Serie: Die Psalmen Teil 1

Ist die Reihenfolge der Psalmen ein Zufall?

Vom Lobpreis bis zum Schrei der Verzweiflung: Die Psalmen sind oft ein Spiegelbild der Seele des Autors. Wurden sie zufällig zusammengestellt oder steckt hinter der Reihenfolge eine Botschaft?

Von Julius Steinberg

Psalmen werden normalerweise einzeln für sich gelesen und ausgelegt. Über die Anordnung der Psalmen im Psalter macht man sich dabei meist keine näheren Gedanken. Auch in der Bibelwissenschaft war dies lange Zeit gang und gäbe, bis man vor etwa 30 Jahren begann, den Gesamtaufbau des Psalters zu erforschen – und dabei Erstaunliches entdeckte.

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Der Psalter – Sammlung oder Buch?

Der Psalter – Sammlung oder Buch? Zunächst einmal wird der Psalter seit alter Zeit in fünf Hauptteile, sogenannte „Bücher“, unterteilt. Im biblischen Text markiert eine viermal wiederkehrende Lobpreisformel die Grenzen zwischen den Hauptteilen, und zwar am Ende der Psalmen 41, 72, 89 und 106. Die fünf Psalmbücher sind:

Buch I – Psalmen 1-41
Buch II – Psalmen 42-72
Buch III – Psalmen 73-89
Buch IV – Psalmen 90-106
Buch V – Psalmen 107-150

Eine besondere Bewandtnis hat es nun mit den rahmenden Psalmen der ersten drei Psalmbücher, und zwar speziell mit drei sogenannten Königspsalmen: Psalm 2 am Anfang des Psalters, Psalm 72 am Ende von Buch II und Psalm 89 am Ende von Buch III. Gott hatte David und seinen Nachkommen ein ewig währendes Königtum versprochen (2. Samuel 7).

Die drei Königspsalmen gehen der Geschichte dieser Verheißung nach: Psalm 2 handelt von der Einsetzung Davids zum König, Psalm 72 von der Übergabe des Königtums an seinen Sohn Salomo und Psalm 89 vom Untergang des Königtums im babylonischen Exil. Am Ende steht die Frage, wie es denn nun um die ewige Verheißung steht: Hat Gott sein Wort gebrochen?

Davids Geschichte – meine Geschichte

Interessanterweise ist jedem der drei Königspsalmen ein Psalm des Einzelnen vorangestellt: Wie in Psalm 72 der alt gewordene David (vgl. 1. Könige 1,1) das Königtum im Vertrauen auf die Verheißung in die Hände seines Sohnes legt, so darf der Beter von Psalm 71 auch im hohen Alter bei Gott Geborgenheit finden. Und wie in Psalm 89 alle Hoffnung auf das Königtum zu schwinden droht, scheint in Psalm 88 das Leben des Einzelnen in völliger Hoffnungslosigkeit zu versinken.

Diese paarweise Zusammenstellung zeigt, wie man den Psalter als Buch studieren kann: Wir sind eingeladen, an den einzelnen Psalmen entlang betend über die Geschichte Gottes mit seinem Volk Israel nachzudenken und das Erkannte jeweils auf unsere eigene Geschichte mit Gott zu übertragen. Auch für Psalm 1 und 2 gilt diese Beobachtung.

Der erste große Block von den Psalmen Davids beginnt mit Psalm 3. Die Psalmen 1 und 2 sind dem als Einleitung vorangestellt. Psalm 1 lädt den Einzelnen an, Gottes Wort zu studieren und den Weg des Glaubens zu gehen. Psalm 2 fordert die Nationen auf, sich der Herrschaft Gottes und seines gesalbten Königs zu beugen. Wieder wird also die Perspektive des Einzelnen mit der des Reiches Gottes kombiniert. Die beiden Psalmen sind auch dadurch zusammengebunden, dass Psalm 1 mit einer Seligpreisung beginnt und Psalm 2 mit einer Seligpreisung endet: Glücklich ist, wer auf Gottes Wort vertraut; glücklich ist, wer auf Gottes Gesalbten, den Messias, vertraut. Könnten wir es heute besser sagen?

Die offenen Fragen von Psalm 88 und 89 werden dann übrigens in Buch IV des Psalters beantwortet.

Julius Steinberg hat Theologie in Gießen und in Leuven studiert und war Prediger einer Landeskirchlichen Gemeinschaft. Seit 2007 ist er Professor für Altes Testament an der Theologischen Hochschule Ewersbach.


Cover 2012_01

Dieser Artikel ist in der Zeitschrift Faszination Bibel erschienen. Faszination Bibel wird vom SCM Bundes-Verlag herausgegeben, zu dem auch Jesus.de gehört.

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