich erst nach und nach entwickelt. Im eigenen Erleben seien die Israeliten militärisch immer unterlegen gewesen. Mit der fiktiven Erzählung von der Eroberung habe man wenigstens der Vergangenheit einen heroischen Anstrich geben wollen.

Richtig ist, dass die Existenz Israels im Land Kanaan ab der Zeit der Richter archäologisch belegt ist, die Landeroberung jedoch nicht. Man hat in diesem Zusammenhang immer wieder nach zerstörten Städten gesucht. Allerdings sagt der biblische Text selbst, dass die kanaanitischen Städte bei der Einnahme des Landes mit wenigen Ausnahmen nicht zerstört wurden (vgl. 5. Mose 6,10-11; Josua 24,13). Die biblische Erzählung zum Auszug aus Ägypten und zur Eroberung Kanaans fügt sich gut in unser Bild der damaligen Gegebenheiten ein und kann archäologisch somit als „kulturell authentisch“ bestätigt werden.

Anders als wir es aus heutiger Sicht erwarten würden, werden die Israeliten dafür [die Inkonsequenz im Vernichtungskrieg; Anm. d. Red.] allerdings nicht gelobt […]

Für das Zeugnis der Bibel ist der Auszug aus Ägypten fundamental. Das gilt nicht nur historisch, sondern auch für das Gottesbild: Im Auszug aus Ägypten macht sich Gott den Menschen als Gott der Befreiung bekannt. Die alttestamentliche Gesetzgebung ist vom Geist der Freiheit durchzogen. An vielen Stellen verweisen die Gesetzestexte auf den Auszug aus Ägypten. Ebenso wird die Abgrenzung von den kanaanitischen Völkern, die im Land leben, immer wieder thematisiert. All das ist und bleibt nur schlüssig, solange die Ereignisse von Exodus und Landeroberung auch tatsächlich stattgefunden haben.

Dass die Israeliten den Vernichtungskrieg gegen die kanaanitischen Stadtkönigtümer tatsächlich nicht konsequent geführt haben, wird im Buch der Richter thematisiert. Anders als wir es aus heutiger Sicht erwarten würden, werden die Israeliten dafür allerdings nicht gelobt, im Gegenteil: Das Abweichen von Gottes Auftrag gilt als Sünde und aus dem Ungehorsam ergeben sich neue Gefahren. Die im Land verbliebenen Kanaaniter werden zur ständigen Versuchung für die Israeliten. Unabhängig davon, wie man die historische Frage sieht: In jedem Fall bleibt die Bewertung der Ereignisse die eigentliche Herausforderung, mit der wir als heutige Bibelleser umgehen müssen.

Zeiten der Gnade, Zeiten des Gerichts

Wie ordnet die Bibel selbst den Krieg Israels gegen die Kanaaniter ein? Nach dem biblischen Selbstverständnis liegt die Ursache für diese Art von Ereignissen im Zorn Gottes über menschliche Sündhaftigkeit begründet. Gott gesteht Menschen und Völkern Zeiten zu, in denen sie nach ihrem Willen Gutes oder Böses tun können. Doch es kann und darf nicht sein, dass das Unrecht auf Dauer geschieht und niemand für die Benachteiligten eintritt. Daher macht Gott dem bösen Tun ein Ende, wenn die Zeit dafür gekommen ist. Obwohl das Töten von Menschen in der Bibel grundsätzlich verurteilt wird, wirkt Gott auch in Form von Kriegen, um Gericht auszuüben. So werden zum Beispiel die Babylonier, indem sie Jerusalem erobern, zu Gottes Werkzeug des Gerichts über Israel.

In derselben Linie wird auch die Vertreibung der Kanaaniter durch Israel gedeutet. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang 1. Mose 15,16. Hier teilt Gott Abraham mit, dass er das Land noch nicht in Besitz nehmen kann: „Erst wenn die Sünde der Amoriter das Maß voll gemacht haben wird, werden deine Nachkommen nach vier Generationen hierher zurückkehren.“ Noch ist also die Zeit, die Gott den Amoritern, den früheren Einwohnern Kanaans, einräumt, noch besteht die Möglichkeit zur Umkehr – so kann man folgern –, aber es wird der Zeitpunkt eintreten, an dem Gott den Schlussstrich unter das sich anhäufende Unrecht setzen wird.

Und doch bleiben noch viele Fragen offen: Sind denn alle Kriege in der Bibel gerechtfertigt? Ist nicht der Missbrauch von Macht vorprogrammiert, wenn jemand von sich behauptet, er übe Gericht im Namen Gottes aus?

Julius Steinberg hat Theologie in Gießen und in Leuven studiert und war Prediger einer Landeskirchlichen Gemeinschaft. Seit 2007 ist er Professor für Altes Testament an der Theologischen Hochschule Ewersbach.


Der Beitrag ist entnommen aus „Neues Leben. Die Israel-Bibel“, die im Frühjahr dieses Jahres bei SCM R.Brockhaus erscheint. SCM R. Brockhaus ist Teil der SCM Verlagsgruppe, zu der auch Jesus.de gehört.

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3 Kommentare

  1. Die Bibel ist nicht vom Himmel gefallen

    Ich sehe dies alles einfacher. Gottes Wort ist immer Gottes Wort mit Menschenwort. Das Alte Testament fiel genauso wie das Neue Testament nicht vom Himmel – es wurde von Menschen überliefert, aufgeschrieben und einige dieser Texte (nicht alle) haben Menschen entschieden, sie in unsere Bibel aufzunehmen. Menschen haben Gotteserfahrung erlebt und sie weitergegeben. Biblische Texte sind oft wie Predigten. Niemand kann auch dem besten Prediger nicht abverlangen, der vermische niemals eigene Weltsicht mit Gottes Wort. Denn völlig zu vermeiden ist dies nicht. Hinzu kommt: Würden wir heute eine Bibel mit Glaubenserfahrungen der Jetztzeit schreiben, könnten wir die vielen Kriege nicht unerwähnt lassen und sicherlich nicht jenen verbrecherischen Feldzug von Russland gegen die Ukraine. Wer könnte uns daher verübeln hierzu auch in dieser Neu-Bibel zu vermerken: Es sei unsere westliche Aufgabe dabei mitzuwirken, dass das Unrecht nicht siegt und die hier Angegriffenen ihre Freiheit und Heimat behalten. Insofern hat die alttestamentliche Bibel auch einen Realitätssinn. Also wie sollte man die Bibel auslegen? Dazu gibt es seit der Reformation eindeutiges: Das Alte Testament wird an Person und Werk von Jesus ausgelegt. Ich denke, es ist daher auch von Gott gewollt, dass wir die Bibel auslegen, es sei denn er habe nicht Luther auch gesandt, damit wir uns mit diesen Fragen beschäftigen. Gott hat aber sicher auch Papst Franziskus geschickt, auch wenn er sich gegenüber den Alten Herren im Vatikan nicht wirklich durchsetzen kann. Gott ist in allen Dingen, in der gesamten Schöpfung, und auch in den Texten des Alten Testamentes immanent. Niemals hätte er uns ein so großes Gehirn zugebilligt, wenn wir es nicht zum Denken gebrauchen möchten. Wenn wir die Widersprüche eines wortwörtlichen Textverständnisses der Heiligen Schrift nicht sehen wollen, werden diese Widersprüchlichkeiten viele Menschen davor abschrecken, vielleicht das Wagnis des Glaubens einzugehen. Glaube ist nicht ein bestimmtes Wissen oder eine bestimmte Lehre in erster Linie, sondern ein ganz großes Vertrauen, sein ganzes Leben unter die Obhut Gottes zu stellen. Alles Wissen über die Gott, die Welt, die Erlösung durch Jesus Christus und das kommende Paradies, haben wir hier nur in irdischem Geschirr vorrätig.

  2. Am Rande zu: „Doch damals konnte nur Recht durchsetzen, wer Macht hatte.“

    Das gilt zeitlos. Auch heute gilt es uneingeschraenkt. Wir haben das in D nach fast 80J Frieden nur fast vergessen (oder verdraengt)?
    Die USA ist unser Hegemon und wir deren Vasall. Spaetestens seit dem Ukraine-Krieg sollte das klarer werdenß

    Zum Thema: Was haltet ihr von dieser These:
    Das Volk Israel (die Juden) sind der Augapfel Gottes. D.h. die Einzelnen (Abraham & Co) wurden von Gott selbst erwaehlt und bildeten das Kollektiv v.a. qua genetischer Zugehoerigkeit (muetterliche Linie). Bei Ungehorsamkeit/Gottlosigkeit? wurden ganze genetische Stammbaeume von Juden ausgeloescht. Wuerde das erwaehlte Volk (jedoch ganz) ausgerottet, waere der Augapfel-Gottes weg. Deshalb MUSS das juedische Kollektiv anders geschuetzt werden (naemlich mit Gewalt) als im Neuen Bund?!

    Die Zugehoerigkeit im Neuen Bund besteht dagegen alleine durch den pers. Glauben des Einzelnen an Jesus Christus.
    Die Gesamtheit der Einzelnen ist die Braut Christi (das Kollektiv). Jedoch nicht als Mitglieder von Denominationen/Clans/durch Verwandtschaft sondern aus Gottes Sicht (der alleine die Herzen der Einzelnen kennt) durch echten Glauben (= die Christus bedingungslos auf ihren Lebensthron lassen). Deshalb ist im Neuen Bund keine Gewalt mehr zum Schutz des Kollektivs noetig?! Deshalb sogar Feindesliebe!
    Das Blut der Maertyrer ist ggfs neuer Same fuer neue Glaeubige?! Gott beruft sich stets neue Nachfolger. Die Braut kann nicht (mehr) aussterben?!

    Also der wesentliche Unterschied (Hebr.Bibel/Neues Testament) ist die Art des Bundes und die Konsequenzen zum Erhalt der Buendnis-Traeger?

    So vielleicht?

    LG Joerg

    • Das Bild der USA als Hegemon und aller Verbündeter als „Vasallen“ wird mittlerweile vorwiegend von Ländern gebraucht, die selber Machtansprüche auf andere Länder erheben, Joerg. Tatsächlich ist es doch wohl so, dass sich die westliche Welt in den vergangenen fünfzig Jahren zunehmend von den USA emanzipiert hat. Vor allem Europa hat eindrücklich bewiesen, dass es, auch gegen die Interessen der USA, zu eigenständigen Entscheidungen fähig ist. Auch die Staaten des ehemaligen Warschauer Paktes hatten weniger den Anschluss an die USA, als den Schutz ihrer Territorien vor einem erstarkenden Russland im Blick. Gerade der Ukrainekrieg bestätigt dies.

      Zu Deiner These:
      Der gesamte alte Bund ist fast genau so sehr von der Gnade Gottes geprägt, wie das Neue Testament. Das Volk Gottes verhielt sich nur allzu oft genauso ungehorsam oder gottlos, wie seine Nachbarn. Demnach hätte es ebenso ausgelöscht werden müssen. Gott selbst hat immer wieder betont, dass er dennoch zu seiner Erwählung steht und, im wörtlichen Sinn, Gnade vor Recht ergehen lassen. Betrachtet man einmal näher, welche Völker vernichtet wurden, so findet man vor allem zwei entscheidende Faktoren: Entweder planten diese selbst die vollkommene Ausrottung Israels im Namen ihrer Götter, oder sie brachten Menschenopfer dar. Gott hat im AT immer betont, dass dies ein Frevel ist, der nicht vergeben wird. Selbst jüdische Könige, die „ihre Söhne durchs Feuer gehen ließen“, wurden in ihrer gesamten Linie ausgelöscht. Geschah dies nicht, so führten ihre Söhne diesen Moloch-Kult auch dann wieder ein, wenn sie im Säuglingsalter als Einzige die Strafaktion überlebten.

      Der Neue Bund unterscheidet sich vor allem darin, dass nun jeder, der sich bewusst dafür entscheidet, Zugang dazu hat. Der Begriff „echter Glaube“ wird manchmal schon arg strapaziert und dient häufig eher dazu, andere aus der Gemeinschaft auszuschließen. Gewaltlosigkeit und Feindesliebe sind wichtige Merkmale der Gemeinde, was aber nicht bedeutet, dass man darüber hinaus jeden Konflikt vermeidet. Unter den ersten Christen waren viele römische Legionäre. Die leisteten ihren zwanzigjährigen Kriegsdienst nach ihrer Bekehrung immer noch bis zu Ende ab und wurden nicht plötzlich zu Pazifisten.

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