In der Mission spielt Europa nicht mehr die entscheidende Rolle, erklärt DMG-Missionsleiter Simon Bohn im Interview. Heute leben 70 Prozent der Christen im globalen Süden. Das verändert vieles.
Simon, seit acht Jahren begleitest du Missionare in Nord- und Südamerika und bist seit 2022 Missionsleiter der Deutschen Missionsgemeinschaft. Was begeistert dich an deiner Arbeit?
Ich finde es ein wahnsinniges Vorrecht, zu sehen, was Gott weltweit tut und Teil davon zu sein. In der Personalleitung der Missionare in Amerika begeistert es mich, ins Leben von Menschen hineinzuschauen, Freude und Leid zu teilen und zu sehen, was Gott tut und wie er Menschen verändert.
Was verstehst du unter dem Begriff „Mission“?
Mission ist zuallererst begründet durch Jesus Christus und sein Wort: „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch.“ (Johannes 20,21) Dann muss man schauen: Wie hat Jesus seine Mission verstanden? Nicht, dass wir jetzt zum Erlöser oder Messias werden. Aber wie er auf Menschen einging, wie er geholfen und letztlich immer auf Gott hingewiesen hat. In allem, was er getan hat, war der Schwerpunkt, dass Menschen in Beziehung zu Gott kommen. Das halte ich für das Wesentliche in der Mission und das geht durch Wort und Tat. Beides spricht zu den Menschen, damit sie erreicht werden mit dem Evangelium.
In allem, was Jesus getan hat, war der Schwerpunkt, dass Menschen in Beziehung zu Gott kommen.
Wer schon mit großen Konzernen oder in der Politik zu tun hatte, merkt: Man kommt nicht einfach in diese Kreise rein. Ich finde es so phänomenal, dass der Schöpfer – der Chef aller Chefs – auf diese Welt kam, um eine Beziehung zu uns herzustellen. Das ist die beste Botschaft: Dass es gelingendes Leben gibt – auch über den Tod hinaus –, weil es jemanden gibt, der uns erschaffen hat und der weiß, was für uns gut ist. Mein Wunsch ist, dass jeder davon hört und dann aktiv die Entscheidung treffen kann: Das will ich – oder das will ich nicht.
Eben hast du schon angesprochen: Wir sind nicht der Erlöser. In der Vergangenheit hat die Kirche aber auch viel kaputt gemacht mit dem, was sie „Mission“ nannte. Ist es nicht überheblich, zu denken: „Wir bringen euch die Wahrheit?“
Überheblichkeit, Besserwisserei, zu meinen, man würde Menschen zu ihrem Glück zwingen – das ist in der Missionsgeschichte leider oft geschehen. Da haben wir als Missionare und Missionen sicher Schuld auf uns geladen und müssen immer wieder um Vergebung bitten. Wir merken, was im Menschen drinsteckt: der Ethnozentrismus. Und immer zu meinen, dass die eigene Überzeugung die wahre Überzeugung ist. Wir bringen unsere kulturelle Prägung mit und verwechseln dann: Was ist meine Kultur und was ist Evangelium?
Auf der anderen Seite muss ich sagen: Es heißt oft, dass Mission Kultur zerstört. Ja, Mission „zerstört“ – wenn sie gut ist. Sie zerstört schlechte Gewohnheiten. Egal, wo man herkommt, jeder hat so seine Macken. Da ist es gut, wenn andere Kulturen reinkommen und das mal hinterfragen. Wir hier im Westen sind zum Beispiel extrem individualistisch geprägt, und wir sehen, was die Folgen sind: eine Ellenbogengesellschaft. Es geht nur noch um mich, totale Isolierung. Viele Menschen leiden unter Einsamkeit. Wenn Missionare aus dem globalen Süden nach Deutschland kommen, verändern sie einen Teil unserer Kultur – aber zum Positiven. Es hat also immer zwei Seiten.
Wie sieht Mission im 21. Jahrhundert aus?
Vor 100 Jahren lebten 80 Prozent der gesamten Christenheit in Europa und Nordamerika – heute sind es nur noch etwa 30 Prozent. Das heißt, 70 Prozent der Christen leben im globalen Süden und dadurch verändert sich der Leib Christi. Das wirkt sich auch auf die Missionsarbeit aus.
Für uns bedeutet das: Wir werden ein bisschen von unserem hohen Ross heruntergestoßen. Ich glaube, es tut uns auch gut, Demut zu lernen und nicht als die Besserwisser zu kommen, sondern gemeinsam unterwegs zu sein. Ein argentinischer Missionsleiter hat zu mir gesagt: „Der Staffelstab der Mission ist jetzt an uns übergegangen.“
Wir im Westen haben Mission stark organisiert. Im globalen Süden ist Mission eine Bewegung. Es braucht beides und das Spannende ist die Frage: Wie kriegen wir das zusammen? Auf der einen Seite tut es natürlich weh, weil unsere gewohnte Art zu evangelisieren oft nicht mehr funktioniert. Aber ich sehe eine riesige Chance in dem, was auf uns zukommt.
Wie wird man denn Missionar?
Letztlich bedeutet Mission einfach: Ich laufe hinter Jesus her zu den Leuten, mit denen ich in Kontakt komme, und lade sie ein: „Hey, Jesus ist so phänomenal, komm doch mit!“ Deshalb ist die erste Missionsvorbereitung, das Leben Jesu zu studieren und ihn kennenzulernen. Er ist das Urbild von Mission. Wenn man nicht weiß, was sein Anliegen ist, wird man immer am Ziel vorbeigehen. Aber wenn man die Liebe, den Respekt und die Klarheit, die Jesus hat, in seinem Leben umsetzt, hat man eigentlich schon alles an Vorbereitung, auch fürs Ausland. Herauszugehen aus seinem Kontext ist aber nicht für jeden die Berufung. Letztlich ist jeder in der Mission Gottes beteiligt, manche zu Hause, andere im interkulturellen Dienst.
Mission bedeutet: Ich laufe hinter Jesus her zu den Leuten, mit denen ich in Kontakt komme, und lade sie ein, mitzukommen!
Christen sind aber auch nicht in jedem Land gerne gesehen und werden teilweise sogar verfolgt. Ist Mission in solchen Ländern nicht möglich?
Jesus hält sich an keine Grenzen und keine Regierungsgesetze. Das finde ich faszinierend, beispielsweise in der muslimischen Welt: Er kann Leuten auch im Traum begegnen und oft geschieht das! Mission geht also über unsere Aktivität hinaus. Auf der anderen Seite will Gott uns aber mit hineinnehmen. Tatsächlich ist es schwierig, in viele Länder hineinzugehen. Oft ist das, was abstoßend ist, aber nicht das Christsein, sondern einfach das westlich-Sein.
Wir müssen Mission generell neu denken. Es geht nicht darum, ein Land zu erreichen, sondern die Menschen. Und da sehe ich so viele Möglichkeiten wie kaum in der Geschichte zuvor. Mich fasziniert zum Beispiel die internationale Studentenarbeit. Im letzten Wintersemester waren 460.000 internationale Studierende in Deutschland – an erster Stelle aus Indien, dann China, Syrien und der Türkei. Was für eine geniale Möglichkeit!
Es geht nicht darum, ein Land zu erreichen, sondern die Menschen.
Du warst selbst lange als Missionar in Peru unterwegs. Welchen Herausforderungen bist du dort begegnet?
Ich glaube, die größte Herausforderung im interkulturellen Dienst ist erstmal, dass ich selbst hinterfragt werde: Mit dem wie ich bin, wie ich meinen Glauben lebe, wie ich die Bibel verstehe. Das ist harte Arbeit und tut weh. Und da, wo Gott wirkt, gibt es viel Anfechtung und Gegenwind. Es ist immer wieder ein Ringen: Wer ist der Sieger, wer hat wirklich das Sagen auf dieser Welt? Das kann ganz schön an die Substanz gehen.
Und was waren positive Erfahrungen?
Das Ergebnis dieser Kämpfe. Es gibt selten einen Sieg ohne Kampf und ich glaube, im interkulturellen Dienst wird man persönlich und geistlich noch mal ganz anders herausgefordert. Das bringt uns aber letztlich, wenn es gut läuft, näher zu Jesus.
In Peru war ich zum Beispiel zuständig für eine Bibelschule. Ich habe immer darauf geachtet, das Essen rechtzeitig auf dem Tisch zu haben und dass alles gut vorbereitet und pünktlich ist. Irgendwann hat sich ein indigener Bruder neben mich gesetzt und gesagt: „Simon, ihr Deutschen habt keine Liebe.“ Aus meinem Verständnis habe ich das alles aus Liebe heraus getan, aber für ihn ist Liebe, dass man sich hinsetzt und Gemeinschaft pflegt. Da habe ich gemerkt: Wenn ich in die Bibel schaue, muss ich ihm viel mehr Recht geben als mir. Das sind schmerzhafte Momente, die aber letztlich heilsam sind. Es ist ein gemeinsames Ringen: Was sagt Gottes Wort wirklich?
Vielen Dank für das Gespräch!
Die Fragen stellte Malin Georg. Sie ist Volontärin bei Jesus.de und dem Family-Magazin.
Einladung sich dem Freundeskreis Jesu anzuschließen
Ich finde den Artikel sehr gut und voll zutreffend. Die Zahl von 30% (praktizierender) Christinnen und Christen ist m.E. für unseren wohlhabenden Teil der Erde nicht richtig. In Deutschland wurden 1970 bis heute von den beiden Kirchen etwa 1% bis 3% der Mitglieder mit dem Evangelium als die Kerngemeinde erreicht (also in Form der Berufschristen, Ehrenamtlichen, Gewählten, Gottesdienstbesuchenden und über viele Gruppen, Kreise, Veranstaltungen und alle modernen Medien). Freikirchen, heruntergerechnet auf ihre Größe, dürften aber leider auch nicht mehr erreichen. Aber
leider bleiben sie aber heute (aus Gründen des Traditionsabbruches) wir nicht mehr von der Wiege bis zur Bahre aus traditionellen Gründe dabei. Die Kirchenmitglieder, vorallem wenn sie Glauben nicht verstehen können, verlassen „das alte Schiff das sich Gemeinde nennt“, in Deutschland und vermutlich auch Europa, in großen Scharen nach Volljährigkeit. Freikirchen beklagen hier auch, daß der Zustrom leider deutlich geringer wird.
In allem was Jesus getan hat, war der Schwerpunkt, dass Menschen in Beziehung zu Gott kommen. Dass 70% der Menschen im globalen Süden allerdings auch Christen sind, wäre sehr erfreulich, ich halte aber diese Zahl für in Wirklichkeit viel zu hoch. Unbedingt ist folgendes relevant: „In der Vergangenheit hatten die Kirchen aber auch viel kaputt gemacht mit dem, was sie „Mission“ nannten. Ist es nicht überheblich zu denken „Nur wir bringen euch die Wahrheit?“ Zu den Methoden von Evangelisation bzw. Mission gehört neben der Predigt m. E. ebenso guter Dialog, in dem sich Menschen ernstgenommen fühlen. Relevant und hier an erster Stelle stehend, ist die Einladung sich der Karawane der Christenheit anzuschließen.
Glaube ist sodann ein sehr großes Vertrauen in Gott und besteht darin, Gott, den Nächsten und sich selbst zu lieben. Die beste Bibel und auch die richtigste Form der Mission dürfte sein, wenn Christen gemeinschaftlich ihren Glauben exemplarisch leben und damit wesentlich eine Bibel auf zwei Beinen sind. Sehr relevant ist die gute Werbung für eine Freundschaft mit Jesus, der die Liebe Gottes in Person war/ist. Das Ziel christlicher Religion ist daher immer die Liebe, die durch unseren Schöpfer in allen erschaffenen Dingen wirkt, nicht nur auf Erden, sondern im gesamten fast unendlichen Universum. Gott ist eine allesumfassende Macht und niemand vermag tiefer zu fallen als in seine geöffneten Hände. Daher haben Gläubige an Gott großes Urvertrauen. Christinnen und Christen sind daher nach Luthers Meinung die freiesten Menschen auf unserer Erde. Zudem haben neben dem Christentum auch die jüdischen Geschwister im Glauben an den einen Gott eine emanzipatorische Tradition. Moses befreite mit Gottes Hilfe die Israeliten aus der Versklavung durch Pharao und Jesus die Seelen von unserer Schuld, die Liebe nicht wirklich hier gelebt zu haben.
Hallo!
Dann werden demnächst Missionare aus dem Süden in Europa missionieren, so wie früher deutsche (und europäische) Missionare in den Süden zur Mission gingen.
Gruß,
Peter