In Nigeria gibt es Terror, weil sich die Regierung zu wenig um den muslimisch geprägten Norden kümmert – und nicht, weil es Streit zwischen Christen und Muslimen gäbe, sagt der katholische Bischof Matthew Kukah. Die Beziehungen zwischen Christen und Muslimen seien eng.
Kukah kritisierte, dass die Anschläge vorschnell als Religionskonflikt gedeutet würden. 99 Prozent der christlichen und muslimischen Nigerianer wollten nur in Frieden leben. Die radikal-islamistische Bewegung Boko Haram, die viele Anschläge verübte, sei ursprünglich nicht gegen Christen gerichtet gewesen. Hauptgegner von Boko Haram sei der Staat, der die anfangs nicht gewalttätige Organisation durch Polizeigewalt radikalisiert habe. Die Bombenanschläge treffen dem Bischof der Diözese Sokoto zufolge Christen wie Muslime. Mittlerweile seien Motive und Anhänger der diffusen Bewegung nicht mehr exakt zu bestimmen. «Boko Haram ist zu einer Marke geworden», sagte Kukah, der im September 2011 zum neuen Bischof von Sokoto geweiht wurde.
Boko Haram, was übersetzt etwa «westliche Bildung ist Sünde» bedeutet, lehnt Kukah zufolge die westliche Bildung und Kultur nicht kategorisch ab. Ihr Widerstand richte sich jedoch gegen die Dominanz des Westens in diesen Bereichen. Dabei helfe den Anhängern der Bewegung, dass viele Universitätsabsolventen in Nigeria keine Arbeit finden. Boko Haram verspreche ihnen, dass in einer islamischen Staatsform alles besser und gerechter werde.
Dem katholischen Geistlichen zufolge muss Nigeria nach langer Militärdiktatur immer noch den Übergang zu einem zivilen Rechtsstaat schaffen. Militärs und die muslimischen Eliten in Nordnigeria seien es gewohnt gewesen, die Macht in dem bevölkerungsreichsten Staat Afrikas zu haben. «Nigeria fängt gerade erst an, sich an eine Verfassungsordnung zu gewöhnen», sagte Kukah. Wenn die Regierung Recht und Ordnung durchsetze, sei dies das beste Gegenmittel gegen Gewalt.
Bislang hätten die politischen Eliten und der Staat jedoch bei der Armutsbekämpfung und der Durchsetzung von Rechtsstaatlichkeit versagt. Wegen der grassierenden Korruption vertraue kaum jemand auf die Polizei und die Gerichte. Außerdem gebe es immer mehr Landkonflikte, weil Provinzgouverneure und ehemalige Militärs willkürlich Land enteigneten. Dies erzeuge Wut bei den Menschen. Mit einem neuen Militärputsch rechnet Kukah nach eigenen Worten derzeit aber nicht.
In Nigeria leben etwa 160 Millionen Menschen. Der Norden ist mehrheitlich islamisch geprägt, während im Süden die Christen die Mehrheit stellen. In den vergangenen Jahren gab es zahlreiche Anschläge und Übergriffe, die sich auch gegen Kirchen richteten. Die Diözese Sokoto ist eine große Flächendiözese im Nordosten Nigerias mit schätzungsweise bis zu 40.000 Katholiken.
(Quelle: Derwesten.de)