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Moria: Ein Quäntchen Hoffnung mitten im Elend

Zehntausende Geflüchtete harren auf der griechischen Insel Lesbos in völlig überfüllten Camps aus. Caroline hat vor Ort geholfen und zwischen all dem Elend auch Hoffnungsmomente erlebt.

Von Caroline Weinstock 

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Als wir in Lesbos aus dem Flughafen treten, den Sonnenschein spüren und das glitzernde Meer sehen, kann ich mir kaum vorstellen, dass wir die nächsten Tage an einem dunklen, dreckigen und hoffnungslosen Ort verbringen werden. Von Flüchtlingskrise und menschenunwürdigen Zuständen auf der Urlaubsinsel ist erst mal nichts zu spüren.

Wenige Wochen zuvor: Der Hilferuf eines Missionars aus dem Flüchtlingscamp Moria auf der griechischen Insel Lesbos erreichte uns. Ein paar Tage später steht fest: Wir fliegen hin. Wir, das sind 13 junge Leute der Jüngerschaftsschule „Life Academy“ der Mühle Weingarten e. V. Mit 400 Zelten im Gepäck und mit jeder Menge Leidenschaft, Motivation und Entschlossenheit geht es für eine Woche auf die Insel vor der türkischen Küste. Ziel des Einsatzes ist, eine Botschaft voller Hoffnung und Licht in das Dunkel derer zu bringen, die im Flüchtlingscamp ausharren. „Wie wunderbar wäre es, wenn das Erste, was ihnen nach der langen Reise nach Europa begegnet, die bedingungslose Liebe Gottes ist?“, dachte ich mir. Die Situation der Menschen in Lesbos erinnerte sehr an die von Maria und Josef in der Weihnachtsgeschichte, als sie gezwungen wurden, ihre Heimat zu verlassen und in Bethlehem verzweifelt nach einer Bleibe suchten. Weihnachten 2019 sollen auch die Menschen in Lesbos vom Ausgang der Geschichte erfahren – dass uns der Retter geboren wurde und er auch für sie gestorben und wiederauferstanden ist.

Müll und Matsch

Im Camp mit der Kapazität für 2.500 Geflüchtete tummeln sich im Dezember 2019 18.000 Menschen. Heute sind es 20.000. Den Hilfsorganisationen gehen essenzielle Materialien wie Zelte, Planen und Kleidung aus.

Nach einer schnellen Einweisung am Abend in der Schaltzentrale, der leitenden Hilfsorganisation im Camp, erwarten wir gespannt den nächsten Morgen. Und dann stehen wir da – vor dem großen Flüchtlingscamp, die hohen, mit Stacheldraht umgebenen Zäune erinnern mich sehr an meine Einsätze in philippinischen Gefängnissen. Innerhalb der Mauern bietet sich ein chaotischer Anblick: Menschengewimmel wie auf einem Ameisenhaufen, Lärm und, wo das Auge hinblickt, Zelte, Planen, Müll und Matsch.

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„Lebensschule“

Der Name der Life-Academy fasst bereits die Mission hinter unserem sechsmonatigen Training zusammen: Mit Gott zu leben heißt, dem Vater nahe zu sein, von Jesus zu lernen und für IHN in dieser Welt ein Licht zu sein. Genau das ist das Herzensanliegen der Jüngerschaftsschule. Auch wenn wir den Großteil unserer Nachfolge in der gewohnten Umgebung unserer Nachbarschaft leben, möchten wir ebenfalls Möglichkeiten ergreifen, um die Liebe Gottes und seine Hoffnung in die ganze Welt hinauszutragen.

Dass sich dies in der Praxis schwieriger erweist als gedacht, darf ich nun ganz neu lernen. Wir verteilen uns auf verschiedene Aufgabenbereiche: die Arbeit im Warenhaus, wo Kleidung für Neuankömmlinge verpackt wird, die Essensausgabe, das Willkommensteam, die Windelausgabe, der „Infostand“ oder die „Housing“-Gruppe. Hier lasse ich mich einteilen, weil ich dabei das Camp am besten kennenlernen kann. Das Housing versucht nämlich, die riesige Logistik des Camps zu bewältigen. Ich bekomme kleine Aufträge von der Büroleitung, wie die Zuweisung eines Zeltes für eine neue Familie. Mit Händen und Füßen erkläre ich den Neuankömmlingen, dass dieses Drei-Mann-Zelt zwischen den anderen tausenden Zelten, für die fünfköpfige Familie das Beste ist, was wir ihnen momentan bieten können.

Ich, die Konflikten gerne aus dem Weg geht, muss nun ohne ein Wort Afghanisch oder Arabisch zwischen der neu einziehenden Familie und der, die aus nicht erkennbaren Gründen das Zelt besetzt, vermitteln. Das ist nicht nur sprachlich eine Riesenherausforderung. Ich schäme mich dafür, diesen Menschen nichts Besseres bieten zu können. Das Gefühl, gelähmt zu sein und nicht helfen zu können, wurmt unser Team sehr. Auch die Kälte verschärft die Situation.

Dankbarkeit

Das Schöne an den Aufträgen ist trotz allem Frust der direkte Kontakt mit den Menschen. Heute sind die meisten negativen Erinnerungen schon sehr verblasst und in meinem Kopf höre ich dafür noch das Lachen der vor Schmutz starrenden Kinder, die mir schreiend in die Arme liefen oder meine Hand nahmen, um mich ein Stückchen auf dem Wegen durch das Labyrinth des Camps zu begleiten. Es sind ihre Gesichter, die mich bis heute noch auf die Knie zwingen, um ihre Herzen und die ihrer Familien vor das Kreuz zu bringen, das diese Menschen so dringend benötigen.

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Als ich einmal im Gewimmel auf der Suche nach einem bestimmten Zelt bin, erblickt mich eine alte Frau. Auf ihren Stock gestützt, kommt sie auf mich zu und in den nächsten Sekunden ergießt sich ein Schwall afghanischer Wörter über mich. Während sie mein Gesicht zu sich herunterzieht und mir einen dicken Kuss auf die Wange drückt. Ich habe keine Ahnung, was diese Frau zu mir sagt, aber ich bin berührt von ihrer Dankbarkeit.

Über Verständnisgrenzen

Die vielleicht größte Herausforderung für mich persönlich, stellen die interkulturellen Barrieren dar. Es gibt viele Regeln, die ich als Frau beachten muss, zum Beispiel keinen direkten Augenkontakt mit Männern aufzunehmen, da dies in den Herkunftsländern vieler Geflüchteter eine sehr intime Handlung ist und als Flirt missverstanden werden kann. Allgemein achten wir darauf, körperlich Abstand zu halten. Einmal helfe ich einer sehr alten Frau, die sich im Camp verlaufen hat, und nicht mehr zu ihrem Wohnplatz findet. Während wir langsam loslaufen, packe ich meine wenigen Arabisch-Kenntnisse aus, um ihr gut zuzureden. Die Geflüchteten im Camp wissen, dass uns Helfern aufgrund der Nöte an jeder Ecke nur sehr wenig Zeit für solche Situationen bleibt.

In diesem Moment scheint es mir jedoch wichtig, dieser Frau ein paar Minuten zu schenken. Als wir ankommen, greift einer der Männer, die ihr vorher vergeblich hatten helfen wollen, meinen Arm, schaut mir direkt in die Augen und sagt einfach nur „Thank You“. Dieser „Tabubruch“ ist Zeichen des ehrlichsten und tiefsten „Dankeschön“, dass ich in meiner Zeit in Moria höre. Neben all den schlechten Nachrichten aus Moria, wie die katastrophale gesundheitliche Situation oder Messerstechereien in der Essensschlange, möchte ich von den kleinen Funken von Liebe und Hoffnung erzählen, die auch an diesem dunklen Ort existieren.

Finsternis und Licht

Eine weitere Tatsache dringt eher weniger zu uns durch. Die meisten der Menschen im Camp von Lesbos sind geflohen, weil sie von dem politischen System ihres Landes und auch von der dort herrschenden Religion enttäuscht wurden. In all dem Wirrwarr des Krieges mit den unterschiedlichsten Interessen und religiösen Orientierungen der Akteure sehnen diese Menschen sich nach Wahrheit, Freiheit und Frieden. Und dabei öffnen sich sehr viele auch für den Glauben an Jesus Christus: Rund um das Camp gibt es verschiedene Organisationen und Missionen, die Raum schaffen, damit die Geflüchteten ein paar Stunden die Situation in Moria vergessen dürfen: Schulen, Spielplätze, Teestuben usw.

Ein Teil unseres Teams hat die Möglichkeit, nach der Arbeit abends mit in solche christlichen Teestuben zu kommen, wo neben warmen Getränken auch Zeit für Gespräche und Gemeinschaft ist. Die Geflüchteten wissen sehr wohl, dass es sich bei den Stuben – aus umfunktionierten Lagerhallen – um christliche Angebote handelt. Denn überall gibt es Traktate und Bibeln in ihrer Sprache. Trotzdem finden sich dort täglich mehr als 500 Menschen ein, überwiegend Männer. Die meisten von ihnen kommen nicht nur für den Tee, sondern sind wirklich interessiert an der Bibel und dem christlichen Glauben! In der „Hölle Moria“, wie die Bewohner ihr Zuhause selbst nennen, sehnen sich die Menschen danach, dass endlich ihr Durst nach der Wahrheit gestillt wird. Und viele finden in genau dieser Dunkelheit das Licht der Welt!

Ein Funken Hoffnung

Ich habe das Privileg, mit einer Gruppe von Iranern zu reden, die Jesus gefunden haben. Ein junger Mann in meinem Alter erzählt mir seine Geschichte, wie er vom Moslem zum Atheisten und schließlich Christ wurde. Er sagt, dass sehr viele Menschen in seinem Land müde sind von ihrer eigenen Religion und durch die Geschehnisse und den Krieg den Islam hinterfragen. So auch er: Er riskierte im Iran sogar Kopf und Kragen, um sich eine Bibel auf dem Schwarzmarkt zu beschaffen. Nach einem sehr emotionalen Abschied bleibt die Ungewissheit, ob wir uns jemals im Leben wiedersehen, aber die Gewissheit, dass wir eine Familie sind, die durch das Kreuz Jesu über den Tod hinaus verbunden bleibt. Neben all dem Elend, das wir in der kurzen Zeit sehen, finden wir auf Lesbos das Totgeglaubte: Hoffnung. Der kurze Einsatz hat mich nachhaltig geformt und verändert.

Nun bete ich mit einer ganz anderen Herzenshaltung für die Menschen in Krisengebieten und für die islamische Welt. Ich sehe weniger die politische Lage und mehr die Herzen der Einzelnen und bete für die, die so offen für die Gute Botschaft der Liebe Gottes sind, in dem Glauben, dass sie in Europa nicht nur ein besseres Leben im Hier und Jetzt finden, sondern auch in Ewigkeit.


dran Cover 5_20Dieser Artikel ist zuerst in der Zeitschrift DRAN erschienen, die wie Jesus.de zum SCM Bundes-Verlag gehört.

 

 

 

 

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