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Retten Singles die Gemeinden?

Kirchengemeinden übersehen Singles, sagt Theologe Tobias Faix. Dabei könnten Gemeinden von ihnen profitieren.

3E: Hallo Herr Faix, vor zwei Jahren gab es bereits die Single-Studie als Buchveröffentlichung. Nun die Erweiterung. Warum ist das neue Buch notwendig gewesen?

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Tobias Faix: Das hat mehrere Gründe. Zum einen haben wir gemerkt, dass die Studie bei den christlichen Singles sehr gut ankam und diskutiert wurde. Im Kontext von Kirche und Gemeinde wurde sie jedoch schlecht bis gar nicht auf- und wahrgenommen. Das hat uns erstaunt, weil ja auch zum Teil dramatische Ergebnisse herausgekommen sind: Ein Drittel der christlichen Singles sagen, dass sie sich in der Kirche diskriminiert fühlen.

Wir wollten jedoch kein Skandalbuch machen, sondern ein positives Nach- und Umdenken fördern, obwohl das natürlich auch wehtun kann. Deshalb auch der Titel „Date your Singles“, um zu zeigen: Liebe Gemeinde, denk mal positiv. Du kannst viel gewinnen! Du übersiehst da gerade eine Zielgruppe, die nur darauf wartet, dass sie mehr abgeholt und ernst genommen wird.

Inwiefern würden Gemeinden denn davon profitieren?

Singles haben insgesamt eine hohe Lebenszufriedenheit. Sie haben mehr Raum, ihre Zeit zu gestalten, weil sie natürlich viel weniger familiäre Bindungen haben. Und sie wollen Teil von Gemeinde sein und Gemeinde mitgestalten. Das ist sehr deutlich geworden in der Studie. Aber sie wollen eben auch vorkommen, ihre Lebensweise und Nöte verstanden wissen.

Sie wollen nicht nur in extra Singlekreisen wahrgenommen werden. In vielen Kirchen, die in dieser Post-Corona-Zeit unter Mitarbeitermangel leiden und eine gewisse Müdigkeit verspüren, könnten Singles mehr Verantwortung übernehmen und sich einbringen, wenn sie mehr gesehen werden.

Vereinfacht könnte man sagen: Gemeinden, kümmert euch um eure Singles, dann habt ihr kein Problem mehr mit dem Ehrenamt.

Man muss in diesem Zusammenhang sicherlich auch von dem neuen Ehrenamt sprechen, in dem Menschen empowert werden. Es geht nicht mehr darum, dass über Menschen in hierarchischen Strukturen verfügt wird, sie einen Dienst übernehmen und diesen hocheffizient, geistlich und möglichst dauerhaft machen, sondern dass sie mitgestalten können und sich dort einsetzen, wo sie hinpassen.

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Aber Singlesein berührt viel mehr Themen als nur das Ehrenamt: Während es in der Gesellschaft die Tendenz zur Singularisierung gibt, ist die Gemeinde mit dem Fokus auf Gemeinschaft ein Gegenentwurf. Es geht um Vergemeinschaftung, gemeinsam glauben – und eben auch das Ehrenamt.

Wenn 41 Prozent der deutschen Haushalte Singlehaushalte sind, was bedeutet das dann für unsere Kirchen? Das sind neue Lebensformen, die mitbedacht werden müssen. Glaube findet ja nicht im luftleeren Raum statt! Glaube zeigt sich immer kontextualisiert in den gesellschaftlichen und sozialen Strukturen unseres Lebens.

Ich höre aus Ihren Antworten heraus: Es gibt keine klassischen Lösungen, wie Gemeinden mit diesen neuen Herausforderungen umgehen sollen.

Ja, es geht um eine Haltung. Wir haben versucht, in dem Buch zwei Begriffe zu prägen: Zum einen eine singlefreundliche Gemeinde zu sein. Das bedeutet, dass man gemeinsam darüber nachdenkt und eine andere Haltung einnimmt. Aus dieser entstehen dann verschiedene Gesprächsformate oder Beispiele in Predigten oder auch ein überregionaler Singlekreis.

„Wo hat Familie so eine normative Kraft, dass christliche Singles sagen, dass sie sich in der Kirche nicht als ganzer Mensch wahrgenommen fühlen?“

Das andere ist die „Singledizee-Frage“: Wo verschlechtert man als Gemeinde das Leben der Singles? Wo hat Familie so eine normative Kraft, dass christliche Singles sagen, dass sie sich in der Kirche nicht als ganzer Mensch wahrgenommen fühlen?

Das zweite Thema ist die Sexualität. Auch da werden wir schuldig. Singles fühlen sich total alleingelassen. Und wenn Gemeinde nicht der Ort ist, an dem wir darüber reden, wo denn dann?

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Bevor man jetzt die eigene Gemeinde umstrukturiert, steht – und so ist auch der Titel eures Buches – ein Date an. Jeder hat die Vorstellung von einem perfekten ersten Date. Wie müsste das zwischen Single und Gemeinde aussehen?

Immer, wenn man von einem perfekten ersten Date spricht, sind die Erwartungen so groß, dass es nicht gut wird. (lacht) Aber eine Möglichkeit, eine neue Haltung zu etablieren, wäre: alle Kreise für einen Abend einladen. Vom Teenkreis bis zum Bibel- und Seniorenkreis. Gemeinsam essen und jedem Kreis, jeder Gruppe die Möglichkeit geben, zu erzählen, was sie genau machen. Egal, ob es um eine thematische Arbeit oder eine Lebensform geht. Dieses Verbalisieren und Bewusstmachen ist wichtig.

Wir haben jahrhundertelang Singlesein als eine christliche Lebensform der Berufung erlebt. Jetzt sagen nur noch vier Prozent der von uns befragten Singles, dass sie es aus Berufung sind. 96 Prozent wollen das eigentlich gar nicht. Das hat sich radikal geändert und das haben wir noch nicht verstanden. Weil wir immer noch sagen: Es steht doch in der Bibel, dass die berufen sind von Gott. Super, dann können sie ja auch auf Sex verzichten. Aber es ist ja gar nicht ihre Berufung. Und das macht es viel, viel komplizierter.

Okay, Gespräche sind wichtig, ebenso wie eine Neugier aufeinander.

Absolut. Viele Singles gucken auf die Familien mit Kindern, mit denen man Spaß hat, wo man als Ehepaar ein Gegenüber hat, während man selbst alleine ist. Und die Familien schielen auf die Singles und beneiden die freie Zeit, die Möglichkeit, auszuschlafen oder spontan wegzufahren.

Es ist aber auch wichtig, über die Nachteile der Lebensmodelle zu reden: Familien sind völlig k. o., es gibt kaum mal eine freie Minute, und Singles erleben temporäre Einsamkeitserfahrungen. Sie fühlen sich nicht grundsätzlich einsam, aber an Sonntagnachmittagen oder Feiertagen. Es geht darum, ein Bewusstsein auf beiden Seiten zu schaffen, Verständnis füreinander.

Im Nachwort stellen Sie die Frage: Sind Singles die Hoffnung der Gemeinden? Ich würde es gerne ein wenig zuspitzen: Sind Singles die Rettung der Gemeinden?

Ich würde es nicht singulär auf Singles beziehen und nicht alle Last auf ihre Schultern legen. Aber ich glaube, dass Singles eine vitale und relevante Gruppe unserer Gesellschaft sind. Und sie sind total wichtig, um Gemeinde gesellschaftsrelevant und hoffnungsfroh in eine neue Zeit zu bringen.

Deshalb würde ich sagen: Singles sind eine Hoffnung der Gemeinde. Kirche braucht in Zukunft neue Strukturen, ein neues Bewusstsein für Ehrenamt, ein Bewusstsein für die Pluralisierung von Lebensformen. Da können Singles viel geben.

Vielen Dank für das Gespräch!

Die Fragen stellte 3E-Redakteurin Hella Thorn.

Zwei Jahre nach Erscheinen der „Single-Studie“ haben Tobias Faix und Johanna Weddigen nun mit „Date Your Singles“ eine Inspirationshilfe für Gemeinden vorgelegt. Inklusive vieler Praxistipps, Interview mit Singles und Essays, wie eine singlefreundliche Gemeinde aussehen könnte. Erschienen im SCM R.Brockhaus Verlag, der wie Jesus.de zur SCM Verlagsgruppe gehört.


Ausgabe 4/22

Dieses Interview ist im Kirchenmagazin 3E erschienen. 3E ist Teil des SCM Bundes-Verlags, zu dem auch Jesus.de gehört.

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6 Kommentare

  1. Die Gemeinden „retten“ würde nur eine Umkehr zur neutestamentlichen Gemeinde. In ihr haben Singles übrigens einen wichtigen Platz. Sie sind diejenigen, die aufgrund von wenigeren familiären Verpflichtungen Zeit für eine intensivere Beziehung zu Gott haben. Die anerkannten „Witwen“ aus 1 Tim 5 z. B. blieben beim „Bitten und Beten Tag und Nacht“. Natürlich ist eine solche Umkehr angesichts der herrschenden Programmierung des heutigen „Gemeindelebens“ nicht denkbar.
    Damit schreibe ich hier inhaltlich wieder etwas, das ich in den letzten Wochen sinngemäß schon öfters geschrieben habe. Aber damit ist es nun auch genug. Ich bedanke mich bei allen, mit denen es in dieser Zeit zu einem ehrlichen Austausch gekommen ist, und verabschiede mich hiermit von der evangelikal-liberalen SCM-Gruppe mit ihrem „jesus.de“. Ich wusste ja, dass ich hier nicht hinpasse, aber es musste einfach sein …
    Wer weiterhin ab und zu gerne etwas von mir lesen möchte, den lade ich ein auf meinen Blog: http://www.neues-testament.org.
    Mit herzlichen Grüßen!

  2. Als ich gläubig wurde, war ich 31 Jahre alt, hatte eine 2jährige Tochter, war alleinerziehend in Berlin und zog in eine Stadt im Schwarzwald. Dort bekam ich durch die Vermittlung von der Frau aus Berlin, die mich zu Jesus geführt hat, Kontakt zu einer Christin in der FeG. Sie lud mich zum Frühstück bei sich und zum Gottesdienst ein. Dort fühlte ich mich wohl und geborgen, es gab noch 3 alleinerziehende Mütter, mit denen ich dann viel unternahm. Auch gab es Freizeiten der Gemeinde, an denen alle teilnehmen konnten. Von Familien wurde ich selten eingeladen, aber ich habe oft Weihnachten mit Familien aus meinem Hauskreis verbracht. Dies finde ich für Singles sehr wichtig und auch die Mitarbeit in der Gemeinde, denn dadurch entsteht ein Netz, das auffängt.
    Ich habe dann mit 50 aus verschiedenen Gründen die Gemeinde gewechselt und bin jetzt in einer, die sehr jung ist von den Mitgliedern her, viele StudentInnen und junge Familien. Darauf liegt auch der Fokus.
    Trotzdem fühle ich mich dort wohl, habe nicht den Eindruck, übersehen zu werden, weil ich aktiv mitarbeite, vorher am Büchertisch, als dieser wegfiel im regelmäßigen Putz- und Kaffeeteam, habe eine Zweierschaft mit einer jungen berufstätigen Frau, die wie ich ADS hat und wir tauschen uns möglichst 1x im Monat aus. Putz- und Kaffeeteam habe ich aufgrund einer Knie OP aufgegeben, jetzt möchte ich am Beamer mitarbeiten, suche einen Hauskreis, der sich evtl nachmittags treffen könnte, da ich im Dunkeln nicht mehr gerne Rad fahren möchte.
    Es gab Zeiten, in denen ich mich in der Gemeinde nicht gesehen fühlte, die Jungen waren unter sich, ebenso die Struktur der Leitung nicht transparent und ich hatte den Eindruck eines inner circle, zu dem ich und auch viele andere, keinen Zugang hatte. Das hat sich inzwischen durch die neue Leitung verändert.
    Mein Single dasein war und ist nicht immer leicht, aber ich erlebte Dinge und lernte Menschen kennen, die ich als Verheiratete nie erlebt hätte.
    Deshalb kann ich mein allein leben ziemlich gut annehmen und versuche auf jeden Fall, in der Gemeinde zu dienen mit den Gaben, die mir Gott gegeben hat.
    Wie ich mein Leben verbringe, liegt an mir und meinem Herrn.

    • Hallo Bea,

      vielen Dank für den Einblick in deine persönliche Geschichte.

      Liebe Grüße,
      Pascal vom JDE-Team

    • Liebe Bea,
      vielen Dank für deine ehrlichen Worte.
      Woran erkennt man, ob es in der Gemeinde einen inner Circle gibt? Und wie konnte dieses System in deiner Gemeinde durchbrochen werden. Wie hat die neue Leitung es geschafft, dass sie nicht mehr als geschlossener Kreis wahrgenommen wird, wo der Rest nicht drankommt oder nicht dazu gehört? Was habt ihr konkret gemacht, dass es ein Miteinander von allen ist und nicht ein „besonderer Kreis“, der viel bestimmt und der Rest?
      Liebe Segensgrüße
      Astrid

  3. Es gibt ein generelleres Problem

    Dass Singles zu wenig von Kirche wahrgenommen werden, wird sicherlich stimmen. Aber außer dieser Personengruppe tauchen Menschen im Mittelalter auch kaum in unserem kirchlichen Bezügen auf, (Frauen aber eher noch). Ich halte diese Fragestellung auch für sehr konstruiert. Denn generell passiert es – neben dem rapiden Traditionsabbruch und Kirchenaustritten – dass wir (immer schon !!) als die beiden (Noch-)Volkskirchen etwa nur 3-5% der Menschen erreichen, die Kirchenmitglieder sind bzw. Kirchensteuer zahlen. Es gibt so etwas wie eine magische Schwelle dieser bisher Erreichbaren, und dann begegnet jede/r in seiner Kirche auch immer wieder den gleichen Leuten. Wir schmoren gewissermaßen stets im eigenen Saft. Auch gemeindliche oder übergemeindliche Evangelisationen erreichen eher nur die etwas müde gewordenen aktiven Gläubigen, aber niemand neues. Fast scheint es so, dass auch die Freien Ev. Gemeinden sich nur in ihrem eigenen Blubb bewegen

    • Hier haben Sie meine volle Zustimmung.

      Ich finde Kirche hier insgesamt äußerst diskriminierend, vor allem, weil sie sich offenbar schon so sehr vom Evangelium entfernt hat, und so nahe dran am Gläubigen gelandet ist, dass unweigerlich ein starkes Ungleichgewicht entstehen musste.

      “ Vitale Singles, versus Alte, Gebliebene, “ Immer die Gleichen“, “ Teen – Kreis, Bibel-, Senioren – Kreis , Frauen- Gruppen, Männer – Gruppen, Homo_ und / oder divers — Kommt ja wohl alles noch hinzu .
      Gott im Himmel, was für eine Vielfalt in dieser einfältigen Kirche !

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