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„Die Beziehung zu Gott ist eine Herzensbeziehung“

Heinrich Bedford-Strohm ist bayerischer Landesbischof und Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Unsere Redaktionskollegen vom Kirchenmagazin „3E“ haben mit ihm über seine Liebe zu Afrika, die Zukunft der Landeskirchen und die Gründe für sein politisches Engagement gesprochen. Außerdem erklärt der Ratsvorsitzende, warum er sich von Islam-Kritikern missverstanden fühlt.

Herr Landesbischof, Sie haben viele Ämter ausgeübt, viel gesehen und erlebt. Gibt es für Sie einen Herzensschwerpunkt?

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Ich schätze sehr den Dienst in der Ortsgemeinde und die damit verbundenen Begegnungen mit Menschen, die Seelsorge und Gottesdienste. Beerdigungsgespräche waren unglaublich dichte Momente. Ich liebe aber auch die Internationalität. In Afrika fühle ich mich inzwischen zu Hause. Die Herzlichkeit, die Zugewandtheit, die Extrovertiertheit, das Unkonventionelle ziehen mich jedes Mal wieder in den Bann.

Ihr Lieblingsland?

Ruanda. Das ist meine erste Liebe. Dort lebt mein Herz auf. Trotz der Armut ist dieses Land voll von Freude und Tatkraft und der Zukunft zugewandt. Das Land ist für mich kein Objekt der Betreuung, wo ich als reicher Mensch aus dem Westen einfliege, sondern es ist für mich eine Inspirationsquelle.

Was können wir von den Afrikanern lernen?

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Heinrich Bedford-Strohm[begeistert] Lebensfreude. Herzlichkeit. Direktheit. Gemeinschaft. Singen. Tanzen. Dass wir auch mal unseren Körper bewegen. Lebensfreude in Situationen, wo wir erstmal sagen würden: Die armen Menschen in Afrika. Mich beschämt das immer wieder, wie die Menschen, die materiell so wenig haben, so viel Ausstrahlung entwickeln. Die Ausstrahlungskraft einer Kirche hängt nicht an der Höhe ihres Budgets. Ich will die Armut nicht romantisieren, aber: Wie sehr wir manchmal aus dem Gefühl der Knappheit leben! Da hat man manchmal das Gefühl, dass wir kurz vor dem Untergehen sind. In Wirklichkeit sind wir so reich gesegnet! Dies fällt einem vielleicht erst so richtig auf, wenn man mal andere Länder gesehen hat.

Sie haben erst Jura studiert. Wie kamen sie zur Theologie?

Ich habe für mich die Bibel neu entdeckt. Ich merkte, dass das Engagement für diese Welt, diese Gesellschaft, die Benachteiligten aus einer Quelle lebt, die am Ende nicht aus uns selbst kommt. Dort, wo die Grundfragen des Lebens berührt wurden, bekam ich im Jurastudium keine Antworten. Ich musste auf freiwillige Arbeitsgruppen am Nachmittag ausweichen. Ich fragte mich: Woher kommt das Recht? Lässt sich Gerechtigkeit wirklich durchsetzen? Gibt es auch ungerechtes Recht? Über die Beschäftigung mit den Fragen hinter meinem Studium fand ich in der Bibel viele Antworten.

Die da wären?

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[leidenschaftlich] Der Mensch ist geschaffen nach dem Bilde Gottes! Das drückt für mich aus: Jeder Mensch ist unglaublich kostbar. Und dieser Satz erreicht mein Herz. So wie die Beziehung zu Gott natürlich überhaupt eine Herzensbeziehung ist. Das Wort, das mein Glaubenswachstum am meisten kennzeichnet, ist „gesegnet zu sein“. Das Wort Segen drückt für mich aus, dass das, was ich bin und habe, eben nicht aus mir selbst kommt. Ich kann zwar viel dafür tun, viel leisten, aber am Ende ist es ein Geschenk.

Die gängigen „Volkskirchenuntergangs-Prophetien“ teilen sie nicht. Dann stellen Sie doch mal eine eigene „Prophetie „dagegen, wie Kirche in Deutschland 2040 aussieht: Die Ausbildung von Pfarrerinnen und Pfarrern…

…geschieht mit theologischem Tiefgang und einer gründlichen Reflexion. Sie ist enger verzahnt mit der Praxis. Es gibt bereits im Studium Praxisphasen.

„Wir werden vermutlich weniger sein.“

Die Mitgliederzahl wird sich wohin entwickeln?

Wir werden vermutlich weniger sein, schon aus demographischen Gründen, aber eben auch weil Menschen sich heute bewusster für oder gegen die Kirche entscheiden: Vor 50 Jahren zog der Kirchenaustritt noch soziale Sanktionen nach sich, heute ist die Entscheidung für die Kirche hingegen völlig frei. Deshalb werden wir eine Kirche sein, die unabhängig von ihrer Mitgliederzahl noch viel authentischer in die Gesellschaft hineinwirkt, weil sie geistliche Strahlkraft hat.

Von der Struktur her…

…werden verschiedene Institutionen und Gemeinden noch besser zusammenarbeiten. Wir werden entdecken, dass Zusammenarbeit nicht Verlust und Gefahr, sondern Reichtum ist. Bei der Konfirmandenarbeit arbeiten bereits jetzt viele Gemeinden zusammen. Gemeinsame Konfi-Camps sind gar nicht mehr wegzudenken. Die Zusammenarbeit in der Fläche ist nicht nur Verlust, sondern eben auch ein Gewinn.

Gottesdienste?

Wir werden nicHeinrich Bedford-Strohmht mehr in jeder Kirche sonntags Gottesdienst haben, sondern wir fahren auch mal ins Nachbardorf oder einen anderen Stadtteil. Gottesdienste werden liebevoll vorbereitet und sie leben von der Beteiligung durch viele. Letzteres ist mir sehr wichtig. Jugendliche gestalten die Gottesdienste mit. Sie sind nicht nur Konsumenten oder gar nicht anwesend, sondern bringen ihre Gaben und Fähigkeiten ein. Immer wieder höre ich: „Wenn wir mitmachen können, ist es auch unser Gottesdienst.“ Vielleicht haben wir 2040 ein Amt ähnlich dessen der Ministrantinnen und Ministranten in der katholischen Kirche, wo gerade junge Leute eine wichtige Bedeutung im Gottesdienst haben.

Immer weitere Teile unserer Gesellschaft sind von Kirche und christlichem Glauben unerreicht. Wie können Glaube und Gesellschaft in kirchenfernen Milieus Gestalt gewinnen?

Das ist ganz sicher die größte Herausforderung. Unsere Gesellschaft ist pluralistischer geworden. Die Lebensstile differenzieren sich immer mehr aus. Da ist die Versuchung groß, in der Kirche alles abdecken zu wollen, das heißt für jeden Lebensstil einen Gottesdienst anzubieten. Die Pfarrer und Ehrenamtlichen geraten so unter einen großen Druck. Sie laufen Gefahr, in der Aufgabe auszubrennen. Es wird nicht gehen, dass wir für jedes einzelne Milieu passgenau ein kirchliches Angebot machen. Ein wichtiger Teil kirchlicher Arbeit wird sein, dass wir Menschen wieder zusammenbringen. Ich sehe Kirche als Ort, wo die Menschen gerade in ihrer Unterschiedlichkeit in Christus zusammenkommen. Dieses Modell kann ein Zukunftsmodell für die Gesellschaft sein.

Themawechsel. Sie äußern sich als Ratsvorsitzender und Theologe häufig politisch. Christsein und gesellschaftliches bzw. politisches Engagement gehören für sie zusammen. Wie begründen sie das?

Das Zentrale, was uns Jesus mit auf den Weg gibt, ist das Doppelgebot der Liebe. „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt. Und du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ (Matthäus 22, 37.39). Diese untrennbare Verbindung von Gottes- und Nächstenliebe ist ein wesentliches Merkmal unseres Glaubens.

Heinrich Bedford-StrohmUnd wenn dies so ist, kann es nicht anders sein, als dass Gottesdienst und Frömmigkeit immer auch heißt, alles zu tun, um die Not des Nächsten zu überwinden. Für Martin Luther war dies die zentrale Achse in seiner Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“. Wenn dies so ist, müssen wir Christen uns fragen, wie wir die Not dieser Welt überwinden können. Das kann nicht gehen, wenn wir uns aus den öffentlichen Debatten heraushalten. Wir müssen uns etwa mit der Frage beschäftigen, welche strukturellen Veränderungen es braucht, damit nicht jeden Tag 24.000 Kinder verhungern oder sterben, weil sie nicht genügend Medizin haben. Das kann uns doch als Christenmenschen nicht ruhig lassen! Die Ursachen der Not müssen angegangen werden. Deshalb kann ich mir keinen Glauben vorstellen, der die Politik außen vor lässt.

Sie haben sich zum Beispiel beim Thema „Flüchtlinge“ in die öffentliche Debatte eingeschaltet. Bundeskanzlerin Merkels Satz „Wir schaffen das!“ ist ein Politikum. Was sagen Sie?

Ich halte nichts von Diskussionen über bestimmte Sätze. Ich finde es großartig, wie viele Christen gerade im letzten Jahr ihren Glauben gelebt haben, indem sie spontan oder auch mit langem Atem in dieser Not geholfen haben. Bei meinen Reisen schlägt mir überall ein großer Respekt und große Hochachtung vor den Anstrengungen der Deutschen entgegen. Wir haben in unserem Land noch gar nicht verstanden, welchen Riesenunterschied dieses Jahr in der Welt für Deutschlands Ansehen gemacht hat. Umso mehr bedauere ich, wenn eine Stimmung entsteht, die diese Errungenschaft schlechtredet, win der Politiker die Ängste anheizen, anstatt das zu tun, was allein verantwortungsvoll wäre.

Ihr Vorschlag?

Ich plädiere für mehr Lösungsorientierung, anstatt Ängste zu verstärken und Parolen von Menschen nachzuplappern, denen es an jeglicher Empathie mangelt. Empathie muss der Grundton in diesen politischen Debatten sein, und da gibt es derzeit gravierende Defizite.

„Wenn Flüchtlinge zum Glauben kommen, freue ich mich darüber“

Derzeit kommen deutlich weniger Flüchtlinge als vor einem Jahr…

Und genau deshalb sollten wir jetzt alle Kraft in die Integration stecken, statt Scheindebatten über Obergrenzen zu führen.

Viele Flüchtlinge bekunden ein Interesse am christlichen Glauben. Wie stehen Sie zu Glaubenskursen für Flüchtlinge und zum Thema Mission unter Flüchtlingen?

Wenn Flüchtlinge zum Glauben kommen, freue ich mich darüber. Ich sehe dies auch als Konsequenz der Glaubwürdigkeit, mit der sich Christen hier der Not der Flüchtlinge annehmen. Dass Flüchtlinge nach der Quelle dieses Engagements fragen, überrascht mich nicht. Dies ist aber etwas ganz anderes, als wenn man Strategien entwickeln würde, mit denen man die Hilfe für Flüchtlinge bewusst nutzen würde, um zu missionieren. Menschen dürfen nicht zum Mittel für einen Zweck benutzt werden. Jesus war immer am Menschen um des Menschen willen interessiert. Wir müssen daher den Menschen helfen, weil sie Menschen sind und nicht, weil sie potenzielle Missionsobjekte wären.

In zahlreichen Onlineforen werden Sie für Ihre islamfreundliche Haltung massiv angefeindet. Lesen Sie diese Kritik? Und lässt einen EKD-Ratsvorsitzenden das immer kalt?

Es lässt mich nicht kalt. Es gibt zwei Kategorien der Kritik: Mit der ersten, den „Hass-E-Mails“, kann ich gut umgehen. Da sind Menschen ideologisch absolut festgelegt. Denen diene ich als Müllabladestelle. Dafür habe ich einen Ordner. Die zweite Gruppe sind Menschen, die den Eindruck haben, durch meine Islamfreundlichkeit würde der christliche Glaube hintenan gestellt. Von denen fühle ich mich missverstanden.

Ist es richtig, Muslime zu stärken und zu stützen?

Denen, die einen aufgeklärten Islam auf dem Boden unseres Grundgesetzes vertreten, sollten wir die Unterstützung nicht verweigern. Dass ich als Bischof den Islam propagiere und dafür werbe, ist absoluter Unsinn. Ich stehe fröhlich zu meinem Glauben. Immer, wenn ich mit Muslimen spreche, wissen die ganz genau, dass ich mit Leib und Seele Christ bin.

Wer inspiriert Sie? Haben Sie so etwas wie einen „Haustheologen“?

Jesus Christus ist der Einzige, an dem ich mich wirklich orientiere. Aber es gibt viele, die mir wichtige Impulse mitgegeben haben. Da würde ich Martin Luther nennen, trotz aller Fragwürdigkeiten, die man aus heutiger Sicht kritisieren muss. Dann begleitet und überrascht mich immer wieder Dietrich Bonhoeffer mit seiner Weitsichtigkeit und seiner tiefen Verbindung von akademischer Bildung und persönlicher Frömmigkeit. Auch die Befreiungstheologie eines Gustavo Gutiérrez hat mich sehr befruchtet.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Kirchenmagazin 3EDas Interview führten Pfarrer Markus Weimer, Pfarrer Sebastian Steinbach, Professor Benjamin Schließer vom Netzwerk churchconvention und 3E-Redakteur Rüdiger Jope. Die ungekürzte Version des Gesprächs können Sie in Ausgabe 4/17 des Magazins „3E – echt. evangelisch. engagiert“ lesen.
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Heinrich Bedford-Strohm (56) ist seit 2011 Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern und seit November 2014 Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland. Er ist verheiratet mit der Psychotherapeutin Deborah Bedford-Strohm und Vater von drei Söhnen.

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