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Ein Gebet für Menschen, die das Beten verlernt haben

Achim Beiermann lebt seine Berufung: für die Anliegen zu beten, die ihm zugesandt werden. Gibt es auch Bitten, die zu banal für ihn sind? Wie oft werden seine Gebete erhört?

Von Tim Bergen

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Die Ehe von Tanja steht kurz vor dem Aus: „Bitte bete für uns, dass wir wieder zueinander finden.“ Mit Sorge blickt Thomas auf seine anstehende Operation: „Bitte bete dafür, dass der Eingriff gut verläuft.“ Yasmin leidet, weil sie Unfrieden in der Familie erlebt: „Bitte bete dafür, dass meine Familie es schafft, die Konflikte zu überwinden.“ Lisa hat Angst vor der kommenden Klassenarbeit: „Bete bitte dafür, dass ich eine gute Note in der Klassenarbeit schreibe.“ Finn ist schwer krank: „Bitte bete für meine Heilung und Kraft, die schwere Zeit durchzustehen.“ Linda leidet unter Angststörungen und Panikattacken: „Bitte bete dafür, dass ich einen Weg finde, die ständige Unruhe zu überwinden.“

Ich bin zu Gast bei dem Mann, der für diese Anliegen betet: Achim Beiermann. So ähnlich klingen die Gebetsanliegen, die ihm per Mail zugeschickt werden. Wir haben es uns im Wintergarten seines Hauses im Düsseldorfer Stadtteil Gerresheim gemütlich gemacht – gedanklich bin ich noch bei den Gebetsanliegen, die er mir gerade erzählt hat. Achim hat graue Haare und trägt einen kurzen Vollbart. Er strahlt eine Freundlichkeit und tiefe Zufriedenheit aus, die ihn auf Anhieb sympathisch machen.

Gebet im Bett – Berufung im Traum

Seit fünf Jahren betreibt er einen Gebetsdienst mit eigener Website. Wenn es um die Anliegen geht, wird er ernst und möchte dabei auch nicht zu sehr ins Detail gehen. Jedes davon ist eine eigene, kleine Geschichte. Manche Geschichten beginnen im Krankenhaus, andere in Hörsälen von Universitäten. Mit Blick auf den idyllischen Garten erzählt er mir, warum er den Gebetsdienst 2019 begonnen hat:

„Eines Abends lag ich im Bett und dachte: ‚Mensch, Herr, wenn du noch irgendwas mit mir vorhast, bin ich dazu bereit.‘ Nach etwa einer Woche hatte ich einen Traum. Ich war unterwegs in einer fremden Stadt. Dann stand ich auf einmal vor einer Haustür, klingelte und eine alte Dame machte mir die Tür auf. Sie meinte zu mir: ‚Ach, das finde ich toll, dass sie für meinen kranken Mann beten wollen.‘“

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Dieser Traum hat ihn weiter bewegt – im November 2019 ging seine Gebets-Website an den Start. Seitdem haben ihm über 1000 Menschen ihre Gebetsanliegen anvertraut. Sein Motto lautet: „Ich bete für dich – wenn dir das Beten schwerfällt.“

Darin steckt schon zum Teil die Antwort auf meine Fragen: Warum ihm Menschen per Mail ihre Gebetsanliegen schicken; welche Menschen sich an ihn wenden. Achim erklärt es mir: „Das sind oft Menschen, die Angst haben, nicht die richtigen Worte zu finden. Sie glauben, das Beten verlernt zu haben – sie wissen oft gar nicht, wie einfach Gebet eigentlich sein kann. Manche stecken auch in einer verzweifelten Situation und denken: ‚Vielleicht hilft das Gebet ja doch‘. Es sind auch viele Menschen dabei, die mit der Kirche nichts mehr am Hut haben.“

Die Basilika, ein würdiger Ort

Das ist das richtige Stichwort: Kirche. Achim betet jeden Dienstag für die Anliegen in der katholischen Basilika St. Margareta. Er ist aufgrund der Missbrauchsskandale aus der katholischen Kirche ausgetreten und zur Evangelischen konvertiert. Trotzdem hält er jeden Dienstag für eine Stunde die Kirchenwache in der Basilika.

„Warum betest du dort, könntest du nicht auch zu Hause dafür beten?“, frage ich.

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„Ich möchte nicht, dass irgendjemand das Gefühl bekommt, ich bete zwischen dem Schälen der Kartoffeln und der Zubereitung des Nachtischs. Ich möchte dem ganzen einen würdigen Rahmen geben.“

Ich merke, dass es Achim wichtig ist, sich ganz bewusst Zeit für die Anliegen zu nehmen. Gemeinsam fahren wir zur Basilika. Mit den Rundbögen, Pfeilern und Säulen wirkt sie wie eine kleine Festung aus dem Mittelalter – ein mächtiger Bau. Die großen, roten Steine und der weiße Anstrich lassen das Gebäude dennoch hell und einladend wirken. Der eckige Kirchturm thront auf dem Gebäude. Der Kirchplatz ist belebt, die Menschen grüßen einander.

Wir betreten die Kirche durch eine schwere Holztür. Nur wenige Menschen halten sich in dem großen Kirchensaal auf. Es herrscht eine angenehme Stille – keine Wartezimmer-Atmosphäre. Ehrwürdig und friedlich. Eckige, massive Säulen säumen den großen Kirchensaal. Die Decken sind hoch und gewölbt. Auch im Gebäude befinden sich die roten Bögen an den Wänden. Ein Feuerlöscher und Verbandskasten im Eingangsbereich erinnern die Besucher daran, dass sie sich nicht im Frühmittelalter befinden. Ich stelle mir vor, wie hier ein historischer Film gedreht wird. Der Saal ist in einem eher dunklen Licht gehalten – deshalb wandert mein Blick schnell zum Altar. Die Wand dahinter wird von einem warmen Licht angestrahlt, sodass die Vorhänge und das Kruzifix Gold glänzen – es wirkt wie der Mittelpunkt der Basilika, zu dem der Besucher geführt werden soll. Neben dem Eingang steht ein Ständer, auf dem viele, kleine Kerzen angezündet sind. Eine ältere Frau ist gerade dabei, eine weitere anzuzünden. Direkt davor steht eine einzelne, massive Bank mit der Aufschrift „Basilika-Wache“.

Achim zündet mehrere Kerzen an, fotografiert sie und setzt sich dann in die Bank. Die Fotos schickt er später den bittenden Personen. Auf der Vorderseite der Bank ist eine Leselampe befestigt. Im ersten Moment dachte ich, dass das ein Mikrofon sei. Achim faltet seine Hände und beginnt still mit dem Gebet. Von der Seite sieht es so aus, als würde er das Gebet in ein Mikrofon hineinsprechen – eine lustige Vorstellung.

Ich möchte ihn dabei nicht stören und gehe durch den Saal. Ich habe das Gefühl, dass die Gebetsanliegen bei ihm gut aufgehoben sind. Kurz habe ich überlegt, ihm eines meiner Anliegen mitzuteilen – vielleicht später. Ich genieße die angenehme Stille, die wie ein Tuch über den ganzen Saal liegt. Nach 20 Minuten steht Achim auf und wir verlassen das Kirchengebäude. Es wird wieder sehr hell.

„Ich muss jedes Gebetsanliegen dem Herrn vorlegen – egal, was ich davon halte.“

Basilika St. Margareta

Für das Gebet ist kein Anliegen zu banal

Wir setzen uns auf eine Bank auf dem Kirchenplatz. Von da aus haben wir die Tür der Kirche gut im Blick – seine Wache ist ja noch nicht vorbei. Wir knüpfen an unser Gespräch von vorhin an. Mich interessiert, welche „Erfolgschancen“ die Gebete haben: „Glaubst du, dass deine Gebete erhört werden?“

Achim überlegt kurz, aber ist sich sehr sicher: „Die Quote ist wahrscheinlich wie bei jedem anderen Gebet. Es gibt Erfolge und Misserfolge. Ich schreibe den Leuten auch bewusst, dass Gebete keinen Ponyhof garantieren. Wenn das Gebet nicht erhört wird, kann es dazu dienen, etwas leichter mit einer Lebenssituation umzugehen oder Dinge in einem anderen Licht betrachten zu können. Gott hört unsere Gebete, und da glaube ich ganz fest dran.“

Für ihn gibt es auch keine Anliegen, die zu banal sind. Die meisten Anliegen sind ernst gemeint. Das merkt er daran, dass sie oft sehr ausführlich geschildert werden. Fast immer bekommt er eine Rückmeldung. Mich bewegt, mit welcher Einstellung er an die Bitten herangeht:

„Ich muss jedes Gebetsanliegen dem Herrn vorlegen – egal, was ich davon halte.“ Allerdings verrät er mir, dass es ihm schwerfällt, für einen Sechser im Lotto zu bitten. Plötzlich realisieren wir, dass die Wachablöse an uns vorbeigegangen ist. Die Stunde ist schnell vergangen. Ich frage ihn abschließend, ob es auch Zeiten gibt, in denen er den Gebetsdienst pausiert. Er lacht: „Es gibt keinen Urlaub vom Beten. Wenn ich mit meiner Frau gemeinsam Urlaub mache, suche ich eine Kirche auf, in der ich für die Anliegen beten kann.“

Mein Anliegen habe ich ihm nicht mitgeteilt. Ich kenne jetzt allerdings eine passende Adresse, falls mir einmal das Beten schwerfallen sollte.

Tim Bergen ist Volontär im SCM Bundes-Verlag und zuständig für das Webportal Jesus.de und das Männermagazin MOVO. Die Gebetsanliegen und Namen wurden geändert. Achim Beiermanns Gebetsdienst ist unter der Website www.ichbetefuerdich.de erreichbar. Außerdem befinden sich auf seiner Seite viele Interviews, in denen er mit Menschen über ihren Glauben spricht.


Dieser Artikel ist in der Zeitschrift sela. erschienen. Sela. wird vom SCM Bundes-Verlag herausgegeben, zu dem auch Jesus.de gehört.

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2 COMMENTS

  1. Halte ich für eine tolle Idee. Sehr schön, die Menschen im Internet anzusprechen. Anscheinend kann man übrigens mit seiner Ursprungskirche doch nicht so ganz abschließen…

    • Gebet kann auch ein Existenzieller Akt sein

      Ich bin fest davon überzeugt, dass jeder Gott um alles bitten kann und es an ihm liegt, ob er dann solche „kindlichen“ Bitten, wenn sie denn auch wirklich kindlich sind, ebenso erfüllt. Mein Gebet wurde nie vom Himmel ignoriert, aber nicht immer so erfüllt, weil es vielleicht öfters meinen auch sehr egoistischen Wünschen entsprach. Allerdings lädt uns das Gebet in die Kindschaft Gottes ein. Denn liebende Väter oder Mütter geben ihrem hungeren Nachwuchs auch keinen Stein, sondern sinnvolle und gesunde Nahrung. Das Gebet um Lottogewinn ist keine Siegesstraße des Willens.

      Im Beten liegt meine ganz große Hoffnung, die nahe an Sicherheit grenzt, daß ich bei dem Schöpfer aller Dinge nicht auf dem harten Boden der Tatsachen aufpralle, sondern letztlich von seiner Liebe aufgefangen werde. Sich so auf Gott überhaupt erst einmal einzulassen, packe ich gerne in das sehr schöne und ebenso spannende Bild einer Mutprobe. Wir stehen nacheinander alle oben auf einer großen Kiste zu einer Mutprobe des Vertrauens. Es geht darum, mit verbundenen Augen zu springen und auch fest darauf zu vertrauen dass die da unten uns wirklich auffangen. Mit dem Schöpfer aller Dinge dürfte dies auch so sein, denn manchmal ist auch Glaube wie ein solcher Existenzieller Akt. Wenn ich mich radikal und sehr vertrauensvoll, auch in Fragen von Leben und Tod, in die Arme Gottes werfe und dann auch immer feststelle, daß ich nicht umsonst vertraute.

      Liebe ist daher das sehr große Vertrauen, nämlich weil Gott alles möglich ist und wir alle als Vertrauende und Hoffende nie auf dem harten Boden der Tatsachen aufprallen und in unserem Leben, oder am Ende unserer Erdenzeit, ins Bodenlose fallen: Oder die Welt nicht nur durch Kausalität – also mit Ursache und Wirkung – zu erklären ist. Die Liebe Gottes dreht sogar unsere Kausalität manchmal ins Gegenteil um: Er liebte uns schon, als wir noch nicht an ihn dachten, sogar noch nicht geboren und das Universum noch nicht erschaffen war. Unsere katholischen Mitchristen bringen das in das schöne Sprachbild: Wir sind „Geist aus Gottes Geist“! Seine Wirkung kommt manchmal auch in unserer banalen Realität vor der Ursache.

      Im Gleichnis vom verlorenen Schaf legt Jesus das verirrte Tier liebevoll auf seine Schultern und trägt es heim. Er macht ihm keine Vorhaltungen, es gibt keinerlei Strafe, sondern nur Liebe. Jesus auf Golgatha hat unsere Sünde auf sich genommen. Wir sind wirklich freigesprochen, ohne es jemals verdient zu haben und wir alle dürfen freiwillig hier Gott mit ihm versöhnend unsere Seelen freiwillig übergeben. Denn Liebe braucht die einfache Bereitschaft. So sagte Jesus Christus, dass Menschen die ihn lieben, dann sehr gerne seinen Willen tun. Dies ist aber niemals sehr perfektionistisch gemeint: Also Gott, den Nächsten und sich selbst daher lieben zu dürfen. Bei unseren Mitmenschen ist das weniger schwieriger als empfunden. Es fängt dann nämlich montags an, endet am Sonntag und kann sogar mit einem freundlichen Lächeln starten. Oder dann, wenn ich meine Fehler oder schlechten Angewohnheit auch in anderen Leuten entdecke. Das macht sehr tolerant. Ich lege dann – hoffentlich – meinen Maßstab zuerst an mich selbst an. Daher steht christliche Liebe mit Vorrang vor der Moral und verbessert aber nachhaltig alle ethischen Überzeugungen. Meine Liebe zu Gott gebietet mir, keine Rechtsradikalen zu wählen. Und wer gegen Hass und Hetze ist, kann sie auch als Verteidigungsmittel nicht einsetzen. Im Himmel wird nicht gewollt, daß wir hier auf diesem kleinen unbedeutenden Planeten stets auf einen groben Klotz auch grobe Keile benutzen.

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