Statt sündhaft knapper Kostüme gibt es das Wort Gottes auf T-Shirts, statt Anmache Taufen am Strand von Copacabana. Evangelikale in Brasilien laden zum Karneval der anderen Art. Indes sparen die Sambaschulen nicht mit Kritik an den Politikern.
Mitten im brodelnden Karneval bewegt sich ein ganz untypischer Umzug durch Rio de Janeiro: Statt wilder, knapper und hautenger Kostüme tragen die Karnevalisten weite T-Shirts mit christlichen Botschaften. Alkohol ist verpönt, zur Erfrischung ist nur Wasser erlaubt. Am Rand des Zuges werden große Fahnen geschwenkt, auf denen Jesus gepriesen wird. „Wir wollen die Liebe Gottes auf die Straße tragen“, sagt eine Frau, die vom Tanzen etwas außer Atem ist. „Rio soll von all der Gewalt, von Kriminalität und Lieblosigkeit befreit werden“, ruft sie noch, bevor sie von der Menge wieder mitgerissen wird.
Die Stimmung ist ausgelassen wie im Rest der Stadt, die sich seit Tagen in einem ununterbrochenen Karnevalsrausch befindet. Erstmals haben evangelikale Kirchen zu einem eigenen Umzug am legendären Copacabana-Strand aufgerufen. Hunderte tanzen am Montagmittag bei fast 40 Grad zu Gospel- und Rockmusik. Vom Lautsprecherwagen aus wird „das Volk Gottes“ gemahnt, sich keinen Versuchungen hinzugeben, sondern sich in den Karnevalszug einzureihen.
„Wir wollen auch und gerade beim Karneval die Botschaft von Jesus Christus verkünden“, sagt Bruno Barreto. Er hat bei der Organisation des Umzugs geholfen und ist Gottesdiensthelfer in der Pfingstkirche „Bola de Neve“, zu deutsch „Schneeball“. Es ist eine von Hunderten evangelikalen Kirchengemeinden, die in Brasilien sehr populär sind und im Gegensatz zur katholischen Kirche regen Zulauf haben.
Das Motto des Umzugs ist Manna. Barreto zeigt auf die vielen T-Shirts mit dem Schriftzug: „Manna war ein Geschenk Gottes im Alten Testament. Jesus hat sich später selbst als Himmelsbrot bezeichnet. Diese frohe Botschaft wollen wir mitteilen, als Alternative zu Drogen und Gewalt“, erklärt der 28-Jährige eindringlich.
Die Karnevalshochburg Rio de Janeiro ist ein Beispiel für den zunehmenden Einfluss der Evangelikalen in Brasilien. Marcelo Crivella, Bischof der Pfingstkirche Igreja Universal, ist seit gut einem Jahr Bürgermeister. Wie viele andere strenggläubige Politiker vertritt er konservative Werte und wettert gegen Homosexualität und gleichgeschlechtliche Ehen.
Im Gegensatz zum vergangenen Jahr willigte er diesmal ein, dem Karnevalskönig Momo zu Beginn der närrischen Tage den Stadtschlüssel zu überreichen, bevor er sich zu einer Reise nach Europa verabschiedete. Doch den berühmten Sambaschulen kürzte er die staatlichen Zuschüsse um die Hälfte und machte sich damit viele Feinde. Crivella ist einer der Gründe, warum der Karneval 2018 so politisch ist wie schon lange nicht mehr: Auf zahlreichen Wagen ist der Bürgermeister in einem Teufelskostüm zu sehen. Und die legendäre Sambaschule „Mangueira“ defiliert im Sambadrom mit der Botschaft „Bürgermeister, Sünde ist es, beim Karneval nicht mitzufeiern“.
Auch der unbeliebte konservative Präsident Michel Temer ziert einen der großen Karnevalswagen. Die Sambaschule „Paraíso do Tuiuti“ stellt ihn als Vampir dar, der mit seinen Wirtschaftsreformen das Land ausbluten lässt. „Mein Gott, ist die Sklaverei wirklich vorüber?“ lautet der Refrain.
Im Gegensatz dazu sehen sich die Veranstalter des evangelikalen Umzugs als unpolitisch an: „Nein, hier geht es nicht um Politik. Wir halten uns strikt an das Wort der Bibel“, antwortet Roberto Igut, Pastor der „Bola de Neve“-Kirche in São Paulo. Zwar möchte auch er die Welt verändern, aber auf anderem Weg. Seine vor knapp 20 Jahren gegründete Kirche mit inzwischen rund 400 Gemeinden in allen Landesteilen setzt auf Jugendarbeit. „Wir gehen auf die jungen Menschen zu, motivieren sie zum Skaten, Surfen oder anderen Sportarten, um sie weg von den Drogen und hin zu Gott zu bringen. Deswegen sind wir jetzt auch beim Karneval dabei“, erklärt Pastor Igut.
Zum Abschluss des Umzugs nutzt Pastor Erick die Strandnähe für Taufen. Er bahnt den Gläubigen einen Weg durch die sonnenbadenden Badegäste. Mehrere Gläubige tauchen ins Meerwasser und nehmen sichtlich gerührt die Taufe entgegen. Das Schneeball-System der Pfingstkirchen scheint auch während des Karnevals zu funktionieren.