„Zweifler“, „Ungläubiger“: Der Name Thomas hat biblisch betrachtet einen faden Beigeschmack. Trotzdem war er in den 1960er Jahren in Deutschland als Vorname sehr beliebt.
Von Frauke Bielefeldt
Thomas Müller ist ein Phänomen. Sagt so ziemlich jeder, der nur ein bisschen von Fußball versteht. „Er riecht, wo der Ball hingehen könnte“, meint nicht nur sein Bundestrainer Jogi Löw. Viele seiner Tore sind kurios. In originellem Kontrast zu seiner originellen Spielweise und seinen nicht minder originellen Interviews steht sein Name. „Müller“ ist in Deutschland der häufigste Familienname überhaupt. Und „Thomas“ war in den 50er und 60er Jahren einer der beliebtesten Vornamen – und bedeutet einfach: „Zwilling“.
Seine Bedeutung bekam der Name durch den Apostel Thomas. Das hebräisch-aramäische te’oma war ursprünglich einfach ein Beiname; eine Art Spitzname, der Zwillingen hinzugefügt wurde. Die griechische Übersetzung didymos findet sich im Johannesevangelium. Es bleibt unklar, wessen Zwilling der Jünger Jesu eigentlich war, doch mit seinem Auftreten in den Evangelien wird sein Beiname Thomas (Umschrift vom Hebräischen) zum Eigennamen, der nun sein Eigenleben entwickelt. Besonders ab dem Mittelalter verbreitet sich der Name „Thomas“ zunehmend – eigentlich erstaunlich angesichts des zweifelhaften Beigeschmacks, mit dem die kirchliche Tradition diesen Apostel belegt hat.
Er will es wirklich wissen
Thomas ist einer der Jünger, der in den Berichten der Evangelien eher im Hintergrund bleibt. Nur im Johannesevangelium hat er ein paar starke Auftritte:
Als Jesus seinen Jüngern eröffnet, dass Lazarus gestorben ist, reagiert Thomas äußerst betroffen (11,16) und in den Abschiedsgesprächen beim letzten Mahl schaltet er sich ein, als Jesus sagt, dass sie wüssten, wo er hingeht (14,5). Er hat als einziger die Freiheit, ihm zu gestehen, dass sie keinen Schimmer haben, wovon Jesus redet. Entscheidend ist aber seine Begegnung nach Ostern. Als einziger der Zwölf hat er die Erscheinung des auferstandenen Jesus in ihrer Mitte verpasst. Er mag sich nicht einfach auf ihre Worte stützen, sondern ruft: „Wenn ich nicht meinen Finger in seine Wundmale lege, kann ich’s nicht glauben!“ (20,25). Damit geht er in das kollektive Gedächtnis ein als „Thomas, der Zweifler“ oder gar „ungläubiger Thomas“. Vom Zwilling zum Zweifler – eine zweifelhafte Karriere, doch der Beliebtheit des Namens tut sie keinen Abbruch. Prominente Namensträger sind z. B. Thomas Mann (1875–1955), Thomas Gottschalk (* 1950) – oder eben Thomas Müller, der, wenn er so weitermacht, vielleicht eine neue „Thomas“-Welle auslösen wird.
Gesegneter Mut
Liest man die Geschichte im Johannesevangelium zu Ende, kann man die vielen Namensträger nur beglückwünschen: Jesus nimmt nämlich den Wunsch von Thomas ernst und erscheint den Jüngern eine Woche später erneut. Schnurstracks geht er zu Thomas und fordert ihn auf, dessen Finger in seine Wundmale zu legen. Thomas bekommt die leibhaftige Berührung, die keiner der anderen Jünger gewagt hatte! Seine Reaktion ist als Thomas-Bekenntnis berühmt geworden und bildet einen der Höhepunkte im Johannesevangelium: „Mein Herr und mein Gott!“ (20,28). Heute muss auch jeder Thomas „glauben, ohne zu sehen“ (20,29). Doch Jesus hat den Mut und den Drang nach Gewissheit gesegnet. In seinem Mut zum Zweifel war auch der biblische Thomas nicht einfach ein Zwillingsduplikat, sondern hat seine ganz eigene Originalität bewiesen.
Frauke Bielefeldt arbeitet als Lektorin, Übersetzerin und Autorin.
Dieser Artikel ist in der Zeitschrift Faszination Bibel erschienen. Faszination Bibel wird vom SCM Bundes-Verlag herausgegeben, zu dem auch Jesus.de gehört.