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Mit Jesus per du

Kosenamen lassen das Herz höher schlagen. Diese Herzenssprache verwendete auch Jesus, der damit einen besonderen Zugang zu seinen Nachfolgern fand und noch immer findet.

Von Ulrich Wendel

„Von Ulrich Wendel“ steht über diesem Artikel. Wenn meine Kollegen im Verlag darüber sprechen würden, würden sie „Von Uli“ sagen. Ulrich oder Uli – in meiner Teenagerzeit haben diese beiden Namensformen verschiedene Lebensbereiche markiert. Zuhause und in der Schule war ich „Ulrich“. In der Gemeinde fing man an, mich „Uli“ zu nennen. Diese Kurzform ist zwar kein Kosename, klingt aber irgendwie vertraulicher. Seit dem Studium hat sich „Uli“ durchgesetzt, auch meine Frau nennt mich so.

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Kosenamen und vertrauliche Anreden kommen da vor, wo man eng miteinander umgeht. Auch in der Bibel finden wir Kosenamen. Salomo wird „Jedidija“ genannt, „Liebling Jahwes“. Vielleicht hat Gott selbst ihm diesen Namen verliehen, zumindest der Prophet Nathan nennt ihn so „wegen Jahwe“ (2. Samuel 12,25). Der Name „Jeschurun“ wird als Ehrenname für Israel gedeutet (5. Mose 32,15; 33,5.26). Wer uns mit unserem Kosenamen anspricht (den vielleicht gar nicht viele kennen), der bringt eine Saite zum Schwingen. Der hat ein bisschen von Herz zu Herz gesprochen.

Im Neuen Testament können wir beobachten, dass auch Jesus so eine Herzenssprache sprechen kann. Im Umgang mit zwei Personen wird das deutlich – zufällig sind es die beiden bedeutendsten Apostel der frühen Christenheit, Petrus und Paulus. Doch ihre Bedeutung, ihre Größe spielt gar keine Rolle in den betreffenden Begegnungen mit Jesus. Vielmehr geht es um ihr Herz.

Namens-Transformationen

Schauen wir zunächst auf Paulus. „Paulus“ ist die griechische Namensform. Von Haus aus hieß er „Saul“, oder – näher am Hebräischen: „Schaul“. Der Apostel schwenkte von der hebräischen auf die griechische Namensform um, als er sich während seiner ersten Missionsreise auf Zypern aufhielt (Apostelgeschichte 13,4-13). Wahrscheinlich hatte das missionarische Gründe: In der griechischen Kultur wollte er auf Griechisch ansprechbar sein. Das passierte lange nach seiner Bekehrung, mit der sprichwörtlichen Umkehr „vom Saulus zum Paulus“ hat es nichts zu tun. Die beiden Namensformen des Apostels spiegeln seine doppelte kulturelle Einbettung wider (so wie bei mir „Ulrich“ oder „Uli“ jeweils für unterschiedliche Beziehungsfelder standen).

Im Grundtext des Neuen Testaments kommt der hebräische Name „Schaul“ nicht in Reinform vor, er ist ein wenig „gefiltert“. Denn der neutestamentliche Grundtext ist griechisch und verwendet keine hebräischen Buchstaben. „Schaul“ wird zu „Salos“ transkribiert. Und in unseren deutschen Bibeln und diesem Magazin sind beide Namensformen wiederum transkribiert, nämlich in lateinische Buchstaben.

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Die Umformung von Eigennamen durch die Sprachen und Kulturen hindurch ist meist eine spannende Reise mit vielen Veränderungen. So heißt Mose in der Hebräischen Bibel Mosche (genauer: Moschäh – natürlich nicht in lateinischen Buchstaben). In der griechischen Übersetzung wird daraus Mōysēs, im Lateinischen Moses und im Deutschen Mose. Und bei Paulus haben wir eben die beiden Namen Saûlos und Paûlos.

Bruder Saul

Nur in zwei Momenten ist das anders – und sie bringen uns auf eine berührende Spur. Als Saulus auf dem Weg nach Damaskus ist und von Jesus in einer Vision angesprochen wird, da verwendet Jesus nicht die Namensform Saûlos, die zuvor im biblischen Bericht stand, sondern er ruft ihn mit „Saúl“ an (Apostelgeschichte 9,4). Der griechische Text macht hier einen klaren Unterschied zwischen der Stimme des Autors (Lukas) und der Stimme von Jesus. Lukas schrieb Griechisch, und Jesus sprach – Hebräisch. Das bestätigt Paulus später ausdrücklich: „ich hörte eine Stimme auf Hebräisch“ (Apostelgeschichte 26,14). Jesus sprach ihn also mit „Schaul“ an (und im Griechischen konnte man dafür nur „Saúl“ schreiben). Im Zusammenhang der Apostelgeschichte ist das eine einzigartige Anrede.

Einzigartig? Fast. Eine weitere Ausnahme gibt es. Nach der bestürzenden Christusbegegnung saß Saulus drei Tage lang blind in Damaskus, bis Jesus einen der Jünger vor Ort zu ihm schickte, Hananias (Apostelgeschichte 9,10-18). Der bekam von Jesus den ausdrücklichen Auftrag, er solle „Saûlos von Tarsus“ aufsuchen – griechische Namensform. Als Hananias bei Paulus ins Zimmer trat, redete er ihn jedoch an mit: „Bruder Saúl“, also wohl eigentlich: Bruder Schaul. Dieselbe hebräische Form, die Saulus drei Tage zuvor aus dem Mund von Jesus gehört hat.

Das muss Saulus so eindrücklich und dem Berichterstatter Lukas so wichtig gewesen sein, dass in einer der beiden Wiederholungen des Bekehrungsberichts diese hebräische Bruder-Schaul-Anrede exakt so wiedergegeben wird (Apostelgeschichte 22,13), ebenso wie sich auch die Schaul-Anrede durch Jesus dort wiederfindet (22,7; 26,14).

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Was ist hier passiert? Die Anrede von Hananias schlägt die Brücke zur Anrede von Jesus. Die Jesusbegegnung wird ein Stück weit neu inszeniert. Der (vermutlich geistgewirkte) Impuls von Hananias, Saulus mit „Bruder Schaul“ anzureden, zeigt dem gerade bekehrten Christenverfolger: Jetzt kommt jemand zu dir, der dich genauso kennt und genauso zu dir steht wie Jesus. Salopp könnte man sagen: Jesus lässt grüßen. Und zwar durch diese persönliche Herzensanrede, mit der Jesus Saulus zum Glauben gerufen hat.

Begegnung am See

Einen Brückenschlag zur ersten Jesus-Begegnung: Genau so etwas hat – außer Paulus – auch Petrus erlebt. Gehen wir von Damaskus zum See Genezareth. Nachdem Jesus gestorben und auferstanden ist, sitzen sieben seiner Jünger an diesem See zusammen und gehen fischen, auf den Vorschlag von Petrus hin. Unerkannt bringt Jesus sich ins Spiel – und ermöglicht einen riesigen Fischfang. Dann am Feuer, nach dem Frühstück, beginnt er ein Zwiegespräch mit Petrus und fragt ihn nach seiner Liebe.

Dieser Dialog hat seine eigene Tiefe. Abgesehen davon aber lässt auch bereits die Anrede an Petrus tief blicken. „Simon, Sohn des Johannes“, so nennt Jesus seinen Jünger hier (Johannes 21,15-17). Eine fast förmliche Ansprache, mit Nennung des Vaternamens. So wird Petrus sonst fast nie genannt – bis auf diese eine Begegnung am Anfang: Johannes der Täufer hatte seinen Jünger Andreas mit Jesus bekannt gemacht, und Andreas führte seinen Bruder Petrus zu Jesus. „Jesus sah ihn aufmerksam an und sagte: ‚Du bist Simon, der Sohn des Johannes – doch du wirst Kephas genannt werden‘ (das bedeutet: Petrus)“ (Johannes 1,42). „Sohn des Johannes“ war also die Anrede zu Beginn von Petrus’ Nachfolgegeschichte, und nun, am See Genezareth, bringt Jesus diese Saite wieder zum Klingen. Damit wird Petrus wieder ganz an den Anfang gestellt. Der Zähler wird sozusagen auf Null gesetzt. Neustart für diesen Jünger. Und darin liegt eine große Barmherzigkeit.

Denn eigentlich hört Petrus gerade nicht die sanfte Melodie des zauberhaften Anfangs, sondern ihm klingeln die Ohren. Er wird zunächst nicht an den Startpunkt, sondern an den Tiefpunkt seiner Nachfolge erinnert. Dreimal fragt Jesus, ob Petrus ihn liebt – so wie Petrus seinen Herrn dreimal verleugnet hat. Feigheit und Schuld klingen an. Und sie werden noch deutlicher unterstrichen, denn der Bericht schlägt eine weitere Brücke zum Moment der Verleugnung. Damals brannte ein Kohlenfeuer (Johannes 18,18), und auch jetzt, für das Frühstück am See, hat Jesus eins angezündet (21,9). Dieser Bezug gehört zu den vielen Verflechtungen, die zwischen der Begegnung von Jesus mit seinen sieben Jüngern am See und zahlreichen früheren Ereignissen bestehen. Im Vordergrund steht jetzt für Petrus die Erinnerung an sein Versagen – wachgerufen durch die dreimalige Frage und das Kohlenfeuer. Dieser dunkle Moment wird am See Genezareth re-inszeniert.

Neu anfangen dürfen

Aber neben dieser Anklage schwingt eben noch etwas anderes mit. Jesus belässt es nicht dabei, an Schuld und Fehltritt zu erinnern. Er re-inszeniert zugleich auch die Stunde Null am Anfang, und er tut das durch die charakteristische Anrede „Sohn des Johannes“. Kurz darauf wird er Petrus neu in die Nachfolge rufen (21,19.22), so wie er das anfangs getan hat (1,43). Es darf noch einmal neu losgehen, unbelastet.

Wenn Jesus den Namen von Petrus’ Vater nennt („Sohn des Johannes“), dann liegt darin vielleicht noch eine tiefere Dimension. Damals, am Anfang vor drei Jahren, hatte Petrus noch keine Geschichte mit Jesus. Bis dahin war er nur das, was das Leben aus ihm gemacht hatte. Er war geprägt von seiner Herkunft, von seinem Vater, von seinem Beruf, vom Fischereibetrieb, von seiner Erziehung und Bildung und seinem Glauben als Jude. All das mag in seinem Beinamen „Sohn des Johannes“ enthalten sein. Mehr hatte er nicht, als Jesus ihn rief. Alles, was danach mit Petrus geschehen würde, hatte er Jesus zu verdanken. Mit wenig in der Hand stand er am Anfang da. Und jetzt, nach Kreuz und Auferstehung, nach der Verleugnung und dem Frühstück am See, ist es genauso. Petrus hat Jesus gegenüber nichts vorzuweisen. Selbst dass er ihn liebt, kann er nur leise vorbringen. Doch so wie zu Beginn eine erstaunliche Geschichte mit Petrus losging, genauso ist es jetzt wieder. Ein Neustart, bei dem Petrus alles, was nun folgen wird, Jesus verdankt.

Wie macht Jesus seinem Jünger deutlich, dass jetzt der Moment der Gnade und des Neubeginns da ist? Zum einen durch eine neue Berufung („Weide meine Schafe“, 21,15-17). Zum anderen durch den Ruf in die Nachfolge. Und zum dritten, indem Jesus Petrus’ Herzenssprache spricht. Indem er ihn mit dem Namen des Anfangs anruft, mit dem Namen der Hoffnung, mit dem Namen, dem eine Reich-Gottes-Geschichte folgte. Ich sehe darin eine sprachliche Zärtlichkeit von Jesus.

Wie Jesus heute spricht

Geht Jesus auch mit uns so um, so barmherzig-zärtlich? Zoomen wir einmal heraus aus der Szene am Kohlenfeuer. Nehmen wir neben dem See Genezareth auch wieder Damaskus in den Blick, neben Petrus auch Saulus. Was verbindet diese Momente, in denen Jesus die beiden Apostel anredet?

Beide Male ist es der „erhöhte Jesus“, der spricht. Also Jesus nach seiner Auferstehung. Der sich zwar (bis zur Himmelfahrt) physisch auf der Erde bewegte, aber eben doch nicht mehr die komplette leibliche Begrenztheit von uns Menschen hatte (sondern durch Türen ging und im nächsten Augenblick wieder verschwunden war). Es ist nicht der irdische Jesus von Galiläa und Jerusalem. Mit dem wären wir ja auch gern mal zusammen gewesen. Beneiden wir nicht die zwölf Jünger manchmal, die uns so viel voraushaben, weil sie die unmittelbare physische Gemeinschaft mit dem Menschen Jesus, dem Messias, dem menschgewordenen Gott erlebten? Zugleich fragen wir uns, ob der „heutige“ Jesus, der erhöhte Herr, nicht einen anderen Umgang mit uns hat. Er ist eben im Heiligen Geist da – fast hätte ich gesagt: leider nur im Heiligen Geist. Wir hören die Stimmbänder des Nazareners nicht klingen, wir spüren nicht seine Hand auf unserer Schulter.

Doch diese Herzensanrede, diese zärtliche Ansprache – sie kam vom erhöhten Herrn, der kurze Momente bei Petrus und Paulus war und dann auch wieder verschwand. Jesus sprach mehr oder weniger aus derselben Warte heraus zu ihnen, in der er auch uns gegenüber ist. Er sitzt zur Rechten des Vaters und zeigt sich auf der Erde auf vielerlei Weise, in prophetischen Worten, Visionen, Träumen und innerlich hörbarer Stimme. So vernahm Saulus ihn und nach ihm unzählige andere Menschen in der Geschichte der Christenheit.

Daraus möchte ich gern eine Schlussfolgerung ziehen: Die Art von Jesus, von Herz zu Herz zu sprechen, war nicht den zwölf Jüngern für einen Zeitraum von drei Jahren vorbehalten. Der erhöhte Herr, der lebt und auf der Erde wirkt, kann jeden von uns auf dieselbe Weise anreden. Indem er unsere Herzenssprache spricht. Indem er Saiten zum Klingen bringt, die zu unserer persönlichen Geschichte mit ihm gehören. Indem er Worte wählt, die auf eine geheimnisvolle Weise (und vielleicht kann nur jeder einzelne von uns sie so verstehen) – zärtlich sind. Für diese Erfahrung müssen wir weder in Damaskus leben noch am See Genezareth.

Dr. Ulrich Wendel ist Chefredakteur von Faszination Bibel und von sela. Das Gebetsmagazin.


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Dieser Artikel ist in der Zeitschrift Faszination Bibel erschienen. Faszination Bibel wird vom SCM Bundes-Verlag herausgegeben, zu dem auch Jesus.de gehört.

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1 COMMENT

  1. „Paulus“ ist keine griechische, sondern eine lateinische Namensform.
    Paulus hatte als römischer Bürger neben seinem jüdischen Namen Schaúl als lateinisch-römischen Namen Paulus.
    Ähnlich dürfte es bei Silas gewesen sein, der auch Silvanus hieß, und bei Johannes, der Markus hieß.

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