Roland Werner ist Evangelist, Dozent, Buchautor, Gemeindegründer, Bibelübersetzer – und vor allem viel gefragt und oft unterwegs. „Kannst du das machen?“ Diese Frage hat sein Berufsleben geprägt. Lydia Rieß hat sich mit ihm zwischen zwei Terminen in seiner Wahlheimat Marburg unterhalten.
Ich treffe Roland Werner in dem kleinen Buch-Café „Con:Text“, das der Christus-Treff in Marburg betreibt. Für ihn ist die Anreise nicht weit, er und seine Frau wohnen im Stockwerk darüber. Trotzdem bringt er einen gepackten Koffer mit: Nach unserem Gespräch muss er sofort los, nach Berlin. Anschließend wird er nach Serbien reisen, wohin er kurzfristig für Vorträge eingeladen wurde, danach geht es gemeinsam mit seiner Frau Elke weiter in die USA und schließlich nach Ägypten. Nichts Ungewöhnliches. „Im Jahr 2017 waren wir bestimmt, wenn man es zusammenzählt, vier bis fünf Monate hier, in Marburg, den Rest der Zeit unterwegs. Ich hatte neulich eine Woche, da habe ich in sechs verschiedenen Betten geschlafen. Das macht mir aber nichts, ich kann überall schlafen.“
Zwei Dinge fallen mir schnell auf: Er wirkt nicht gestresst, obwohl er gerade erst von einer Israelreise kommt und gleich wieder aufbrechen wird, trotz einer mittelschweren Erkältung und der Tatsache, dass sein Zugticket noch nicht gebucht ist. Und ein Wort fällt sehr häufig, während wir uns unterhalten: „Wir“. Gemeint ist meistens seine Frau, aber auch die vielen Freunde im Christus-Treff Marburg, der schon seit über 35 Jahren besteht. Roland Werner ist ein Gemeinschaftsmensch in zweierlei Sinne: Er schätzt Gemeinschaft, und er schafft und fördert sie.
Das Schiff im Hafen
Angefangen hat alles in Duisburg-Beeck. Seine Mutter wohnte bereits vor Ort, sein Vater kam als Flüchtling aus Pommern dorthin, als sie sich kennenlernten. Roland wurde 1957 als zweites Kind geboren. Kirchlich aktiv wurde er bereits früh: Mit 14 Jahren gründete und leitete er mit Freunden eine christliche Jugendarbeit, die mit der Zeit sehr groß wurde. Dort lernte er schon in jungen Jahren Elke Brands kennen, die er 1983 heiratete.
„Ich habe gesagt, Gott, wenn du willst, dass ich in Deutschland bleibe, kannst du mich noch umlenken, aber ich beweg mich jetzt mal in diese Richtung nach vorne.“
Nach dem Abitur entschied er sich für ein Theologiestudium. „Es war für mich klar, dass ich weiter vollzeitlich unterwegs sein wollte.“ Bewusst wählte er für das Studium die Stadt Marburg, da es der nächstgelegene Ort war, an dem man außerdem Arabisch studieren konnte. Angeregt durch große Weltmissionstage und Begegnungen mit Missionaren, die in der islamischen Welt arbeiteten, war er zu dem Entschluss gekommen, sich neben der Theologie gezielt für einen Dienst in diesem Bereich vorzubereiten, da es dort an Hauptamtlichen mangelte. Ob das wirklich sein Weg war, wusste er noch nicht. „Mir hat mal jemand gesagt, wenn ein Schiff im Hafen festgetaut ist, kann man es nicht bewegen. Aber sobald es sich bewegt, kann man es auch nochmal umlenken. Und so habe ich gesagt, Gott, wenn du willst, dass ich in Deutschland bleibe, kannst du mich noch umlenken, aber ich beweg mich jetzt mal in diese Richtung nach vorne.“
Sprachbegabt
1976 schrieb er sich dementsprechend für Theologie und als zweites Hauptstudium für Semitistik (Arabisch) ein. Nicht erst hier zeigte sich sein besonderes und wachsendes Interesse für Sprachen und andere Kulturen: Bereits mit zwölf Jahren belegte er einen Italienisch-Sprachkurs, um sich im alljährlichen Italienurlaub besser verständigen zu können. In der Schule lernte er neben Englisch bereits die drei Sprachen, die er später für sein Theologiestudium brauchen würde: Latein, Hebräisch und Altgriechisch. Mit 16 ging es in die USA nach Seattle im Bundesstaat Washington für ein Auslands-Schuljahr. Dort erhielt er das Angebot, Schwedisch zu lernen. „Das ging aber nicht sehr weit. Ich kann gerade noch drei Lieder auf Schwedisch auswendig.“
Zurück in Deutschland beschloss er, seine Jugendgruppe für die kommende Norwegen-Freizeit sprachlich vorzubereiten. Dafür kaufte er sich ein Langenscheidt Lehrbuch auf Norwegisch, arbeitete es durch, und brachte einer kleineren Gruppe, zu der auch Elke gehörte, ein paar Grundlagen bei. Vertiefen konnte er das während seiner Studienzeit in Marburg: Dort stieß er auf einen norwegischen Bibelkreis, der ihn aufnahm. Auch seine Italienischkenntnisse kamen ihm noch einmal zugute, als er nach dem Abitur für drei Monate durch Südamerika reiste. „Da habe ich dann zweimal hintereinander das spanische Neue Testament durchgelesen. Spanisch ist ja so ähnlich wie Italienisch.“
Faszination Afrika
Seine Arabisch-Kenntnisse durfte er zum ersten Mal testen, als er während seines Studiums die Möglichkeit bekam, mit der EMO (Evangelische Mission in Oberägypten, heute Evangeliums-Gemeinschaft mittlerer Osten) 1978 ein dreieinhalb-monatiges Praktikum im deutschen evangelischen Missionskrankenhaus in Assuan in Süd-Ägypten zu machen. Er half in der Röntgen-Abteilung aus, war für ein paar Wochen sogar der Hauptverantwortliche. Die nächste Station war der Sudan. „Die sudanesische Regierung hat damals deutsche Krankenschwestern eingeladen, als Lehrschwestern in örtliche Krankenhäuser zu kommen. Ich war Teil der kleinen Gruppe, die die erste dieser Krankenschwestern 1979 dahin gebracht hat. Ich wurde 22 in der Zeit. Das war meine erste Reise den Nil aufwärts, ganz klassisch mit dem Nildampfer und Zügen und Wüstenstürmen.“
In seiner Zeit dort lernte er auch die Nubier kennen, eine Volksgruppe, die ihn fasziniert. Dieses Interesse vertiefte er, als er Afrikanistik erst als Neben- und später als Hauptfach studierte. 1986 promovierte er über eine Nord-Sudanesische Sprache, und auch sein zweiter Doktortitel in Theologie erfolgte über diesen Bereich: „In meiner zweiten Promotion habe ich mich stark mit der leider ausgestorbenen nubischen Kirche beschäftigt.“
Eine eigene Gemeinde
1981 machte Roland Werner ein Gemeindepraktikum bei der anglikanischen Kirche in Oxford. Die Erfahrungen dort, besonders die vollgefüllten Gottesdienste mit jungen Menschen, brachten ihn zum Nachdenken. Hier begann für ihn die Sehnsucht, so etwas auch in Deutschland zu haben, vielleicht sogar selbst aufzubauen. „Ich dachte mir: Das muss doch möglich sein, eine Verbindung von guter, missionarischer Verkündigung, von charismatischen Elementen, Kreativität und gleichzeitig auch eine gewisse liturgische Prägung in eine Form zu bringen.“
Im Frühjahr 1981 gründeten Roland und Elke, mit der er inzwischen verlobt war, gemeinsam mit einigen anderen eine verbindliche Gruppe, aus dem Eindruck heraus, dass Gott sie zusammengestellt habe. Diese Kommunität trifft sich bis heute regelmäßig, betet füreinander und begleitet sich gegenseitig in Glaube und Leben. Die Jesus-Gemeinschaft, so der Name, wollte überschaubar und verbindlich bleiben. Da aber immer mehr Leute Interesse daran zeigten, gründeten sie 1982 den Christus-Treff (CT), der sich jeden Donnerstagabend traf, um gemeinsam Gott anzubeten und über den Glauben zu reden. Diese Gruppe wuchs weiter zu einer eigenständigen Gemeinde mit heute über 250 Mitarbeitern und mit Ablegern in Berlin und Jerusalem, die ebenfalls bereits seit 20 bzw. 25 Jahren bestehen.
Der CT ist eine ökumenische Gemeinde im Rahmen der Evangelischen Kirche, nicht zuletzt, weil er in einer Studentenstadt wie Marburg für viele nur eine Zwischengemeinde ist. „Wir haben bewusst gesagt, wir wollen sie nicht aus ihren ursprünglichen Kirchen und Gemeinden herauslösen. Vielmehr möchten wir sie mit geistlichen Impulsen in ihre Kirchen und Gemeinden senden.“
Schwerpunkte
Aber nicht nur im CT engagierte er sich lange Jahre. Die Frage, was er beruflich macht, lässt sich für ihn schwer beantworten. „Ich bin heute ein Freiberufler mit einigen klaren Schwerpunkten.“ Er lehrt an der Theologischen Hochschule Tabor, arbeitet als Mentor, schreibt Artikel und Bücher, die sogar im Balkan weit verbreitet sind, hält Vorträge, widmet sich im Rahmen von Übersetzungs- und Forschungsprojekten afrikanischen Sprachen und hat vor wenigen Jahren eine eigene Bibelübersetzung in verständlichem Deutsch rausgebracht: „das Buch“. Die Anregung dazu kam von einem australischen Freund, der gerade zu Besuch war – und die ersten Kapitel hatte er wenige Tage nach diesem Vorschlag bereits übersetzt.
„Evangelisation ist der Auftrag der öffentlichen Verkündigung. Und dem können wir uns nicht entziehen.“
Es klingt, als sei Roland Werner ein Mann, der überall mitmischen muss. Und doch, wenn man mit ihm über seine Projekte redet, merkt man, dass er sich nirgendwo hineindrängt oder sich selbst als Person in den Mittelpunkt zu stellen versucht. Vielmehr ist er ein Mensch, der sich mit seinen vielfältigen Interessen und seiner großen Leidenschaft von Gott gebrauchen lassen möchte. Der die vielen Gaben einsetzen möchte, die ihm gegeben sind – und der all das vor allem gerne tut. Sein Herz schlägt dafür, den Menschen Gottes Liebe nahezubringen.
Das ist für ihn keine Option, sondern geht ganz natürlich mit dem Christsein einher. „Evangelisation ist der Auftrag der öffentlichen Verkündigung. Und dem können wir uns nicht entziehen.“ Deshalb ist er seit Jahren schon Mitglied der internationalen Lausanner Bewegung für Weltevangelisation, seit 2018 auch Leiter des deutschen Zweigs.
Aber auch an anderer Stelle engagiert er sich in Leitungsfunktionen, um diesem von den Kirchen vernachlässigten Thema wieder mehr Raum zu geben, zum Beispiel früher bei dem christlichen Jugendkongress Christival, bei der Evangelisationsveranstaltung Jesus House, und heute beim Gemeindefestival Spring und bei proChrist. Auch hier zeigt sich: Es ist weniger seine aktive Suche nach Projekten und mehr seine grundsätzlich offene Einstellung dazu, sich gebrauchen zu lassen, die ihn immer wieder neue Wege gehen lässt. „Wie ich da jeweils reingekommen bin, kann ich gar nicht mehr sagen. Ich glaube, wenn man bereit ist, sich zu engagieren, dann wird man irgendwann entdeckt und gefragt: Kannst du das machen?“
Gemeinsam
Mit seiner Frau Elke arbeitet Roland Werner bei einigen Projekten zusammen, aber sie haben jeweils auch eigene Projekte. „Vor zweieinhalb Jahren haben wir gemeinsam das Zinzendorf-Institut aus der Taufe gehoben, das Vorträge und Seminare zu Glaubensfragen und gesellschaftspolitischen Themen anbietet. Wir machen gemeinsame Ehepaar-Reisen. Aber im Moment ist Elke auf Costa Rica und macht da eine große Frauenkonferenz, da würde ich mich nicht so wohlfühlen. Und ich mache auch Sachen, wo sie dann sagt, das ist eher deins.“ Ihr vertrauter Umgang miteinander sorgt bei anderen auch mal für Verwirrung. „Wir kommen aus dem Ruhrgebiet, da redet man meistens klar und direkt. Als wir hier nach Hessen kamen, haben die Leute in den ersten Jahren manchmal gefragt: Wieso streitet ihr euch denn ständig? Und wir sagten, wir streiten uns nicht, wir sagen nur unsere Meinung. Wir sind auch als Ehepaar zwei eigenständige Personen, wir können doch beide unsere unterschiedliche Meinung haben, selbst in Leitungsteams.“
Die Frage nach der Wahrheit
Grundlage für das, was er tut, ist sein Glaube an Jesus Christus. „Christ-Sein ist im besten Sinn ein Lebensstil der Nachfolge. Es ist für mich eine Folge dessen, wer Jesus ist. Nicht nur ist Jesus von der menschlichen Seite her eine einzigartige Person. Er ist wirklich der Punkt, an dem sich der uns sonst unbekannte Gott, den wir nur erahnen können, in Raum und Zeit offenbart. Da ist die Schnittstelle zwischen Zeit und Ewigkeit, zwischen Himmel und Erde.“
„Ich hatte immer eine positive Einstellung zur Bibel. Und die Demut, dass die Bibel auch da recht haben kann, wo ich sie noch nicht verstehe.“
Für ihn ist dabei die Frage nach der Wahrheit sehr wichtig. „Und dann ist die Gefühlslage zweitrangig. Ich glaube, wir haben in unserer Ich-Gesellschaft heute da ein Problem. Zum Beispiel wenn Leute erleben, dass es schwer wird, Christ zu sein, bis hin zur Verfolgung. Wenn ich meinen Glauben nur von meinen Gefühlen abhängig mache, dann ist das sehr dünnes Eis. Daher ist die Wahrheitsfrage für mich ganz zentral.“
Mit der Bibel ringt er manchmal, und bis heute wirft sie für ihn Fragen auf, die er selbst als studierter Theologe nicht beantworten kann. „Aber mit dem, was ich verstehe, kann ich mich auseinandersetzen. Ich hatte immer eine positive Einstellung zur Bibel. Und die Demut, dass die Bibel auch da recht haben kann, wo ich sie noch nicht verstehe. Das hat sich entwickelt, auch im Nachdenken, und ich komme immer näher daran zu sagen: Das ist nicht nur ein einzigartiges historisches Dokument, sondern hier begegnen wir Gott selbst in seinem Wort.“
Ruhestand?
Viel Freizeit bleibt ihm bei seinem aktiven Lebensstil nicht. Aber die braucht er auch nicht so sehr. „Ich genieße doch das, was ich tue.“ Wenn er Zeit hat, dann liest er. Hauptsächlich Sachbücher, um seinen Horizont zu erweitern. Dafür nutzt er gerne auch mal das Internet. Momentan arbeitet er daran, sein Neu-Hebräisch zu verbessern, und wenn er im Auto unterwegs ist, hört er die Bibel auf Arabisch als Hörbuch.
Was er auf jeden Fall an die nächste Generation weitergeben möchte, ist eines seiner Herzensthemen: „Du kannst nur Christ sein, wenn du in Gemeinschaft bleibst. Wenn du alleine bleibst, verflüchtigt sich der Glaube nach und nach. Gemeinschaft ist wichtig. Auch wenn es schwierig ist, wenn die Menschen anders sind als ich, wenn mich etwas ärgert. Das ist eine Reifeleistung, zusammenbleiben zu können, nicht nur in einer Ehe.“
Ob er mit Anfang 60 schon langsam ans Aufhören denkt? „Wir haben ja schon vieles zurückgeschraubt, zum Beispiel haben wir vor einigen Jahren die direkte Leitung des CT abgegeben. Ich bin jetzt in einer Phase, wo ich, mehr noch als früher, weitergeben und mich in Jüngere investieren möchte. Noch sind wir voll im Schwung, aber wir denken schon darüber nach: Wie ist das in zehn, wie in zwanzig Jahren?“ Kinder konnten die Werners aufgrund von Elkes Krebserkrankung nicht bekommen. Das hat besonders in ihrer jetzigen Lebensphase Auswirkungen. „Dadurch, dass wir keine eigenen Kinder und Enkelkinder haben, haben wir das so ein wenig verpasst. Also wir sind deutlich älter geworden, aber wir haben es fast gar nicht gemerkt. Und weil wir hier ständig mit jungen Leuten zu tun haben, ist auch unser Auftritt und unser Lebensgefühl eher auf die jüngere Generation gerichtet.“
Sich zur Ruhe setzen, das kann er sich jetzt noch nicht vorstellen. „Dafür habe ich noch zu viele Projekte. Aber ich muss jetzt nicht mehr jeden Tag um 6 Uhr aufstehen. Ich hoffe, dass ich noch 20 aktive Jahre haben kann. Manche 85, 90-Jährige, die ich erlebe, ermutigen mich zu denken, dass das möglich ist, noch im fortgeschrittenen Alter im Einsatz für Gott und die Menschen zu sein. Wenn man einigermaßen körperlich fit sein darf – das ist ja auch ein Gottesgeschenk.“
Dieses Porträt ist zuerst in der Zeitschrift LebensLauf erschienen. LebensLauf wird vom SCM Bundes-Verlag herausgegeben zu dem auch Jesus.de gehört.