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Wenn Hauskreise ihr Ziel aus den Augen verlieren

Der christliche Glaube ist auf Beziehung ausgelegt. Deshalb gibt es Hauskreise.
Doch diese können durch starre Strukturen auch leblos werden.

Von Anke Wiedekind

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Ein Hauskreisabend. Eine junge Muslima stößt dazu. Sie steckt in einer schwierigen Situation, ist aber offensichtlich willens, ihr Leben in die Hand zu nehmen. Vieles versteht sie nicht, was an dem Abend gesprochen wird. Sprachlich nicht und theologisch auch nicht. Aber sie fühlt sich sichtlich wohl. Sie wird in eine Gemeinschaft hineingenommen, in der Menschen die Liebe weitergeben, die sie selbst erfahren haben. Die Wärme, die Herzlichkeit, die Integration in eine Gemeinschaft, die sie dort erfährt, das versteht sie. Und vermutlich ist dieses Signal stärker als jede sprachgewandte Predigt.

Lieben, weil ich geliebt bin. Das ist eine simple Zusammenfassung des höchsten Gebots, das Jesus für die Menschen ausgibt. Es ist letztlich die Quintessenz des Christentums. Gott, der in sich selbst Beziehung ist, als Vater, Sohn und Heiliger Geist, ist sich selbst nicht genug, sondern verzehrt sich nach der Gemeinschaft mit den Menschen. Aus diesem Grund entscheidet er sich, sich den Menschen zu offenbaren. Die Bibel erzählt diese Geschichte von einem liebenden, sich nach den Menschen verzehrenden Gott bild- und facettenreich, wie er zwischen Strafe, Drohen und Versöhnungsangebot einen Weg sucht, um mit den Menschen in Kontakt zu bleiben und letztlich in Jesus zu einem ultimativen Beziehungsangebot greift.

Familienstruktur von Gemeinde

Das Christentum ist daher dem Wesen nach eine Beziehungsreligion. Dass es Angebote braucht, in denen der Gemeinschafts- und Beziehungsaspekt gelebt werden kann, ist ein naheliegender Gedanke. Beziehung meint in der Struktur des Kreuzes immer ein doppeltes Beziehungsgeschehen: zum einen die Beziehung zu Gott (als die Vertikale), zum anderen die Beziehung zu anderen Menschen (als die Horizontale). Eben – lieben, weil ich geliebt bin.

„Es ist bezeichnend, wenn man feststellt, dass neue, potenzielle Hauskreismitglieder Mühe haben, Fuß zu fassen.“

Hauskreise greifen diesen Grundaspekt des Christseins wie kein anderes gemeindliches Angebot auf. In den Gottesdiensten stehen das Lob Gottes und die Lehre im Vordergrund. Die Gemeinschaft spielt zwar auch eine Rolle, aber nicht wesentlich. In den Arbeitskreisen und Ausschüssen wird vorwiegend der Aspekt des Dienstes gelebt. Auch für sie ist gute Gemeinschaft wichtig, dennoch legen sie oft keinen Fokus auf Gemeinschaftsbildung. Dort, wo Gemeinschaft eingeübt, umgesetzt und damit das Wesen des Glaubens praktiziert wird, sind Hauskreise. Sie entsprechen am ehesten der Familienstruktur der Entstehung von Gemeinde, die uns in Apostelgeschichte 2 berichtet wird.

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Wenn Hauskreise verkümmern

Häufig nehmen Hauskreise jedoch andere Formen an. Sie sind zum Beispiel „Gottesdienste“ im Kleinen. Man liest miteinander in der Bibel, tauscht sich über Glaubensansichten aus, gerät vielleicht auch mal in die eine oder andere spannende theologische Diskussion. Das sind sicher gute, wichtige und wertvolle Abende, und doch treffen sie den Aspekt des Liebe Empfangens und Weitergebens nur bedingt.

Es gibt auch die Möglichkeit, dass sie zu Funktionsgemeinschaften mutieren, weil sich in ihnen ohnehin Menschen versammeln, die in Dienstgruppen miteinander für gemeindliche Arbeit verantwortlich zeichnen. Weil sie so viele gemeinsame Themen, ihre Dienstgruppen betreffend, haben, nehmen diese Themen auch am Hauskreisabend einen wichtigen Teil ein. Gemeindliche Funktionen können Menschen zusammenschweißen, oft genug bleibt die Beziehungsebene jedoch auf dem funktionellen Miteinander stehen und gewinnt keine Tiefe.

Ich nenne diese Hauskreise mal provozierend verkümmert, weil sie ein ganzes Stück hinter dem zurückbleiben, was sie eigentlich an Arbeit leisten sollen. Man erkennt sie an typischen und wiederkehrenden Symptomen. Zum Beispiel entfalten sie keine lebensverändernde Kraft. Sie beinhalten zwar gute fromme Elemente wie das gemeinsame Lesen in der Bibel, das Beten, das Singen von Lobpreisliedern, aber im Leben der beteiligten Menschen verändert sich nichts. Auch gibt es oft eine große Scheu, neue Mitglieder aufzunehmen. Der natürliche Reflex der Offenheit und Gastfreundschaft, auf den man selbst einst getroffen ist und der dafür verantwortlich war, dass man Teil eines Hauskreises wurde, ist verschwunden. Es ist auch bezeichnend, wenn man feststellt, dass neue, potenzielle Hauskreismitglieder Mühe haben, in einem Hauskreis Fuß zu fassen. Manchmal liegt das an den eingefahrenen Strukturen, die keine Lebendigkeit ausstrahlen, sondern Starrheit.

Bunte Vielfalt

Nein, Hauskreise haben einen anderen, einen besonderen Fokus. Es geht im Kern darum, sich gemeinsam auszustrecken nach Gottes Liebe, sich in die Beziehung mit ihm einzuüben und diese Liebe, die man empfängt, auch untereinander zu leben. Hauskreise sind, ein bisschen pathetisch gesprochen, Schicksalsgemeinschaften, weil sie etwas sehr Tiefes und Persönliches miteinander teilen. Das Miteinander im Hauskreis ist im Idealfall, wie eingangs geschildert, ein Spiegelbild der Gemeinschaft mit Gott und löst bei Menschen ein Gefühl von Geborgenheit, Heimat, Akzeptiertwerden aus. Im besten Falle gesunden Menschen im Hauskreis, werden lebenstüchtiger und hoffnungsfroher, festigen ihren Glauben an Gott und ihr Vertrauen in Menschen.

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Wo diese Grundlage besteht, zeigt sich in den Formen und Ausprägungen häufig eine große Vielfalt und Variationsbreite. Es gibt nicht einen Typ an Hauskreis, sondern viele. Häufig lässt sich auch die Hauskreisstruktur einer Gemeinde nicht in Deckung bringen mit der Gemeinde, sondern sie verzahnt sich vielmehr netzwerkartig im jeweiligen Umfeld. Das Urbild dafür ist, wie sich das Christentum ausgebreitet hat. Diese Bewegung vollzog sich gerade nicht in Gemeindestrukturen, sondern über die jeweiligen, oft familiären Beziehungen, die zu Hausgemeinschaften wurden. Erst im zweiten Schritt bildeten sie auch Gemeindestrukturen. Unser Prozedere ist heute oft genau andersherum (jedenfalls im landeskirchlichen Kontext). In bestehenden Gemeinden werden Hauskreise aufgebaut, die sich in die Gemeindestruktur einfügen sollen, doch dafür sind sie gar nicht gemacht.

Offene Strukturen gesucht

Das bedeutet im Umkehrschluss, dass eine lebendige und visionäre Hauskreisarbeit von ihrer Gemeinde großen Freiraum zur Entfaltung braucht. Man muss sie bewusst freigeben, damit die Menschen ihrem natürlichen Netzwerk folgen und dieses zu Hauskreisen machen können. Das fordert eine Gemeindeleitung heraus, Kontrolle abzugeben, zuzulassen, dass sich plötzlich auch Menschen anderer Gemeinden und Konfessionen in den Hauskreisen tummeln, dass man Hauskreisleiter ausbildet, die vielleicht mehr für andere Gemeinden arbeiten als für die eigene. Die Gemeindeleitung muss Buntheit lieben und nicht nur leben lassen, sondern auch fördern.

Für das gute Funktionieren im Innern der Hauskreise braucht es Menschen, die die Erfahrung funktionierender Gemeinschaft mitbringen und in der Lage sind, sie weiterzugeben. Sie müssen nicht unbedingt die Leitung ihrer Hauskreise innehaben, aber sie müssen in der Lage sein, prägend und gestaltend auf ihre Hauskreise zu wirken. Wer selbst gespürt hat, wie es ist, in eine liebende und anbetende Gemeinschaft hineingenommen zu werden, wer selbst wahrgenommen hat, wie er sich durch eine solche Gemeinschaft verändert hat, der wird dafür sorgen, dass diese Qualität weitergetragen wird.

Unsere Muslima kommt zum nächsten Abend wieder. Sie strahlt, als sie reinkommt. Sie unterhält sich mit ihrer Sitznachbarin, sie verabreden sich zum Kochen. Sie erzählt von ihren Kindern und ihrer schwierigen Ehesituation. Jesus Christus ist für sie noch sehr fremd, nicht nur, weil sie sprachlich nicht immer folgen kann. Aber das, was Jesus bewirkt hat, dass Menschen sich anderen liebevoll zuwenden, das hat sie bereits kennengelernt. Und eines Tages wird sie auch den Urheber dieses Phänomens lieben lernen.


Dieser Artikel ist zuerst im Hauskreis-Magazin erschienen, das wie jesus.de zum SCM Bundes-Verlag gehört.

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