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Marburg: Hoffnung auf Toleranz

Wer zurzeit die Meldungen aus Marburg verfolgt, könnte den Eindruck bekommen, in der hessischen Kleinstadt herrscht Kampfstimmung. Doch es besteht begründete Hoffnung, dass die Sorge unnötig ist.

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Freitag, 15. Mai 2009, Marburg. In der Fußgängerzone herrscht quirliges Treiben, wie immer in der von Studenten dominierten hessischen Kleinstadt mit ihren urigen Gassen und alten Fachwerkhäusern. Wir schlendern die Fußgängerzone entlang. Einige Menschen laufen zielstrebig an uns vorbei, andere flanieren gemütlich vor den Schaufenstern oder sitzen in Straßencafés. Die Sonne scheint über Marburg – das zieht viele nach draußen. Von Anspannung keine Spur.

Es ist ohne weiteres möglich, sich in diesen Tagen in Marburg aufzuhalten und nichts Ungewöhnliches zu bemerken. Und doch gibt es ein Thema, das viele Bürger bewegt: Der Internationale Kongress für Psychotherapie und Seelsorge, der in wenigen Tagen in Stadthalle und Universität stattfinden soll.

Ende März machte der Lesben- und Schwulenverband Deutschlands (LSVD) per offenem Brief auf zwei Referenten aufmerksam, deren Organisationen Homosexualität kritisch sehen. Dass dabei Homosexualität nicht als gleichwertiger Lebensentwurf neben der Heterosexualität betrachtet werde, schade dem Ansehen der Stadt Marburg und der Universität.

Das Thema erhitzt seitdem die beteiligten Gemüter. Die einen fordern die Ausladung der Referenten, die anderen betonen die Freiheit des wissenschaftlichen Diskurses, der nur mit der Anhörung unterschiedlicher Meinungen möglich sei. Zumal Homosexualität bei diesem Kongress gar kein Thema ist – in keinem einzigen Seminar.

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Doch inzwischen hat sich die Diskussion verselbständigt. Längst ist vom „Homo-Heiler-Kongress“ die Rede. Längst sind Gegendemos organisiert, wird die Absage der ganzen Veranstaltung gefordert. Der LSVD lädt zur Kundgebung vor dem Hauptbahnhof, die Aids-Hilfe, pro familia und die hessischen Grünen werden wenige hundert Meter von der Stadthalle entfernt mit einem Stand und einer Bühne präsent sein. Die Polizei bereitet sich auf einen Großeinsatz vor.

Und wer genau hinsieht, bemerkt schon jetzt die Ausläufer dieser bunten Koalition: Vierzig Häuser wurden vor einigen Tagen mit Sprüchen beschmiert: „Stoppt den Kongress“ oder „Homophobie heilen“. Der AStA der Universität ruft die Studenten auf, an den Demos teilzunehmen und den Kongress zu verhindern. Und wer mit offenen Ohren durch die Stadt läuft, kann den ein oder anderen Gesprächsfetzen aufschnappen: „Ich habe ja gar  nichts gegen den Kongress, aber…“

Wir halten an einem Kiosk und kaufen eine Marburger Zeitung. Die „Oberhessische Presse“ berichtet von der Presskonferenz am Vortag. „Wir sind überrascht, wie viel Hass in der Debatte steckt und wie schnell Diffamierungen passieren“, sagt Dr. Dietmar Seehuber, Vorstandsmitglied der Akademie für Psychotherapie und Seelsorge. Sie veranstaltet den Kongress und verwahrt sich gegen die Vorwürfe, schwulenfeindlich zu sein.

In einer Erklärung distanziert sie sich von "pauschalisierenden Aussagen über Homosexualität als Krankheit oder Sünde", aber auch von der Etikettierung ihrer Referenten als Scharlatane. Von Kongressgegnern wie von christlicher Seite sei im Zuge der Diskussion in Internetaufrufen und Briefen verletzt und diskriminiert worden. „Wir grenzen uns davon ab und beteiligen uns nicht an dieser Art der Auseinandersetzung“, unterstreicht Seehuber. Stattdessen wolle man sich mit allen Mitteln dafür einsetzen, dass keine neuen Verletzungen entstehen.

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Insgesamt berichtet die lokale Presse sehr fair, bestätigt uns ein Marburger Christ, mit dem wir einen Kaffee trinken. Und auch Oberbürgermeister Vaupel verhalte sich besonnen und ausgleichend. Der SPD-Mann bleibe dabei, ein Grußwort zur Kongresseröffnung zu sprechen.

Andere Politiker verwenden das Thema dagegen als willkommenes Mittel für die politische Auseinandersetzung. Wir treffen uns mit Philipp Stompfe, Fraktionsvorsitzender der lokalen CDU. Er hatte öffentlichkeitswirksam eine Internet-Erklärung unterzeichnet, die sich für den Kongress stark macht. Für Aufsehen sorgte, dass die Erklärung gleichzeitig praktizierte Homosexualität „ein erhebliches gesundheitliches und psychisches Risiko“ nennt und Homosexuelle mit Drogen und Suizid in Verbindung bringt.

Der grüne Bürgermeister Franz Kahle erregte sich daraufhin in einer Ausschusssitzung und bezeichnete die Unterstützer des Kongresses als "asoziale, fundamentalistische Hassprediger und Brandstifter". Das wiederum nutzte Stompfe, um den Rücktritt seines langjährigen Kontrahenten zu fordern.

Kahle sei schon in der Vergangenheit oft gegen christliche Ansinnen zu Felde gezogen, erzählt uns Stompfe. So habe der Grünenpolitiker erklärt, es gäbe keine christliche Leitkultur in Deutschland und es dürfe sie auch nicht geben. Stompfe selbst sei traditionelles Hassobjekt der Grünen. Aber das, so der Jurist sei sein Job als Fraktionsvorsitzender.

Mit einem schalen Nachgeschmack verlassen wir das Abgeordnetenhaus. Dass der Kongress-Veranstalter APS mit der Internet-Erklärung gar nichts zu tun hat, sich sogar davon ausdrücklich distanzierte, ist den beiden Politikern nicht wichtig. Weder im grünen noch im schwarzen Politalltag ist für eingehende Recherche ausreichend Zeit, für Opportunismus dagegen genug. Dass der völlig unpolitische Kongress zwischen die Fronten der lokalen Parteipolitik geraten ist, stimmt uns missmutig.

Draußen treffen wir eine Gruppe Christen. Es ist zwei Uhr, in eineinhalb Stunden beginnt die Ratssitzung, auf der drei Anträge zum Thema behandelt werden – ziemlich weit hinten auf der Tagesordnung. Sie hoffe, sagt uns eine Frau, dass noch viel mehr Christen kommen und man drinnen die Mehrheit stellen würde. Deswegen stünden sie schon jetzt hier.

Man diskutiert über einen Kaffeedienst für die Wartenden. Es ist Demostimmung und irgendwie rechnen alle damit, dass gleich Kongressgegner auftauchen und die Christen anpöbeln. Bisher hatten sich die Tätlichkeiten nur auf Aufkleber und Graffiti an christlichen Einrichtungen beschränkt. Dass das so bleibt, glaubt hier niemand. Ein gewisser Fatalismus hängt in der Luft.

Neunzig Minuten später erweist sich die Angst als unbegründet. Zwar zog selbst die Solarsatzung, die bundesweit für Aufsehen gesorgt hatte, nicht so viele Menschen in den Sitzungsraum an der Barfüßerstraße. Trotzdem verirren sich an diesem Nachmittag neben den vielen Christen wenig auszumachende Kongressgegner ins Marburger Stadtparlament. Keine Transparente, keine Sprechchöre und schon gar keine Anfeindungen.

Als endlich das Thema dran ist, benutzt Oberbürgermeister Vaupel deutliche Worte: Marburg trete für eine Kultur der streitbaren, aber friedlichen Auseinandersetzung ein. Das Recht auf freie Meinungsäußerung bleibe für die Marburger ein unverzichtbares Grundrecht. Dazu gehöre Respekt vor dem Andersdenkenden, Fairness, Toleranz und ein Wille zum offenen Dialog. Auf allen Seiten.

Die Diskussion aber, so der SPD-Mann, habe sich auf eine Ebene verlagert, die nur mittelbar etwas mit dem Kongress zu tun habe. Die Kontroverse sei Mittel zum Zweck geworden.

Diesen Eindruck haben wir auch, als die Ratssitzung nach einigen weiteren Statements zu Ende ist. Neues hat sie nicht gebracht. Und außer einigen Christen hat sich auch niemand so richtig dafür interessiert.

Ein Marburger fasst es richtig zusammen: Die Kontroverse um den APS-Kongress wäre kaum eine, würde sie nicht von einigen Gruppierungen aus unterschiedlichsten Hintergründen für ihre Zwecke missbraucht. Der Kongress selbst biete zumindest keinen Grund für die entstandene Aufregung.

Als wir wieder fahren fällt mein Blick auf einen kurzen Artikel in der Zeitung, die wir zuvor gekauft hatten: Nächste Woche soll Marburg ganz offiziell von der Bundesregierung die Auszeichnung "Ort der Vielfalt" erhalten. Wer in Zukunft die Ortsschilder von Marburg passiert, soll die Auskunft erhalten: Marburg ist tolerant und weltoffen.

Wir hegen die Hoffnung, dass man dies auch nach dem Kongress und seinen Gegendemos mit gutem Gewissen sagen kann.

(Quelle: jesus.de)

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