Der nicaraguanische Befreiungstheologe Ernesto Cardenal setzt große Hoffnungen in Papst Franziskus. "Man kann noch sehr viel von ihm erwarten", sagte er bei einem Besuch in Bonn.
Franziskus sei dabei, "die Dinge im Vatikan auf den Kopf zu stellen, genauer ausgedrückt: Er stellt die Dinge, die verkehrt herum stehen, wieder auf die Füße", erklärte der 89-jährige Theologe und Dichter. Cardenal ist derzeit auf Deutschlandbesuch und erhält am kommenden Mittwoch in Berlin den Theodor-Wanner-Preis des Instituts für Auslandsbeziehungen für sein Lebenswerk.
"So wie Jesus auch sagte, die Ersten werden die Letzten sein und die Letzten die Ersten, so erwarte ich das auch von Papst Franziskus", sagte Cardenal. Das Handeln des heutigen Papstes sei auch ihm, der immer für die Rechte der Armen eingetreten sei, eine Lektion. "Die Lektion, dass wir uns alle verändern müssen und uns nicht nur dafür einsetzen, dass sich die anderen verändern sollten."
Cardenal erinnerte daran, dass Franziskus zur Papstwahl in der Economy Class und nicht erster Klasse geflogen sei. "Er zeigt uns allen seine Einfachheit und Bescheidenheit, indem er erst einmal bei sich selbst mit der Einschränkung und Veränderung anfängt."
Auch für ihn selbst sei das Evangelium immer die gute Nachricht für die Armen gewesen, die Nachricht von ihrer Befreiung, betonte der Theologe. Das habe ihn damals dazu geführt, die Schriften von Karl Marx kennenzulernen, dessen Ziel eine gerechte Gesellschaft auf Erden gewesen sei. "Und das war ja nichts anderes als das Himmelreich auf Erden, von dem das Evangelium berichtet: von einer gerechten, perfekten Gesellschaft ohne Klassen."
Der 1925 geborene Dichter und katholische Priester Ernesto Cardenal unterstützte die sandinistische Revolution in Nicaragua und wurde nach deren Erfolg 1979 zum Kulturminister ernannt. Nach dem Ende seiner politischen Karriere 1994 konzentrierte sich Cardenal wieder auf sein lyrisches Schaffen und ist mit Lesungen vor allem in Deutschland unterwegs.
Der Vatikan suspendierte ihn wegen seiner politischen Tätigkeit 1985 vom Priesteramt. Diesen Schritt von Papst Johannes Paul II. empfindet Cardenal auch heute noch als "völlig ungerecht". Die Bischofskonferenz in Nicaragua habe seine Beteiligung an der Regierung damals ausdrücklich genehmigt. Doch das Priestertum an sich sei nicht so wichtig für ihn. "Wir Christen sind alle Priester, Propheten und Könige, wie es im Evangelium steht", erklärte der 89-Jährige. "Für mich ist die Verbindung mit Christus, die auch die Verbindung mit Gott ist, das Wichtigste."
(Quelle: epd)