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Josia Topf schwamm zur Goldmedaille – ohne Arme und Kniegelenke

Schwimmer Josia Topf gewann bei den Paralympics in Paris 2024 Gold, Silber und Bronze. Im Interview spricht er über seinen Glauben an Gott, Dankbarkeit und die Leidenschaft für den Schwimmsport.

Rüdiger Jope: Josia, dein letztes halbes Jahr in drei Worten?

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Josia Topf: (lacht) Großartige, wunderbare Momente.  

Du hast bei den Paralympics in Paris 2025 sensationell Gold, Silber und Bronze im Schwimmen gewonnen. Haben diese Erfolge dein Leben nochmals verändert?

Nein! Meine Identität als Josia Topf nicht. Ich wusste schon vorher, wer ich bin. Meine Eltern haben mir mit meinem hebräischen Namen Josia, der übersetzt „Gott heilt“ oder „Gott unterstützt“ heißt, eine positive Botschaft mit auf den Lebensweg gegeben.

Natürlich hat das mediale Interesse extrem zugenommen. Das ist sehr schön, weil ich das Scheinwerferlicht jetzt auf Themen lenken kann, die mir sehr am Herzen liegen. Mir ist es ein Anliegen, jetzt nicht alles für mich aufzusaugen, sondern mit meiner gewachsenen Popularität den Menschen auch eine Stimme zu verleihen, die nicht das Privileg haben, so eine Aufmerksamkeit zu erlangen. Ich würde mich freuen, wenn Menschen mit körperlichen Einschränkungen von meiner Goldmedaille in Paris profitieren und wir etwas nachhaltig für alle Beteiligten verändern können. 

„Geht nicht, gibt’s nicht!“ Als Kind stand über meinem Leben dieser Satz: „Dieses oder jenes wird Josia nie können.“

Dein Lebensmotto lautet?

(spontan) „Geht nicht, gibt’s nicht!“ Als Kind stand über meinem Leben dieser Satz: „Dieses oder jenes wird Josia nie können.“ Doch meine Eltern waren schlau und sehr feinfühlig. Sie haben mir einerseits nicht gesagt, wer was über mich ausgesagt hat, und sie lebten mit mir: Wir probieren alles erst mal aus! Wenn dann etwas aufgrund der Behinderung wirklich nicht geht, gilt es, das zu akzeptieren, dann müssen wir schauen, wie wir es alternativ bewältigen können. So habe ich die Schule gemeistert, angefangen, Jura zu studieren, den Führerschein bestanden und fahre jetzt seit einem Jahr selbstständig Auto. Vor 19 Jahren hätte man mir gesagt: wird nie gehen! Und siehe: Es geht doch! Ich kann Gas geben!

… und genauso schnell wie im Schwimmbad im Stadtverkehr unterwegs sein. Ich habe es auf dem Beifahrersitz erlebt …

(lachen) Theoretisch kann ich alles schaffen, nur brauche ich ein bisschen mehr Zeit. Seit dieser Woche kann ich mir selbstständig einen Pullover anziehen. Das hat 21 Jahre nicht funktioniert.

Josia Topf (Foto: Rüdiger Jope)

Wie hat deine Erfahrung im Wasser, wo du „keine Grenzen, sondern pure Freiheit“ spürst, deine Sichtweise auf deine körperlichen Herausforderungen im Alltag beeinflusst?

Im Wasser fühle ich mich freier. Da sind die Einschränkungen weg, wenn die Bedingungen gut sind. Diese Erfahrung hat mir Selbstbewusstsein für die Bewältigung meines alltäglichen Lebens gegeben. Im Wasser erlebe ich, dass ich meinen Körper kontrollieren kann, meiner Behinderung nicht ausgeliefert bin, ich Einfluss auf mein Leben nehmen kann. Der Sport hat mein Selbstbewusstsein gestärkt. Im Wasser tanke ich Optimismus! Da fühle ich Freiheit. Hier lerne ich: niemals aufgeben, immer dranbleiben, sich weiterentwickeln!

Von daher alles gut, alles bestens, alles leicht?

(nachdenklich) Nein. Ich hadere schon manchmal mit meinem Schicksal, weil ich merke, wie einfach mein Leben sein könnte, wenn ich nicht behindert wäre. Gestern ist mir im Sitzen ein Glas runtergefallen. Ich kann weder den Boden aufwischen noch die Scherben zusammenkehren. Es wird Punkte in meinem Leben geben, wo mir der Sport weder mental noch praktisch helfen wird. Um sechs Uhr musste mir meine Mama heute Morgen beim Aufstehen helfen, mich anzuziehen. Dass ich jetzt den Pullover anziehen kann, ist toll, aber die Schienen, die ich zum Laufen benötige, und die Hose kann ich mir nicht selber anziehen. Und dann habe ich noch keine Jacke an. Der Alltag mit der Behinderung bleibt eine Herausforderung. Das Schwimmen gibt mir hierzu Mut: Hey, du bist deiner Behinderung nicht hilflos ausgeliefert, du kannst ein Stück weit entscheiden, was mit dir passiert. 

Wie hat sich dein Umgang mit den Reaktionen anderer Menschen auf deine Behinderung im Laufe der Zeit verändert, insbesondere angesichts deiner sportlichen Erfolge?

Wer mir ins Gesicht spuckt, wird nicht mein Freund werden. Das ist heute so und war auch vor zehn Jahren so. Ich bin immer offen für den Dialog. Mein Aussehen sorgt schon immer für neugierige Blicke. Ich habe gelernt, damit gelassener umzugehen. Fingerzeigen und Tuscheln ist immer auch ein Zeichen von Unsicherheit von Menschen. Ich signalisiere dann: Stell deine Fragen. Doch da, wo ich spüre, dass Menschen über mich lachen, sich auf meine Kosten lustig machen, ich keinen guten Umgang mit meiner Behinderung erlebe, setze ich auch Grenzen, ziehe mich zurück. Der Schmerz bleibt der gleiche. Das war ohne Medaillen so und ist auch mit Medaillen so. Was sich verändert hat: Jetzt springen mir Menschen bei, aber mehr in die Richtung: Hey, hört auf über ihn zu lachen, das ist der Paralympics-Olympiasieger. Der hat etwas erreicht, über den dürfen wir uns nicht lustig machen. Da fällt mir dann manchmal die menschliche Komponente hinten runter.

Du wirkst glücklich und zufrieden. Wofür bist du dankbar?

Dafür, dass ich diese Eltern habe. Sie haben sich damals trotz der Diagnose für meine Geburt entschieden. Sie lieben und unterstützen mich. Sie haben sehr viel auf sich genommen in finanzieller und zeitlicher Hinsicht, um mich zu fördern und voranzubringen. Ihnen war wichtig, dass ich ein möglichst normales Leben führen kann.

Dankbar bin ich auch für meinen Glauben. Er gibt mir Kraft. Ich schätze auch sehr meine Freunde, die mich in schweren Zeiten getragen haben. Ein echter Glückstreffer sind auch die Trainer, die sich entschieden haben, den Weg mit mir zu gehen. Ja, ich bin ein rundum dankbarer und glücklicher Mensch.

„Wenn Gott für mich ist, wer kann dann gegen mich sein?“

Du erwähnst deinen Glauben an Gott. Inwiefern hat dir dieser geholfen, die Herausforderungen deines Lebens zu meistern?

(lacht) Mein Lieblingsbibelvers steht in Römer 8,31: Wenn Gott für mich ist, wer kann dann gegen mich sein? Dieser Satz hat mir schon viel Kraft gegeben. Wenn Gott an meiner Seite ist, kann mir nichts passieren. Der Glaube ist für mich eine Kraftquelle, aus der ich regelmäßig schöpfe. Der Glaube erfrischt und stärkt mich in guten, aber eben auch in den schlechten Zeiten. Gerade da, wo es sich anfühlte, als würde ich ertrinken, habe ich die Beziehung zu Gott als hilfreich, mutmachend und tragfähig erlebt. Auf Gott kann man sich verlassen. Im Schwimmbecken, aber auch außerhalb, im normalen Alltagsleben.    

Was ist deine Mutmach-Botschaft an Kinder oder Männer, die unter einer körperlichen Einschränkung leiden oder mit einer anderen schlechten Startvoraussetzung ins Leben hadern?

Jedes Schicksal ist individuell. Mein Erfolg basiert darauf, dass ich in einer sehr privilegierten Position bin. Meine Mutmachbotschaft lautet: Gib niemals auf! Lass dich nicht einschüchtern! Steh immer wieder auf! Probiere Dinge aus, lasse sie, wenn es nicht funktioniert. Ich habe viele Anläufe gebraucht, um herauszufinden, ob Schwimmen meine Sportart ist. Ich habe Tischtennis gespielt, war im Reiten aktiv. Ins Schwimmen habe ich mich verliebt. Dort konnte ich meine Grenzen am besten weiten.

Doch auch da war aller Anfang schwer …

Ja! Die Anfangsphasen sind immer extrem hart. Wenn man etwas ausprobiert, ist man immer erst mal schlecht. Wenn man weitermacht, wird man passabel, dann gut und vielleicht auch sehr gut. Jemand hat herausgefunden: Man braucht 10.000 Übungsstunden, bis man ein Instrument gut bis sehr gut beherrschen kann. So ist es auch mit der Technik beim Schwimmen. Ich habe noch keine 10.000 Stunden im Becken verbracht. Ich kann mir daher noch ein bisschen Zeit geben. (lacht) Es gilt, in seinem Tempo voranzukommen, aber eben unterwegs zu bleiben. Veränderungen sind nicht ohne Mühe, Schmerzen und ein Maß an Leidenschaft zu haben.

„Wir leben nicht mehr in einer Parallelwelt. Wir möchten arbeiten, unseren ganz normalen Platz im Alltag haben. An vielen Stellen erlebe ich hier die Gesellschaft noch nicht bereit, sich mitzuentwickeln.“

Braucht es in unserer Gesellschaft noch mehr Verständnis für Menschen mit Einschränkungen?

Wir sind auf einem guten Weg, was die Inklusion in unserem Land angeht. Es ist aber auch noch viel Luft nach oben. Ich wollte mir kürzlich eine Eintrittskarte für ein Spaßbad kaufen. Ich legte meinen Behindertenausweis vor, bekam dann an der Kasse eine Versehrtenkarte. Diese Zuschreibung drückt sehr gut aus, welches Verständnis wir in der Gesellschaft von Menschen mit Behinderung haben. Es gibt entweder Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung oder Versehrte. Doch hier hat sich ganz viel verändert. Durch technische Entwicklung können wir am sozialen Leben teilhaben, wie alle anderen auch. Die Menschen mit Behinderungen haben sich enorm weiterentwickelt. Deshalb wollen wir am normalen gesellschaftlichen Leben teilhaben. Wir leben nicht mehr in einer Parallelwelt. Wir möchten arbeiten, unseren ganz normalen Platz im Alltag haben. An vielen Stellen erlebe ich hier die Gesellschaft noch nicht bereit, sich mitzuentwickeln.

Auf welches Ziel trainierst du derzeit hin?

Wir bereiten uns derzeit auf die Weltmeisterschaft in Singapur im September vor. Das ist der Saisonhöhepunkt 2025. Ansonsten warten „kleinere“ Höhepunkte wie die Deutsche Meisterschaft in Berlin oder ein Weltcup in Paris auf mich.

Du schlägst im Schwimmbecken im Ziel mit dem Kopf an. Hast du schon mal darüber nachgedacht, einen Helm mit Polster und eingebauter Stoppuhr zu entwickeln?

Wir sind mit verschiedenen Institutionen im Kontakt, um Dinge zu entwickeln. Technisch ist hier vieles möglich und eigentlich einfach umzusetzen. Die Hauptproblematik ist nicht das Entwickeln, sondern dass jede Veränderung an Badekappen oder Badehosen vom Weltschwimmverband genehmigt werden muss.

Das Anschlagen mit dem Kopf ist ungesund, sorgt(e) bei dir auch schon für Beeinträchtigungen. Gibt es News in deinem Kampf für ein gesundheitsschonenderes Anschlagen?

Der Verband muss im Grunde eine Regeländerung genehmigen. Noch hängen wir in diesem Gremium, dieser Behörde mit Anträgen fest. Leider wurden wir vom Weltschwimmverband hier bisher weder angehört, noch wurde mit uns eine Kooperation gesucht. Jetzt versuchen wir mit weiteren Studien und Forschungen noch mehr Daten zu liefern, dass mir dadurch keine Vorteile beim Anschlagen gegenüber Konkurrenten entstehen. Leider dauert das alles seine Zeit, aber ich bin verhalten optimistisch. Im Moment ist viel Druck im Kessel. Das Kopfthema spielt derzeit auch eine Rolle beim Fußball oder in der NFL. Derzeit will niemand nachgeben oder übereilte Entscheidungen treffen. Deshalb ist es aus meiner Sicht wichtig, besonnen zu bleiben, die mühsamen bürokratischen Wege gemeinsam zu gehen und am Schluss einen Kompromiss zu finden, mit dem alle Beteiligten gut leben können.

Welche Rolle spielt der Gemeinsinn im Parasport für dich, und wie hat er deine persönliche Entwicklung beeinflusst?

Da muss ich differenzieren zwischen der Parasport Community und der Abteilung Paraschwimmen. Die Community ist eine mega witzige, coole Gemeinschaft. Da haben sich gute Freundschaften entwickelt, da hat man Respekt füreinander, da unterstützt man sich gegenseitig. Da habe ich Beziehungen, die auch über den Sport hinaus tragfähig sein werden. Im Paraschwimmen ist es schwieriger. Es ist eine Einzelsportart. Wir konkurrieren dort um Kader- und Startplätze für WMs und Olympische Spiele. Da kann man sich nichts schenken, wie in normalen Sportkadern auch. Ich bin mit einigen Paraschwimmern gut befreundet. Wir haben großen Respekt voreinander, aber im Rennen sind wir eben auch Konkurrenten. 

„mein Können und das Vertrauen auf Gott verleihen mir Stabilität und Ruhe.“

Wie gehst du mit der Nervosität und „furchtbaren Wettkampf-Angst“ um, die du vor Rennen empfindest, und wie schaffst du es trotzdem, Höchstleistungen zu erbringen?

Über die Jahre habe ich verschiedene Methoden entwickelt, wie ich mir die Wettkampfangst nehmen oder sie auch nutzen kann. Vor dem Rennen kapsle ich mich mit Musik ab. Ich habe verschiedene Bezugspersonen am Wettkampftag. Mit denen zu reden, kann ungemein hilfreich sein. Wenn sie mir Mut zusprechen, bringt mich das weiter, holt mich runter. Vor dem Start besinne ich mich auf die Erfolge im Training. Aber auch das Wissen um meinen Wert, mein Können und das Vertrauen auf Gott verleihen mir Stabilität und Ruhe.

Du hast einen kompletten Medaillensatz gewonnen. Hast du schon Pläne für eine besondere Vitrine oder werden sie als Türstopper verwendet?

(lacht) Die Dinger sind so schwer. Ganz ehrlich, ich weiß gar nicht, wie ich sie richtig würdigen soll. Ich will ihnen nicht zu viel Raum in der Wohnung einräumen. Es ist großartig, dass ich sie gewonnen habe. Ich habe die Momente der Verleihung genossen, aber am Ende des Tages möchte ich damit auch nicht angeben. Sie machen mich nicht erst zu einem wertvollen oder gar wichtigen Menschen. Momentan liegen sie in den Medaillenboxen. Wenn mich jedoch leistungstechnische Zweifel befallen, schaue ich sie gelegentlich als Mutmacher an. 

Du bist Jurastudent und Goldmedaillengewinner: Planst du, das erste schwimmende Anwaltsbüro zu eröffnen?

So, dass die Gerichtsverhandlung auf Bahn 1 stattfindet. (lacht) Nein! Josia Topf wird irgendwann berufstätig sein, an seiner Karriere als Anwalt feilen. In welche Richtung es geht, weiß ich im Moment noch nicht. Ich träume von einer Verbindung von Schwimmen und Beruf, könnte mir aber auch etwas im Bereich Sportpolitik vorstellen.

Du bist jetzt ein bekannter Sportler. Hast du schon Angebote bekommen, in Werbespots für Schwimmbeckenreiniger mitzuwirken?

Meine Leistungen haben auf verschiedenen Ebenen Interesse geweckt, aber zu großen Verträgen führten die Gespräche noch nicht. Da ist noch Luft nach oben. Im Moment genieße ich allerdings auch noch das Ungebundensein, die große Freiheit. Ich kann die Dinge tun und voranbringen, die mir wichtig sind. Klar würde ich mich über mehr Unterstützung freuen, wäre ich dankbar für einen Sponsoringvertrag. Die drei Medaillen aus Paris machen sich bestimmt gut auf einer Müslipackung oder einem Autositzplatz. Jetzt muss ich aber erst mal auf die Hantelbank …

Herzlichen Dank für die starken Antworten.

Rüdiger Jope führte das Interview. Er ist Chef-Redakteur des Männermagazins MOVO.

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