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Corona-Krise: Mehr Zukunftspotenzial für Kirchen

Wieso die Zukunft der Kirche nach der Corona-Krise besser aussieht als vorher.

Von Pfarrer Steve Kennedy Henkel

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Krise, Krise, überall Krise. Wirklich, ich bin müde von dem ganzen Krisengerede und von den unzähligen Expertengesprächen, die uns die Krise erklären, ausdeuten, schön oder schlimmer reden. Vielleicht liegt es auch daran, dass wir in den Kirchen schon die letzten (eigentlich 200) Jahre so viel Krisen-Talk hatten, dass ich nicht mehr so viel Geduld dafür habe. Auch diese Krise wird einiges verändern, aber sie wird (auch diesmal) nicht das Ende sein. Im Gegenteil. Diese Krise hat die Kirchen aus der Reserve gelockt. In Rekordzeit wurde die Haltung der freundlichen Trägheit aufgegeben. Gemeinden sind vielerorts agil, dynamisch und erfinderisch geworden.

Ausprobieren wird zum Muss

Der Feind jeder Entwicklung ist die Stagnation. Jeder Anwandlung von Fortschritt werfen sich immer gleich das „Es-war-schon-immer-so“ und das „Es-kann-doch-nur-schiefgehen“ entgegen. Doch mit Corona kam eine Disruption, die diese beiden aus dem Spiel genommen hat. Es konnte nicht so weitergehen wie immer, und ob es schiefgehen würde oder nicht – Neues musste ausprobiert werden. Wirklich viele haben das Herausgerissenwerden aus dem Alltag als Chance verstanden und genutzt. Am 22. März 2020 greift in Deutschland der erste Lockdown. Gottesdienste können nicht mehr wie gewohnt stattfinden. Und so entstand ein digitaler Innovationssprung, der vorher undenkbar gewesen wäre. Binnen Tagen stellen Menschen in Gemeinden „Ersatz“ auf die Beine. Die einen legen Gottesdienste zum Mitnehmen aus. Andere bauen in kürzester Zeit ein digitales Angebot auf und werden von Woche zu Woche professioneller. Ich bin schon ein Digital Native, aber es gingen sogar viel mehr Dinge, als ich gedacht hätte. Dass Predigten auf YouTube funktionieren könnten, war ja nicht überraschend, es gibt ja auch TED-Talks und YouTube-Vorträge. Aber es ging noch viel mehr: Seelsorge via Instagram, Agape via Zoom und Segen via Smartphone. Am Ende wertet midi viele der digitalen Angebote aus und kommt zu dem Schluss: Wir haben Ostern 2020 so viele Menschen mit der Osterbotschaft erreicht, wie lange zuvor schon nicht mehr. Auferstehungsworte waren genau das, was die Menschen im Land gebraucht haben, um den Stein vor ihrem verzagten Herzen wegzurollen. Aus Dorf-, Stadt- und Landpfarrern wurden plötzlich Tele-Evangelisten.

Der Kirchturm predigt

Dass Markus Lanz, während er sich durch den späten Abend im ZDF talkt, mal auf Glaubensthemen zu sprechen kommt, ist für den bekennenden Katholiken nichts Besonderes. Dass aber die Literatin Thea Dorn im TV den Apostel Paulus zitiert, hat eher Seltenheitswert. Zu verdanken ist das einer Hamburger Gemeinde, die ein Banner mit dem Vers „Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit“ (2. Timotheus 1,7) an der Kirche angebracht hatte, an der Thea Dorn vorbeigefahren ist. So haben es viele Gemeinden – gerade mit diesem Vers – gemacht.

Die Bibel ist ein Schatz, aber einer, der mit beiden Händen aus dem Fenster geworfen bzw. eben an den Kirchturm genagelt werden muss.

Ich kann mich nicht daran erinnern, vor Corona jenseits von wiederverwendeter Werbung fürs Gemeindefest je ein Banner an einer Kirche gesehen zu haben, und ich hoffe, ich muss nicht bis zur nächsten Pandemie warten, bis es wieder passiert. Aber nicht nur heilige Worte haben den Kirchenraum verlassen – mancherorts ist die Gemeinde Gottes gleich mitgegangen und hat im Sommer, z. B. um Gesang zu ermöglichen, Freiluftgottesdienste gefeiert. Unsere Kirchengebäude sind oft Schmuckstücke, die eine ganz besondere Geschichte erzählen. Aber vielleicht brauchen wir in Zukunft öfter den Exodus der Gemeinde aus dem Schmuckstück. Denn eine lebendige, außen sichtbar feiernde Gemeinde erzählt auch eine Geschichte. Das haben viele auch mit Outdoor-Gottesdiensten oder lebendigen Krippen an Weihnachten gemacht. Vielleicht erzählt sich die Geschichte des lebendigen Gottes so sogar noch besser als durch die schmuckste Kirche.

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Nicht nur die beste Show funktioniert

Viele der neuen digitalen Formate waren gar nicht aufwendige Gottesdienste oder lange Predigten, sondern eher kurze Impulse oder kleine Gebetszeiten. Und sie haben genau deshalb gut funktioniert. Ich bin wirklich ein Fan von Glitter, und von was Gutem darf es gerne mehr sein, aber irgendwie ist es auch erleichternd zu sehen, dass es manchmal gerade die kurzen prägnanten Worte und nicht die elaborierten langen Reden sind, die bewegen. Und manchmal sind es die alten schönen oder die freien schlichten Gebete, und nicht die stundenlang erdichteten, die anrühren. Das Paradigma, nach dem nur die geilste Show heute noch funktioniere, hat sich als falsch erwiesen. Und das ist entlastend. Die viele auferlegte Isolation zu Hause hat einen ohnehin wachsenden Trend verstärkt.

Je mehr die Restriktionen sich auf die mentale Stabilität ausgewirkt haben, desto mehr haben die Themen Resilienz und Achtsamkeit an Bedeutung gewonnen.

Beides sind Themen, zu denen wir in den Kirchen etwas zu sagen haben. Es ist nicht unser Inhalt. Aber es ist quasi „Überschuss“ aus unserem Glauben und unserer praxis pietatis, aus regelmäßigem Beten, „Stiller Zeit“, Meditation, Jesus-Gebet, aus der Reflexion und dem Füreinander-da-Sein in Hauskreisen, oder aus dem – bald hoffentlich wieder möglichen – „Flow“ beim Singen oder Musizieren. Die Studie „Junge Deutsche 2021“ hat festgestellt, dass stark religiös praktizierende junge Menschen mental deutlich resilienter in dieser herausfordernden Zeit sind. Das Evangelium bleibt zeitlos, aber einiges von unserem spirituellen Angebot ist gerade schwer im Trend. Das ist ein Geschenk.

Dem Heiligen Geist Freiraum gewähren

Ja, Corona hat auch in kirchliche Haushalte Löcher gerissen und es wird vielleicht schon früher etwas weniger Geld geben als geplant. Aber perspektivisch wäre das sowieso passiert. Ein unschätzbarer Gewinn ist jedoch, dass Pfarrpersonen, Kirchenvorstände, Ehrenamtliche und Gemeindeglieder gelernt haben: Wir können auch anders als gewohnt! Und zwar gar nicht so schlecht! Es gibt Erfindergeist und Innovation landauf, landab, und wenn man sie wirken lässt, kann etwas Gutes dabei herauskommen. Eine selbstbewusste Kreativität und eine Lust, das Bedürfnis vor Ort zu treffen, wurden wie ein Geist aus der Flasche gelassen. Und sie werden nicht so schnell wieder dorthin zurückkehren. Dieser Mentalitätswechsel ist das große Kapital, das uns fit für die kommenden Jahre und Jahrzehnte machen wird. Nicht eine Million mehr oder weniger. Das ist der Grund, weshalb ich glaube, dass wir stärker aus Corona hervorgehen werden, als wir hineingegangen sind. Nicht finanziell – aber spirituell. Und das ist nun mal unser Hauptkapital.


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Diesen Artikel schrieb Steve Kennedy Henkel zuerst für das Kirchenmagazin „3E – echt, evangelisch, engagiert„. 3E erscheint regelmäßig im SCM Bundes-Verlag, zu dem auch Jesus.de gehört.

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1 Kommentar

  1. Wankende Hoffnung auf kirchliches Zukunftspotential

    Pfarrer Henkel beschreibt den Innovationsanspruch von Christ*innen bzw. Kirchen: „Diese Krise hat die Kirchen aus der Reserve gelockt. In Rekordzeit wurde die Haltung der freundlichen Trägheit aufgegeben. Gemeinden sind vielerorts agil, dynamisch und erfinderisch geworden“! Das kann ich, bis vor kurzem noch aktiver Mensch beim himmlischen Bodenpersonal, jetzt im Quasi-Ruhestand, auch aus meiner neuen kirchlichen Heimat in der Pfalz bestätigen. Es tat und tut sich was. Es gibt wunderschöne innovative Netzgottesdienste, gleichermaßen auch bundesweit und man müsste zufrieden sein. Vielleicht erfüllt sich die Hoffnung, der Schock der Krise würde die Gesellschaft insgesamt ändern und auch den kirchlichen „Schlaf der Sicherheit“ in einen neuen Schub verwandeln: Eigentlich wieder auch landeskirchlich und katholisch an die Hecken und Zäune zu gehen, mehr mit den Menschen zu leben und das Licht der Welt zu werden, das wir eigentlich sein sollten. Ich würde mir die Haltbarkeit von Erinnerungen an die Coronapandemie, obgleich sie ja noch nicht zuende ist, sehr wünschen: In Richtung von mehr Geschwisterlichkeit mit allen Menschen und wirklicher Ökumene auch mit selbstverständlich gemeinsamem Abendmahl bzw. Eucharistie. Die Komm-Struktur in unsere Heiligen Hallen müsste unbedingt durch eine Geh-Hin-Struktur verändert werden. Da sind Phantasie und Freude an neuen Möglichkeiten keine Grenzen gesetzt. Die großen Kirchen erreichen leider nur 3 bis 5 % der Gläubigen, die Kirchensteuer bezahlen und leider immer mehr austreten.

    Aber da überkommen mich auch Zweifel, wenn ich mir die Ödnis der eigenen Gemeinde ansehe. Wunderschöne Onlinegottesdienste im Großstadtbereich immer noch, frühere und wieder kommende sehr gute übergemeindliche Angebote von Kirchenmusik, Citykirchenarbeit und Lichtergottesdienste. Oder lange Orgelnächte, zu der vor den Corona-Zeiten 500 Leute kamen. Oder eine gut aufgestellte übergemeindliche Jugendarbeit mit ihren Angeboten. Aber andererseits die Schattenseite: Keine Kerngemeinde in meiner Kirchengemeinde mehr, dass heißt es gibt so gut wie keine gemeindliche Gruppen, Treffs, Gesprächskreise und alles, was eine kommunikativ Gemeinde ausmacht. Fromm ausgedrückt: Der Leib Christi wird nicht zur Lebenserfahrung, weil die Leute sich oft nur sehen in Sonntagsgottesdiensten mit zwei Dutzend älteren Menschen. Die sprechen es nicht aus, aber denken vielleicht „wir sind die letzte Generation Gottesdienst“! Präsenz der Vorkonfirmanden dort dürfte gegen Null gehen, was nicht nur an ihnen liegt. Ich würde es hoffen, es ginge ein Ruck durch die Gemeinde und auch durch die, welche langweilige, langatmige und manchmal leider grottenschlechte Predigten halten. Sie könnten es besser: Die Pfunde zu mehren statt nur zu verwalten.

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