Die Kirchenspaltung in der Reformationszeit vor 500 Jahren hätte aus Sicht des Göttinger Kirchenhistorikers Thomas Kaufmann unter bestimmten Umständen vermieden werden können. „Wäre es gelungen, Luther innerhalb der römischen Kirche zu halten, dann hätte sich die Geschichte des Christentums seit dem 16. Jahrhundert völlig anders entwickelt“, sagte Kaufmann dem Evangelischen Pressedienst (epd). Stattdessen habe der Papst den kritischen Mönch und Professor Martin Luther (1483-1546) zum Ketzer erklärt und exkommuniziert.
Im Streit um Luther hatte sich die abendländische Kirche in einen evangelischen und einen römisch-katholischen Zweig gespalten. Der evangelische Theologie-Professor Kaufmann fasst die umwälzenden Ereignisse in seinem neuen Buch „Erlöste und Verdammte“ zum 500-jährigen Reformationsjubiläum 2017 auf dem jüngsten Stand der Forschung zusammen. Er ordnet das Geschehen in die europäische Geschichte der frühen Neuzeit ein und wirft einen Blick auf die Wirkung jener Epoche bis heute. Kaufmann gilt als einer der führenden Reformationshistoriker in Deutschland. Sein Werk wird vom 19. bis 23. Oktober bei der Frankfurter Buchmesse vorgestellt.
Nach der Logik des frühen 16. Jahrhunderts habe sich der Papst in Rom mit dem Bann gegen Luther eines Kritikers entledigen wollen, sagte Kaufmann: „Der Mann hat gestört.“ Durch seine Ernsthaftigkeit habe Luther „bestimmte Erscheinungen des zutiefst dekadenten römisch-katholischen Kirchenwesens der Zeit“ infrage gestellt. Luther verdanke sein Überleben vor allem der Tatsache, dass der sächsische Kurfürst ihn geschützt habe: „Ansonsten wäre er den Weg aller Ketzer gegangen, und das heißt: die Exekution durch das Feuer.“
Offene Situation um den Ablasshandel
Luther hatte Ende Oktober 1517 mit seinen berühmten 95 Thesen zum Ablasswesen eine Ereigniskette ausgelöst, die am Ende zur Gründung der evangelischen Kirche führte. Mit „Ablassbriefen“ versprach die Kirche damals den Menschen gegen Geldzahlung einen Nachlass bei den Sündenstrafen im Jenseits. Laut Kaufmann gab es anfangs hochrangige Kirchenführer, die Luthers Ablasskritik für zutiefst berechtigt hielten. Eine verbindliche Kirchenlehre vom Ablass habe es zu diesem Zeitpunkt noch nicht gegeben. „Es war zunächst eine offene Situation.“
Am Ende habe sich eine bestimmte papstzentrierte Lesart der Ablasslehre durchgesetzt und das weitere Vorgehen Roms bestimmt. Die Rechtsgrundlage, um Luther zum Ketzer zu erklären, sei sogar erst nachträglich formuliert worden – im November 1518. „Die Kirche erkennt, dass ihre disziplinarischen Möglichkeiten im Hinblick auf diesen verworfenen Ketzer nicht mehr funktionieren und gibt ihn der Verdammnis preis“, sagte Kaufmann. Luther habe dieses „Nein der Papstkirche“ dann seinerseits bejaht und die Papstkirche verworfen.