Als Menschen sehnen wir uns nach Sinn im Leben. Aber ist es das, was uns der Glaube verspricht? Matthias Kleiböhmer stellt fest, dass unsere Hoffnung viel weiter reicht.
Von Matthias Kleiböhmer
Es war ein lauer Sonntagabend, aber es war kein gewöhnlicher Tag. Es war ein letzter Tag. Wir haben gebetet und gelacht, wir haben kurze Abschnitte aus der Bibel gelesen und ein paar Anekdoten erzählt. Dann hat Ralf mit einem Lächeln gesagt: „Ich gehe jetzt in Gottes Reich.“ Noch ein kurzer Dank, noch einige Erinnerungen. Und dann hat er die Augen geschlossen – aufgemacht hat er sie nie wieder. Die letzten Stunden eines Lebens mit vielen Höhen und sehr vielen Tiefen. Zu Ende gegangen ist es so, wie man es sich nur wünschen kann. In dieser Nacht habe ich zum ersten Mal wirklich begriffen, was der wahre Wert dieser besonderen inneren Haltung ist, die wir „christliche Hoffnung“ nennen. So viel habe ich darüber gelesen. So oft habe ich versucht, aus ihr zu leben. An diesem Tag aber hat sie gezeigt, was sie wirklich ist: eine Lebensmacht! Sie schenkt in ausweglosen Situationen die Zuversicht, dass Gott alles im Griff hat. Auch wenn nichts dafür spricht, selbst mit dem eigenen Tod vor Augen.
Keine Besserung in Sicht, aber etwas Besseres
Als Christinnen und Christen haben wir viel Hoffnung für die Welt. Sehr viel. Deswegen wird uns manchmal nachgesagt, wir seien „Weltverbesserer“. Das stimmt irgendwie, denn man nimmt unsere vielen Aktivitäten in unseren Stadtteilen und Dörfern wahr und unsere Angebote für Schwache, Ältere, Kinder und Jugendliche. Das ist alles wichtig und richtig. Aber das zeigt nicht das Ziel unserer Hoffnung, es zeigt vielmehr die Wirkung der Hoffnung. Wenn das Neue Testament von „Hoffnung“ spricht, meint es nicht die – sicherlich wünschenswerte – Verbesserung der Lebensumstände. Es meint die Erlösung der Welt, den Sieg über den Tod und die Ewigkeit in der himmlischen Heimat. Wir hoffen nicht auf eine bessere Welt; wir hoffen auf ein neues Leben in der Ewigkeit. Oder anders gesagt: Wir warten darauf, dass endlich ein Versprechen eingelöst wird, auf das wir in unserem Leben vertrauen. Schließlich sagt Jesus: „Weil ich lebe, werdet auch ihr leben“ (Johannes 14,19; NGÜ).
Wir hoffen nicht auf eine bessere Welt; wir hoffen auf ein neues Leben in der Ewigkeit.
Matthias Kleiböhmer
Wie konkret kann Hoffnung sein?
Wie diese Ewigkeit aussehen soll, bleibt vage. Sicher, es gibt in der Offenbarung des Johannes eine ziemlich konkrete Beschreibung: Das ewige Leben findet im himmlischen Jerusalem statt, einer Stadt mit goldenen Straßen und Häusern aus Diamanten. Der Volksmund spricht eher vom „Himmel“ und hat oft auch einen wolkigen Ort vor Augen. Der Grund liegt wohl darin, dass auch Jesus immer wieder vom „Reich der Himmel“ spricht. Öfter noch vom „Reich Gottes“, weshalb viele Vorstellungen an den Thronsaal eines Palastes anknüpfen. Kann man sich die Ewigkeit so vorstellen? Der Apostel Paulus ist da vorsichtiger. Er hält sich mit Spekulationen über die Ewigkeit zurück. Für ihn ist es nur dann eine Hoffnung, wenn sie nicht zu leicht zu erfassen ist. Im Brief an die Gemeinde in Rom schreibt er: „Nun ist aber eine Hoffnung, die sich bereits erfüllt hat, keine Hoffnung mehr. Denn warum sollte man auf etwas hoffen, was man schon verwirklicht sieht? Da wir also das, worauf wir hoffen, noch nicht sehen, warten wir unbeirrbar, bis es sich erfüllt“ (Römer 8,24f; NGÜ).
Hoffen heißt gerade, keine Beweise zu haben. Auch Jesus hat auf konkrete Schilderungen verzichtet. Und doch können wir durch ihn erahnen, was uns erwartet. Denn er selbst hat alles, was er tat, als Zeichen für das verstanden, was wir erhoffen können. Mit ihm beginnt Gottes Reich mitten in der Welt und das sieht man: „Blinde sehen, Lahme gehen, Aussätzige werden geheilt, Taube hören, Tote werden auferweckt, und den Armen wird Gottes gute Botschaft verkündet“ (Matthäus 11,5; NGÜ). Jesus hat nicht von der Hoffnung gesprochen. Stattdessen hat er gezeigt, wie es sein wird, wenn sich unsere Hoffnung erfüllt. Und wie man in der Hoffnung lebt. Ein Stück Himmel auf Erden, wenn man so will.
Gott ist mitten unter den Menschen
Allerdings geht es um mehr als ein vorbildhaftes Leben. Jesus hat nicht nur gezeigt, wie die Ewigkeit sein wird. Er hat uns auch mit hineingeholt. „Christus ist von den Toten auferstanden! Er ist der Erste, den Gott auferweckt hat … entsprechend kommt es nun auch durch einen Menschen zur Auferstehung der Toten“, schreibt Paulus (1. Korinther 15,20f; NGÜ). Man kann also sagen: Die Vorstellung von der Ewigkeit ist vage, aber sie hat ihren Grund in einem konkreten Ereignis: im Leben, im Sterben und in der Auferstehung Jesu. Der Dreh- und Angelpunkt der Hoffnung. Wer Jesus kennt, hat Grund zur Hoffnung, weil mit ihm der Weg in die Ewigkeit geöffnet ist. Das Johannesevangelium hat dafür ein eindrucksvolles Bild: In dem Moment, in dem Jesus stirbt, zerreißt im Jerusalemer Tempel der Vorhang. Er trennte zuvor das Allerheiligste – die Wohnung Gottes unter den Menschen – von der Welt. Nur bestimmte Priester hatten Zugang. Nun ist der Zugang frei. Und Gott ist mitten unter den Menschen.
Wer Jesus kennt, hat Grund zur Hoffnung.
Matthias Kleiböhmer
So unterschiedlich die Perspektiven auf die Ewigkeit im christlichen Glauben sein mögen, letztlich treffen sie sich alle in diesem einen zentralen Gedanken: Die Ewigkeit ist der Ort, an dem Gott unmittelbar anwesend ist. Die Offenbarung beschreibt diese Gemeinschaft eindrucksvoll: „Seht, die Wohnung Gottes ist jetzt bei den Menschen! Gott wird in ihrer Mitte wohnen; sie werden sein Volk sein – ein Volk aus vielen Völkern, und er selbst, ihr Gott, wird immer bei ihnen sein. Er wird alle ihre Tränen abwischen. Es wird keinen Tod mehr geben, kein Leid und keine Schmerzen, und es werden keine Angstschreie mehr zu hören sein. Denn was früher war, ist vergangen.“ (Offenbarung 21,3-4; NGÜ).
Wenn Liebende, die sich nacheinander sehnen, endlich wieder zusammen sind, wird alles andere bedeutungslos. Deswegen erfüllt sich eines nicht: unsere Suche nach Sinn. Biblisch betrachtet ist die Ewigkeit kein Ort der Antworten. Zwar fragt Jesus selbst: „Mein Gott, mein Gott! Warum hast du mich verlassen?“ (Psalm 22, 2; Neues Leben Bibel). Aber das ist ein Vers aus Psalm 22, einem alten Klagelied. Nach der verständlichen und ewigen Frage „Warum?“ mündet es in die Bitte: „Entferne dich jetzt nicht von mir“ (Psalm 22,12; Neues Leben Bibel). Die Hoffnung richtet sich auch hier darauf, dass Gott da ist und eingreift. Dann erübrigen sich alle Fragen.
Ein Urteil, das Hoffnung macht?
Unsere Hoffnung ist also, endlich in einer himmlischen Heimat, ohne zeitliche oder andere Begrenzungen, nah bei Gott zu sein. Aber wieso eigentlich? Gott könnte uns auch ein nicht endendes Festmahl in Aussicht stellen (wie in der Götterwelt der Germanen). Er weiß jedoch: Uns fehlt es nicht an Gaumenfreuden in diesem Leben, es fehlt uns an Gemeinschaft. Als Geschöpfe Gottes sind wir, wie er selbst, Beziehungswesen. Es ist der Zweck unseres Daseins, weil es das Wesen Gottes ist, zu lieben. Es ist nicht eine Eigenschaft, sondern „Gott ist Liebe“ (1. Johannes 4,16; NGÜ). Allem Individualismus in unserer Gesellschaft zum Trotz ist das die einzig realistische Perspektive auf unser Leben.
Zu diesem Realismus gehört auch das Eingeständnis: Es ist ungeheuer schwer zu lieben. Oft schaffen wir es nicht, selbst, wenn wir es wollen. Und manchmal wollen wir auch nicht, obwohl wir wissen, dass es sowohl für uns als auch für alle anderen Menschen die einzig mögliche Lebensweise ist. Alles, was uns lieblos macht, hat deswegen keinen Platz in der Ewigkeit. Deshalb möchte ich etwas zur christlichen Hoffnung dazurechnen, was vielen Menschen keine Hoffnung macht: Die Vorstellung eines letzten abschließenden Urteils über das, was wir in unserem Leben gesagt, getan und geglaubt haben.
Es ist ein machtvoller Gedanke und genau dazu ist er in der Geschichte des Glaubens auch oft missbraucht worden. Denn es liegt die Versuchung nahe, sich als Person, als Gemeinde oder als Kirche zum Saaldiener in diesem Gericht zu machen, der über den Zugang zur Verhandlung entscheidet und selbst schon vorher ein Urteil spricht, das in Wahrheit nur Gott zusteht. Deshalb gehört dieses Machtinstrument ins Museum theologischer Irrwege, aber nicht die Vorstellung vom Gericht selbst. Denn niemand wird ernsthaft ALLE Taten, Worte und Glaubenssätze mit in die Ewigkeit nehmen wollen. Sie ist ein Ort für uns – nicht für unseren Neid, unsere Gier, unsere Angst oder unsere Neigung, Dinge zu vergöttern, die wir selbst beherrschen können.
Und das soll ein Grund zur Hoffnung sein? Natürlich! Denn den Richter kennen wir schon: Es ist Christus, der Auferstandene. Er war selbst in unserem Leben und hat damit einen Grund zur Hoffnung gegeben. Und er ist das Ziel der Hoffnung. Wir hoffen also nicht darauf, dass uns unsere eigenen Leistungen in die Ewigkeit bringen. In Wahrheit ist es ein Geschenk Jesu, der uns und unser Leben liebevoll und gnädig anschaut. Wenn alles Gnade ist, kann man sich die Frage stellen, ob es Menschen gibt, die in der Ewigkeit keinen Platz haben. Eine Antwort darauf hätten wir gerne. Aber es gibt sie erst, wenn es so weit ist. Meine Hoffnung jedenfalls hat einen Namen: „Jesus“. Und der bedeutet „Gott rettet“. Wir dürfen auf ihn schauen und darauf vertrauen, dass Gott tut, was er versprochen hat. Was ist also eine Hoffnung, die sich „christlich“ nennen kann? Es ist die Kraft, in allem, was passiert, nicht auf ETWAS zu warten, sondern auf JEMANDEN: Jesus Christus.
Die Liebe ist die Größte unter Glaube und Hoffnung
Die Hoffnung von uns Christinnen und Christen auf einen Neuen Himmel und eine Neue Erde ist konkret, aber sie ist nicht einfach eine weitere Fortsetzung des irdischen Lebens. Das ganz andere Leben kommt. Aber es dürfte als Heimstatt für uns Menschen auch menschlich sein, unsere Auferstehung ist nicht eine in einen Geistnebel, sondern auch in eine andere Körperlichkeit. Allerdings den Tod gibt es nicht mehr. Und es wird die ganze Schöpfung und damit auch jedwede Kreatur erlöst. Aber dennoch sagt Jesus auch, das Reich Gottes komme wie mit den Wolken – und es ist schon in uns. Jedenfalls hier wird es beginnen, entstehen die Brückenköpfe, werden die Schwerter zu Pflugscharen, die Kriege geächtet und alle Menschen und Vöker hören wohl auf Gott. Gläubige sollten ihren Glauben versuchen exemplarisch zu leben, d. h. schon etwas vorwegnehmen von Gottes Reich und dem kommenden Licht der Welt sein. Denn die Liebe wird dort vollkommen sein und und sie sollte uns hier wichtiger sein selbst als Glaube und Hoffnung. Konkret heißt dies: Dass Gottes Geist in uns lebt ist wichtiger als die Lehre (des Glaubens) und wichtiger als die Hoffnung (die Bildhaftmachung dessen, was wir in unterschiedliche Bilder fassen). Jesu Botschaft war auch eine für die Einheit und Geschwisterlichkeit. Da es menschlich ist, dass nicht alle Gläubige in standartisierten gleichen inneren Bildern denken, ist mehr Liebe unter den Christen, Konfessionen und Kirchen notwendig – und mehr Einheit in der Vielfalt. Denn der Geist weht, wo er will und wenn wir uns nicht einig sind in der Liebe, dann verhindern wir sein Wehen. Jesus war kein Theologe, er hat keine Bücher geschrieben und war auch keiner der Philosophen. Er war das liebende Angesicht Gottes, also mit Anhalt daran was uns im Leben und Sterben wichtig sein sollte und uns daher unbedingt auch angeht. Die Gleichnisse Jesu sind da wichtig und auch die Bergpredigt. Letztere ist von zeitloser Aktualität. In einer hier friedlosen Welt werden die Friedensstifter von ihm geadelt.
Die Liebe ist die Größte unter Glaube und Hoffnung.
Stimmt genau, allerdings nie ohne Buße und Umkehr.
Es geht um L I E B E
Lieber Gast: Aber wenn ich liebe, etwa wie der barmherzige Samariter (der damals eher als Ungläubiger galt), als er dem unter die Räuber Gefallenen half, dann hat doch Jesus gerade auch diesen Außenseiter wegen seiner Hilfsbereitschaft geadelt. Die Liebe ist also in diesem Zusammenhang nicht unbedingt mit Buße und Umkehr beschreibbar, aber sie bedeutet dann oft eben doch den Willen Gottes zu tun. Und sicher ist Buße und Umkehr wichtig, aber wir als Christinnen und Christen tun dass ja auch nicht nur einmal im Leben, sondern eher öfters. Interessanterweis ist die Bergpredigt, auch wenn sie fast wie ein heutiger Aufruf zur Menschlichkeit streckenweis fast unreligiös und praxisorientiert klingt, allerdings sehr eindeutig. Aber noch nie hat sich im Bundestag jemand auf sie berufen. Dabei ist sie praktisch, auch durchführbar, nur können wir auf Erden nie perfekt sein.