Klimaschutz, Migration oder Gendern: Viele Themen spalten zurzeit die Gesellschaft. Eine christliche Initiative versucht nun, Menschen mit unterschiedlicher Meinung wieder zusammenzubringen.
Von Johannes Schwarz
Kontroverse Themen, die Familien, Freunde und die Gesellschaft spalten, gibt es zur Genüge: Klimaschutz, Krieg in der Ukraine, Migration, Inflation und viele weitere. Oft genug haben sich Menschen zurückgezogen und in ihren Filterblasen eingerichtet. Eine kirchliche Initiative möchte hier nun ansetzen und Menschen mit unterschiedlicher Meinung wieder zusammenbringen. Unter dem Namen #VerständigungsOrte und dem Motto „Wir. Reden. Hier.“ möchten die Evangelische Kirche in Deutschland, die Diakonie Deutschland und die Evangelische Arbeitsstelle midi einen Aufbruch zu mehr Verständigung, Austausch und Zusammenhalt initiieren.
Gegenüber andersLEBEN erklärte Walter Lechner, midi-Referent für Sozialraumorientierung: „Wir wollen Menschen ermutigen, sich auf ein Gespräch einzulassen mit anderen, die ganz anders denken.“ Die Initiative möchte lokale Kirchengemeinden und Gemeinden einladen, große oder kleinere Veranstaltungen durchzuführen, in denen Verständigung gelebt wird. „Es geht vor allem darum, dass Menschen mit ihren persönlichen Geschichten Raum finden“, sagt Lechner. Sich auszudrücken und anderen anzuvertrauen sei der erste Schritt für einen gewinnbringenden Austausch. Wichtig sei außerdem, dass am Ende nicht das Ergebnis stehen muss, dass die unterschiedlichen Positionen von allen geteilt werden, sondern dass Meinungen im Raum „stehen bleiben können“. #VerständigungsOrte ist im Juni 2024 unmittelbar nach der EU-Wahl gestartet. Mittlerweile hat die Initiative Fahrt aufgenommen. Die Organisatoren hoffen darauf, dass die Haltung des Zuhörens und des Austausches die nächsten Jahre bestimmt, sodass sich die Gesellschaft auf eine positive Zukunft verständigen kann – ohne Spaltungsprozesse.
„Die Kirche hat einen großen Reichtum und Schatz, den sie einbringen möchte.“
Kommunikation: Schatz der Kirche
Anders als viele Förderprogramme für demokratische Prozesse und Diskurs-Initiativen werden Kirche und Diakonie als parteiübergreifende Orte gesehen. Das verbinde Menschen und wirke integrativ, davon ist Lechner überzeugt.
„Die Kirche hat einen großen Reichtum und Schatz, den sie einbringen möchte.“ Allen voran sei die Kommunikation zu nennen. Kirche und Diakonie seien von Anfang an „Kommunikationsagenturen“ gewesen. „Markenkern ist das Kreuz und das steht für eine Kommunikation vertikal mit Gott und horizontal zu den Menschen.“ Die Stärke der Kommunikation soll in #VerständigungsOrte spürbar werden. So können Austausch und Versöhnung über menschliche Grenzen hinweg möglich sein. Kirche habe durch ihre DNA den Auftrag, den verbindenden Austausch der Menschen zu fördern. Doch möchte man sich nicht als machtvolle Institution gebärden, sondern mit den Menschen auf Augenhöhe ins Gespräch kommen.
Von Krieg bis Stadtpark
Bei #VerständigungsOrte-Veranstaltungen, ob groß oder klein, gibt es viele Themen, die heiß diskutiert werden. Allen voran sind es aber die großen gesellschaftlichen Fragen, die bei den Gesprächspartnern Emotionen und oft sehr klare Meinungen hervorrufen. Etwa: Krieg in der Ukraine, Migration, Klimawandel, sozial-ökologische Transformation, Inflation, soziale Gerechtigkeit, Geschlechtergerechtigkeit, Gendern, Israel und Gaza und viele weitere Themen. Oftmals prallen hier zutiefst unterschiedliche Meinungen aufeinander. Doch die Initiatoren hinter #VerständigungsOrte haben immer wieder gemerkt: Dieser Austausch tut der Gesellschaft gut. Überhaupt mit anderen Meinungen konfrontiert zu werden, regt dazu an, einmal seine Meinung zu hinterfragen. Das wiederum tut der Demokratie gut – offen zu sein für neue, andere Gedanken.
Doch nicht nur die großen weltpolitischen Themen finden sich in den vielfältigen Veranstaltungen wieder, sondern auch immer wieder konkrete lokale Themen. Zum Beispiel die neue Umgehungsstraße oder der vermüllte Stadtpark. Lechner zeigt sich gerade von diesem ortsbezogenen Austausch begeistert: „Das sind die entscheidenden Lebensfragen der Menschen und es ist großartig, dass sie das in diesem Format debattieren können und wollen.“ Es gibt themenbezogene Veranstaltungen, doch auch immer wieder solche, bei denen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit ihren Themen kommen können.
„Kirche ist immer auch politisch – wenn auch nicht parteipolitisch“
Material steht zur Verfügung
Die Kirchen und Gemeinden vor Ort sind bei der Programmplanung einer Veranstaltung nicht auf sich allein gestellt. Auf der Webseite von #VerständigungsOrte finden sich viele Materialien, die genutzt werden dürfen. So können Angebote und Handreichungen zu unterschiedlichen Themen entdeckt werden – etwa zu Frieden und Krieg, zu Demokratie und Rechtsextremismus, zu Verschwörungserzählungen oder auch zum Thema Klima. Hier können lokale Veranstalter zum Beispiel nachlesen, welche Möglichkeiten es gibt, sachlich und klar über den Klimawandel zu sprechen. Die umfassende Materialsammlung wächst beständig weiter. Als hilfreich wird auch Material zur Gestaltung von Diskursprozessen wahrgenommen.
Auf der Webseite findet sich außerdem ein Aufruf der Organisatoren, an der Initiative teilzunehmen und deren Möglichkeiten zu nutzen. Im Aufruf heißt es: „Wir sind zuversichtlich, dass auf diese Weise Kirche und Diakonie einen wichtigen Beitrag zu einer demokratischen und menschenfreundlichen Gesellschaft vor Ort leisten können und Gottes Geist Räume zur Wirkung und Entfaltung findet.“ #VerständigungsOrte möchte bewusst den gesellschaftlichen und politischen Raum mitgestalten. „Kirche ist immer auch politisch – wenn auch nicht parteipolitisch“, erklärt Lechner. Gerade weil Kirche auf der Grundlage des Evangeliums relevant sein und für die Menschen einen Unterschied machen wolle, beschäftige man sich mit gesellschaftlichen Themen. Ziel sei es, dass lokale Kirchen und Gemeinden #VerständigungsOrte nicht als zusätzliche Aufgabe verstehen, sondern Kirche dadurch ihrer immerwährenden Aufgabe als Kommunikationsort gerecht werden kann.
2025 mit größerer Kampagne
Mit #VerständigungsOrte soll noch lange nicht Schluss sein. Im Laufe des Jahres 2025 soll es eine Social-Media-Kampagne geben. Die Idee und die Haltung, einander zuzuhören und miteinander ins Gespräch zu kommen, soll weiter in die Breite getragen werden. Gerade die digitalen Angebote werden ausgebaut, etwa ein Coaching, um die Akteure vor Ort zu unterstützen. In verschiedenen Regionen Deutschlands werde es gezielt Großveranstaltungen zu unterschiedlichen Themen geben – im Mittelpunkt stehen dann ländliche Räume.
„Wir hoffen, dass mittelfristig auch andere gesellschaftliche Akteure – zum Beispiel andere Religionsgemeinschaften, Bündnisse, Gewerkschaften oder Medien – sagen: Das ist etwas Gutes, was hier losgetreten wurde“, sagt Lechner. Vielleicht sei ein gesamtgesellschaftlicher Aufbruch hin zu mehr Verständigung möglich. Denn das ist und bleibe das Ziel: Orte der Verständigung entdecken und gestalten. Eine Gesellschaft, die es schafft, sich immer wieder neu zu verständigen, hat eine gute Chance auf eine positive Zukunft, davon sind die Organisatoren der Kirche und Diakonie überzeugt. Einander zu begegnen, einander zuzuhören und einander zu erzählen, sei das beste Ziel. Doch für Lechner ist auch klar: „Wir haben es nicht komplett in der Hand. Wir hoffen stets auf den Heiligen Geist.“
Johannes Schwarz ist Chefredakteur der Zeitschrift andersLEBEN.
Die kirchliche Initiative möchte Menschen mit unterschiedlichen Meinungen zusammenbringen und einen Austausch initiieren. Auf der Webseite der Initiative finden sich neben Erklärungen, Praxisbeispielen, hilfreichen Tipps und Terminen auch umfangreiches Material, das von Kirchen und Gemeinden genutzt werden kann.

Dieser Artikel stammt aus der Zeitschrift andersLEBEN, die wie Jesus.de ein Angebot des SCM Bundes-Verlags ist.
Erst nur wenige Skandalprobleme bearbeiten
Auch wenn die Absicht und das Ziel logisch und wichtig sind, habe ich doch grundsätzlich Zweifel, es thematisch so breit gestellt anzugehen wie es auf der Welt und bei uns Probleme gibt. Dabei ist das Ziel ehrenwert. Nämlich: Wie schaffe ich es, meine eigene Auffassung nicht als absolute Wahrheit anzusehen? Kann es zwei entgegengesetzte Absolute Wahrheiten geben? Was ist überhaupt Wahrheit und was ist nur eine Meinung??
Grundsätzlich sagt uns jede Psychologin und jeder Psychologe unisono, daß Auseinandersetzungen gegen WERTE UND NORMEN formal auf der argumentativen Ebene schwierig in Toleranz veränderbar sind. Da müssen wir ehrlich sein. Wir alle haben unsere unverrückbaren Grundsätze des Denkens. Meine Position ist diejenige von politisch (eher) links, theologisch/christlich aber deutlich wertkonservativ. Ich bin der Überzeugung, daß unser (fast aller) jüdisch-christlicher Hintergrund deutlich emanzipatorisch ist. Da begegnet uns biblisch Abraham auf seinem Weg in das Land der Freiheit, wo es Milch und Honig gibt. Oder Moses als Revolutionär, der die Kinder Israels mit Gottes starkem Arm aus ihrer Versklavung befreit. Wir dürfen niemand versklaven bzw. missbrauchen und Freiheit von Unterdrückung und Fremdbestimmung ist grundsätzlich essentiell. Jesus als der Menschensohn und Messias Gottes setzt hier den Maßstab noch höher: Wir sind auch seelisch befreit von jeder Bringschule Gott gegenüber. Es ist alles vergeben und Gläubige sollten daher versuchen, den Weg Jesu als eigenen Weg zu beschreiten mit dem Motiv der Dankbarkeit gegenüber Gott, für das große Geschenk seiner völlig unverdienbaren Liebe. Aber gerade weil Gott Liebe ist, bin ich entschiedener Gegner der Abtreibung. Ich hasse den Schwangerschaftsabbruch, aber nicht Menschen die es tun. Die Ideologie „mein Bauch gehört mir“, halte ich auch für sehr dümmlich.
Ich würde mir wünschen, wir würden kirchlich-diakonisch in Gesprächsformate eintreten, die praktisch nicht jedes Thema – wie etwa gendern – hier bearbeiten. Es geht um die kirchlichen Jahrhunderte alten Themen, die immer noch Menschen verletzen und/oder die vorallem mit unserem Überleben in unserer Welt zu tun haben. Daher nur ganz kurz eine Reihenfolge der Themenangaben nach meiner Überzeugung: 1) Kampf gegen die Klimakrise: Warum ist das Thema politisch momentan tot und wir schlittern in große Katastrophen. 2) Krieg und Frieden: Weshalb geschieht so wenig kräftige und konsequente Diplomatie und werden wir zwangsläufig zu Befürwortern des Krieges bis zum Abwinken. 3) Warum bleiben nicht unterschiedliche sexuelle (auch biologische) Orientierungen nicht medizinisch-biologisch, sondern sind gegen Menschen ausgerichtet, die anders sind als wir Normalos. Ich würde es bei diesen Themen erstmals belassen. Auch da geht es um Werte und Normen, vielleicht auch gegenläufige Normen, etwa ob der Markt es macht, so ob wir die Welt zum Überleben und Hinterlassen einer lebenswerten Welt anders reformieren müssen. Ich will nicht unerwähnt lassen, dass Christ:innen immer glauben, daß sie zu allem Tun die Hilfe Gottes benötigen, daß aber unser Leben in dieser Welt uns auch automatisch vor dem Aufgabe stellt, die himmlischen Schulaufgaben zu machen. Allerdings müssten solche Gesprächsformate bis in jede Gemeinde heruntergebrochen werden und nicht für für wenige Ort/Gelegenheiten bestimmt sind und dort intellektuell bearbeitet werden.