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Bin ich mitverantwortlich?

Politiker eignen sich gut als Sündenböcke. Aber Tom Laengner meint: Jesus entlässt auch uns nicht aus der Verantwortung.

Out of the Box – Weil wir wunderbar gemacht sind

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Die zweiwöchentliche Kolumne von Tom Laengner


Ich habe die Bohnen kalt gegessen. Erst mit dem guten alten Dosenöffner den Rand aufgeschnitten, dann einen Löffel aus der Schublade gekramt und schon konnte es losgehen. Da mag jetzt der ein oder andere Gourmet die Stirn in Falten legen. Aber ich wollte ja ausschließlich mich belohnen und etwas tun, was nicht gegen das Gesetz ist, mir aber Freude macht. Nun, das hatte ich hingekriegt. Ob ich es mir auch verdient hatte?

Entgegen der Wettervorhersage hatte es nach Mitternacht angefangen zu regnen. Es gluckerte in unsre frisch in Dienst genommene Tonne. In meinem Herzen jubelte ich wegen des schönen Regenwassers. Die Tonnen taten alles, um sich volllaufen zu lassen. Allerdings war es kurz davor, dass es voller nicht mehr gehen würde. Also, was tun?

Weitere Behälter müssen her

Die Zinkwanne, in der ich als Kind mit meinem Bruder gebadet hatte, wartete schon auf ihren Einsatz. Zwei Minuten später hatte ich noch die beiden Ikea-Container im Keller leergeräumt. Weil ich mein Schlaf T-Shirt nicht nassmachen wollte, tapperte ich barfuß und in Unterhosen aus der Tür. Die Waschbetonfliesen waren noch warm und ich ganz allein.

Außer Gott konnte mich also niemand sehen. Und so wie ich ihn kenne, würde er keine Diskussion über die Kleiderordnung beim nächtlichen Befüllen von Wasserbehältern anstrengen. Nach getaner Arbeit gönnte ich mir dann einige nächtliche Glücksmomente mit einer Dose roter Bohnen.

Sündenböcke suchen

In dieser Nacht hatten sich etwa 300 Liter Regenwasser angesammelt. Ich war erstaunt. Mit diesen Mengen bei so wenig Niederschlag hatte ich nie gerechnet. Es nervte mich ein wenig, dass ich nicht viel früher auf diese Sammelidee gekommen war. Zwischen Bohnen löffeln und genervt sein, wuchs in mir ein Gedanke.

Ein Klassiker seit Adam und Eva. Wir suchen Schuldige und Sündenböcke und nehmen uns aus der Verantwortung. Politikschaffende und Kirchenleitungen eignen sich dazu immer wieder gut. Selbstverständlich wähnen wir uns im Recht. Wäre es nicht zum Beispiel deren Verantwortung gewesen, schon viel früher für ökologisch nachhaltiges Handeln zu werben?

„Die Könige herrschen über ihre Völker und ihre Mächtigen lassen sich Wohltäter nennen.“

Jesus

Ich wähnte sogar Jesus auf meiner Seite, wenn auch nur einen Moment lang. Denn hat der nicht eindrucksvoll über Menschen in Führungspositionen gesagt: „Die Könige herrschen über ihre Völker und ihre Mächtigen lassen sich Wohltäter nennen.“ Dabei war doch eines klar: Die hatten nicht unbedingt das Beste für ihre Leute im Sinn. Sie verfolgten Interessen. Dafür waren sie bereit, alles Mögliche zu tun. Auch etwas Gutes gehörte zur Palette; als Teil einer Strategie. Ob das heute sehr anders ist?

Und hier war leider auch schon der Moment vorbei. Politikschaffende, Menschen der Wirtschaft und Kirche brauche ich nicht bewundern, wenn sie wenig vorausschauend handeln und Versprechen machen, die sie nicht halten können. Doch was im Einzelnen die Verantwortung solcher Menschen gewesen wäre, muss ich nicht entscheiden.

Nicht nur Propaganda

Aber ich weiß, dass ich mein Gewissen nicht habe, um es charmant außer Kraft zu setzen. Und mein Gehirn soll auch nicht den Höchstpreis auf einer Organspenderbörse bekommen, weil es noch völlig unbenutzt war.

Mittlerweile war ich hellwach. Nebenbei schmeckte ich heraus, dass es in den roten Bohnen noch eine Menge an ausgezeichneten Gewürzen gab. Dann wurde mir klar, dass Jesus ja nicht einfach einen Propagandasatz zurecht drechselte, um Massen auf seine Seite zu ziehen. Solange die Mächtigen im Fokus standen, mag die Zuhörerschaft anerkennend mit den Köpfen genickt haben. Doch dann ging es erst richtig los.

„Der Vornehmste soll sein wie ein Diener.“

Jesus

Allerdings richtet sich Jesus hier an Menschen, die ihm nachfolgen wollen. Jetzt kamen Menschen wie ich ins Spiel. Jesus fuhr fort: „Ihr aber sollt nicht so sein!“ Na ja, dachte ich; in der Liga der Macht spiele ich ohnehin nicht.

Doch das reichte noch nicht, um mich vom Haken zu lassen. „Der Vornehmste soll sein wie ein Diener“, spitzte Jesus seinen Gedankengang zu. Nicht unbedingt mein Traumziel. Doch der Diener ist nicht der Blödi, der auf Anweisung tut, was ihm gesagt wird. Das beweist das jesuanische Vorbild meisterhaft. So wie ich es verstehe, geht es um einen Ausdruck höchster Freiheit und Würde.

„Ich bin mitverantwortlich“

Für mich setzte das einen Schlussstrich unter jeglichen Ansatz, mich aus der Verantwortung ziehen zu wollen. Ich bin mitverantwortlich. Doch ist es nicht ein Orden des Lebens, wenn ich Verantwortung übernehme?

Anschließend schlief ich nicht besonders. Nur die Bohnen waren in Höchstform. Sie leisteten ganze Arbeit. Kundige dürften jetzt Bescheid wissen. So möchte ich auf weitere Einzelheiten verzichten.

Alle Kolumnen von Tom Laengner findest du hier.


Tom Laengner ist ein Kind des Ruhrgebiets. Nach 20 Jahren im Schuldienst arbeitet er journalistisch freiberuflich und bereist gerne unterschiedliche afrikanische Länder. Darüber hinaus arbeitet er als Sprecher für Lebensfragen und Globales Lernen. In seiner Kolumne „Out of the Box – Weil wir wunderbar gemacht sind“ schreibt er regelmäßig über Lebensfragen, die ihn bewegen.

2 Kommentare

  1. Ich bin immer mitverantwortlich

    Tom Laengner hat wohl viele magenschwere Bohnen in der Nacht verspeist. Sie müssen dann zu schweren, aber biblisch zielgerechten Aussagen geführt haben (Mir ist wohl bewusst, es war geschickt die Bohnen und das nachts plubbernde Regenfass sprachlich einzuführen, damit der Text den geneigten Leser nicht zu oberlehrerhaft erscheint). Aber es stimmt: Das Sündenbockspiel geht mir absolut auf den Geist. Grundsatz in der Politik ist stets, dass jemand schuld sein muss. Es soll dann ein hochrangiger Mensch zurücktreten, den man – fast wie mit einem schlechten Gewissen – für seinen mutigen und ehrenhaften Abgang dankt. Dabei haben gerade in der Politik, also u. a. in den Parlamenten, Parteien und sonstigen Gremien, ganz viele Menschen an nicht selten langwierigen Entscheidungsprozessen mitgewirkt. Da wird dann auch abgestimmt, aber mitgegangen ist nicht mitgehangen. Das erinnert mich an den Sündenbock, den die Israeliten in die Wüste schickten, weil man auf ihn symbolisch die Schuld von manchmal vielen legen wollte. Geht so wirklich Gerechtigkeit ?

    Ich bin verantwortlich für alles was ich denke, mir wünsche und tue. Manchmal meine ich, dass etwa in der Suchthilfe oder deren Selbsthilfearbeit dieses „Verantwortung übernehmen“ eher zum Credo erklärt wird als in Kirche und Staat. Bei den Anonymen Alkoholikern gehört zum (vor allem auch seelischen) Gesundungsprozess, Fehler wieder gut zu machen, um Vergebung zu bitten und sein Leben neu in die Hand zu nehmen. Aber Fehler sowie Irrtümer zuzugeben ist in der Politik fast schon der Beginn persönlicher Talfahrt. Fehlerzugabe ist dann eher Schwäche und die lässt sich nicht so gut beim Staatsbürger in Wählerstimmen umwandeln. „Der Vornehmste soll sein wie ein Diener“, spitzte Jesus seinen Gedankengang zu. Es gab nämlich so eine Art persönlichkeitsstarke Zurücknahme der eigenen Person durch Jesus Christus. Er war ja wirklicher Gott, aber lebte als Menschensohn. Er wusch seinen Jüngern die Füße, ein dienender Liebesbeweis, zwar üblich im Altertum aber von Untergebenen ausgeführt. Solche Diener sind nach Jesu Ansicht dann auch Leute, die sich in die hinterste Reihe setzen, die anderen zuhören, langmütig und freundlich sind, wobei sie wenig hadern, also zugewandt sowie auf Augenhöhe kommunizieren. Sanftmut in der Politik ? Eher eine Lachnummer. Ich habe Leute gekannt im politischen Bonn, die gerne erzählten wie man sich im Bundestag fast schon unflätig beschimpfe und nachher in froher Runde zusammengesessen hat: Manchmal ist es auch viel Schauspiel fürs Volk. Konstruktiv erscheint das politische Leben daher zumeist nur sehr selten.

    Nochmals: Ich bin verantwortlich für das was ich tue und wie ich bin. An mir wird nicht die Welt genesen, aber sie wird schon gar nicht geheilt durch diejenigen, die in der Politik n u r die Möglichkeit nutzen, mit legalen aber unfairen Mitteln um die Macht zu kämpfen. Wäre doch schön wenn Politiker*innen, Menschen in den Kirchen, Gewerkschaften, Vereinen, Familien, Krankenhäusern und Autofabriken das Fehlererkennen und das Fehlerzugeben, sowie das gemeinsame Lernen aus Irrtümern und Fehleinschätzungen, zum Prinzip machen würden. Was mich tröstet: Ich bin ein Sünder, wie wir alle, aber bei Gott darf ich meine Fehler, Irrtümer und Fehlhaltungen zugeben. Zu vergeben und Vergebung anzunehmen ist heilend. Ich bin nicht verantwortlich dafür dass ich Fehler mache. Niemand muss vollkommen sein, auch nicht nur zum Schein. Aber ich bin immer mitverantwortlich, was aus Klimakrise und dem Weltfrieden wird. Oder aus dem Menschen neben mir, den jede und jeder gerne mal überseht.

  2. Dieses Gottesbild basiert auf Schuld und Schuldzuweisung , nicht auf Heilung.
    Aber jetzt wird alles besser.
    Weil, was vorher war verschwindet im Keller. 🙂

    Ich finde, auch kleine Leute haben Achtung und Respekt verdient, mit Ihren kleinen und großen Problemen.

    Und die evangelische Leiterschaft ?
    Eine hybride Idee narzisstischer Provenienz.

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