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Eine Nonne und ein Hipster sprechen über Gott und die Welt

Gegensätze ziehen sich an: Hier der kahlrasierte PR-Redakteur Mirko Kussin im dunklen Kapuzenpulli, dort die ganz in Weiß gewandete katholische Ordensschwester Ursula Hertewich. Seit 2010 kennen sich die beiden und unterhalten sich gern und regelmäßig über Heimat und Heiligkeit, über Glaube, Luxus, Sünde, Zweifel, Sex, Freiheit und vieles mehr. Ein Interview.

Von Jörg Podworny

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Schwester Ursula, Mirko – warum ist ein gemeinsamer Auftritt von Ihnen beiden so außergewöhnlich?

Sr. Ursula: Ich glaube, wir beide irritieren die Leute, durch unsere äußere Erscheinung. Auf der Frankfurter Buchmesse haben uns manche gefragt, ob wir echt wären (lacht) oder verkleidet. Es ist einfach ungewöhnlich, dass sich Menschen zusammentun, die so unterschiedlich scheinen, und sich Gedanken machen über Gott und die Welt, das kommt nicht häufig vor.

Mirko Kussin: Und es ist eine Begegnung auf Augenhöhe. Das finde ich spannend: Gegensätzlichkeiten zusammenzubringen – und zu gucken, was dann passiert.

Allgemeiner gefragt: Welche Menschen tun sich im normalen Leben noch alles nicht zusammen?

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Sr. Ursula (schmunzelt): Ich würde sagen, die allermeisten. Ich erlebe oft, dass unser Schubladendenken so krass ist … Gestern saßen hier am Bahnhof Obdachlose, total angetrunken – und ich hab gedacht: Würdest du jetzt mit denen ins Gespräch kommen? Ich hatte leider keine Zeit, aber ich hab gemerkt: Da ist direkt eine Hemmschwelle. Und das gilt für viele Bereiche des Lebens, dass wir von vornherein nicht zuhören oder erst gar keinen Kontakt suchen – weil die anderen irgendwie „komisch“ sind oder nicht in unser Denken passen.

“Jeder hat eine Geschichte zu erzählen.“

Kann man sagen, dass das ein gesellschaftliches Problem ist?

Kussin: Ich glaub, momentan ist es ein Riesenproblem, dass sich ganz viele Lager bilden, die zwischen sich Gräben ziehen, die nicht überbrückt werden wollen. Zum Beispiel: Wir reden nicht mit der AfD! Hambacher Forst … Es gibt ganz viele Sachen, wo man sich unglaublich hart gegenübersteht, statt miteinander zu reden.

Wer sollte denn Ihrer Meinung nach unbedingt mal miteinander sprechen?

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Sr. Ursula: Viel mehr Leute! Wir hatten neulich eine Fortbildung mit einem Tätowierer. Auch erst „komisch“, oder? Und dieser Tätowierer hat gesagt: Fragen Sie doch mal die Leute, wieso sie tätowiert sind! Warum sie sich dieses Motiv haben stechen lassen. Das fand ich supergut! Jeder hat eine Geschichte zu erzählen. Und wenn wir anfangen, uns Geschichten zu erzählen – warum bin ich so geworden, was drückt das Tattoo aus? – dann kann daraus viel Leben wachsen!

Kussin: Ich fände es spannend, wenn ein Baumhaus-Bewohner aus dem Hambacher Forst mal mit dem Chef von RWE spricht – dass sie wirklich miteinander reden, statt sich nur Argumente um die Ohren zu hauen; von mir aus in einer Kneipe, bei einem Bier. Und zu fragen: Warum machst du das, was du machst?

Welche Rahmenbedingungen sind denn wichtig für ein solches Gespräch?
Kussin: Ein neutraler Boden muss es, glaube ich, sein. Ein Ort, an dem sich beide wohlfühlen. Sr. Ursula: … und die innere Haltung! Wenn ich in so ein Gespräch reingehe und meine, ich bin im Recht, der andere sowieso im Unrecht, dann geht es schief. Aber wenn ich bei mir bleiben und für das einstehen kann, was mir wichtig und heilig ist und darüber spreche – in dem Moment finden sich die unterschiedlichsten Menschen. Die innere Haltung ist extrem bedeutsam. Sonst kann ich – egal wo – mit dem anderen reden, werde aber niemals irgendeine neue Einsicht erlangen.

Ich muss also innerlich bereit und offen sein für mein Gegenüber?

Sr. Ursula: Eine Kommunikationstrainerin hat neulich gesagt: Wir sind so im Richtig-und-Falsch-Denken – das passt einfach nicht! Wenn ich einen Menschen sehe, dann gibt’s erst mal sehr wenig „nur richtig“ und „nur falsch“, sondern: Das ist meine Einstellung, meine Prägung – und deshalb ist mir das jetzt so wichtig, dass ich dafür vielleicht auch kämpfe. Aber kann ich auch akzeptieren, dass jemand einen anderen Lebensentwurf hat, ohne dass ich den direkt knüppeln muss?!

Sie sprechen von „Aha-Erlebnissen“, die Sie bei den Gedanken des jeweils anderen hatten. An welchen Punkten hat es „Klick“ gemacht?

Sr. Ursula: Ein Aha-Erlebnis für mich war Mirkos Text über Gott – den finde ich sensationell und tief. „Mein lieber Mann“, habe ich gedacht, so tief über Gott zu schreiben, so persönlich, da gehört etwas dazu – das war für mich ganz berührend!

Kussin: Ich hatte ein Aha-Erlebnis bei Ursulas Text über Heilige oder die Heiligkeit; denn er ist unglaublich einladend, weil er im Prinzip sagt, dass jeder von uns … geheiligt … ist; dass man nicht falsch oder zu gering glauben kann. Der Text drückt auf berührende Weise aus: Du bist auch Gottes Kind und geheiligt!

“Ich glaube, es gibt in dieser Welt keinen Ort außerhalb Gottes.“

Sie machen sich intensiv Gedanken über Gott und die Welt – ist Gott denn überall drin?

Sr. Ursula: Ich glaub da fest dran. Ich glaube, es gibt in dieser Welt keinen Ort außerhalb Gottes. Ich hab wirklich das Gefühl, Gott ist omnipräsent, überall da – so wie er tatsächlich ist.

Kussin: Ich denk das auch. Ich glaube, man kann Gott oder Spuren Gottes auch an den unmöglichsten Orten finden – im Fußballstadion, in einer dunklen Kellerdiskothek … das geht alles.

Sr. Ursula: Und ich muss persönlich sagen, ich hab noch nie so eine Präsenz, auch innerlich, gefühlt wie in der Zeit des Schreibens. Meine Mitschwestern haben auch viel gebetet für mich, aber da waren manchmal Gedankenblitze – das war für mich berührend und überwältigend zu spüren, wie ich da geführt worden bin. Auch wenn ich manchmal gehadert habe, wütend und genervt war, hatte ich trotzdem das Gefühl, da ist ein roter Faden. Das war beim Schreiben deutlich zu spüren und ganz wunderbar!

In einem Vortrag habe ich mal den Satz gehört: „Ich gehe den Dingen gern auf den Grund – denn da findet sich Gott, immer!“ – Tatsächlich?

Sr. Ursula: Ich glaub da dran! Für mich ist das keine Frage. Dass wir hineingenommen sind in diese Beziehung Gottes, dass wir uns von ihm gar nicht entfernen können, sondern dass er in allem drin ist und besonders eben auf dem Grund … Er ist der Grund aller Dinge, das ist tatsächlich mein Glaube. Zu Grunde gehen heißt auch: zu Gott gehen. (lächelt)

Kussin: Ich denk da ähnlich. Ich glaube auch, dass man suchen muss und dann oft da Spuren findet, wo man sie nicht erwartet. Oder wenn man in Dinge hineintaucht, tiefergeht – dann findet man Gott.

“Das Leben wird schön, wenn ich mich auf die anstrengenden Wege begebe – dann kriegt es eine Qualität, die mir guttut.“

Sie haben davon gesprochen, dass es Sie freut, wenn jemand „Bock auf Fragen“ hat – oder Gott auch mal zum Partygespräch wird. In welche Richtung wollen Sie mit Ihren Gedanken einen Schubs geben?

Kussin: Vielleicht in diese: „Seid offen!“ „Geht aufeinander zu!“ „Bewegt euch aus eurer Komfortzone heraus und guckt auch mal dahin, wohin ihr eigentlich gar nicht gucken wollt!“ Das kann sehr bereichernd sein.

Sr. Ursula: Und mir kommt jetzt gerade auch der Gedanke: „Lebt nicht unter eurem Niveau!“ Dümpelt nicht einfach so durchs Leben! Sondern stellt euch den Fragen – die wir alle haben! Ich kann das natürlich auch alles vermeiden: das Thema Tod, das Thema Gott …
Das ist alles so anstrengend. Aber es lohnt sich zu sagen: Das Leben wird schön, wenn ich mich auf die anstrengenden Wege begebe – dann kriegt es eine Qualität, die mir guttut. Gebt euch also nicht mit etwas Billigerem zufrieden! Ich hoffe, unsere Gedanken machen Lust darauf zu sagen: Fragt einfach mal tiefer!


Dieser Artikel ist zuerst in der Zeitschrift Lebenslust erschienen, die wie Jesus.de zum SCM Bundes-Verlag gehört.

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