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Thomas Schirrmacher: Kaffeepause mit dem Papst

Er gilt als „des Papstes liebster“ und mitunter auch „bestinformierter“ Protestant: Der Theologe Thomas Schirrmacher, „Ökumeneminister“ der Weltweiten Evangelischen Allianz, hat Papst Franziskus in vielen persönlichen Gesprächen kennengelernt.

Im Interview mit unserem Kollegen Jörg Podworny, Redaktionsleiter der Zeitschrift „lebenslust“, spricht Schirrmacher über den „Reformator“ Franziskus, korrupte Kardinäle, kleine Fiats auf dem Parkplatz des Petersdoms und die Amtszeit des Papstes.

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Herr Schirrmacher, wie trinkt der Papst seinen Kaffee?

Schirrmacher: Schwarz … (lacht)

Ohne Milch oder Zucker also. Sie haben Franziskus zu vielen Gesprächen getroffen, sogar schon am Tag seiner Wahl im März 2013. Frau Merkel musste länger warten. Wie kommt man zu dieser Ehre?

Zunächst mal: Es ist völlig neu, dass der Papst in seinem Hotel Santa Martha Leute privat empfängt, einzeln oder in kleinen Gruppen. Diese Privatgespräche haben im Regelfall keine Agenda. Man trifft sich und redet miteinander. Dabei kann der Papst festlegen: Ich bin jetzt nicht hier als Papst und du bist jetzt nicht hier in deiner offiziellen Funktion – sondern wir träumen jetzt mal meinetwegen darüber, wie wir gemeinsam den internationalen Menschenhandel bekämpfen können. Das wurde 1.500 Jahre anders gehandhabt in Rom, darum fällt das jetzt so auf.

Und zum Tag der Amtseinsetzung: Schon als Erzbischof von Argentinien hat Franziskus sich intensiv um die Beziehungen zwischen Katholiken und anderen Glaubensgemeinschaften bemüht. Er hat an Großveranstaltungen teilgenommen, persönliche Gespräche gesucht, ab 2007 auch öffentlich. Und das hat er im Vatikan nahtlos fortgesetzt und zu Gesprächen eingeladen. Der Dialog ist ihm wichtig. Franziskus kennt sich in der weltweiten Christenheit sehr gut aus, ist bestens vorbereitet, weiß, wer wer ist und lädt immer wieder Vertreter der verschiedenen Glaubensrichtungen ein

Sie sind überzeugt, dass Franziskus ein „Reformator“ im Vatikan ist?

Ja. Zuerst mal: Die Reformation hatte ja nicht nur mit Theologie zu tun. Sondern: Martin Luther war 1515 in Rom – und hellauf entsetzt, dass es da um Geld, um Macht und Sex ging, nicht um Gott oder biblische Lehre. Es war lange Zeit die große Tragik der katholischen Kirche, dass eigentlich jeder wusste: Es muss mal aufgeräumt werden – am Ende passiert aber nichts! Die Reform, die Franziskus jetzt durchführt, wird bislang unterschätzt. Noch vor 200 Jahren hatte jeder Erzbischof ein zweites Schlösschen: für seine Freundinnen. In Salzburg oder Köln, überall stehen diese Gebäude herum! Die Erzbischöfe in Deutschland haben Casanova regelmäßig eingeladen und Partys gefeiert, die moralisch nichts ausließen.

Natürlich ist das inzwischen vorbei. Trotzdem hat die katholische Kirche, was Reformation betrifft, einen großen Nachholbedarf. Dass jetzt ein Papst kommt, der sagt: Es gibt keinen korrupteren Platz auf der Welt als den Vatikan – und die Entwicklung ihm leider Gottes recht gibt – sagt im Grunde alles. Bevor die katholische Kirche anfängt, irgendwelche Dogmen zu verändern, muss erstmal diese Basis verändert werden. Das hat schon zu Luthers Zeiten das theologische Gespräch verhindert: die Macht, die Politik und das Geld – nicht die Einsicht, dass er in vielen theologischen Fragen recht hatte. Das Kernproblem liegt im machtpolitischen Unterbau. Viele Millionenvermögen werden nicht kontrolliert und das Bankenwesen des Vatikans wird nicht in internationalem Maßstab transparent betrieben. Und intern wird mit ganz harten Bandagen gearbeitet. Da geht es um Karrieren, um Einfluss und um Macht.

Es bleibt ein Ringen, das noch einige Zeit dauern wird?

Ja, richtig.

Sie sprechen viel von der persönlichen Nähe. Was ist Ihre Lieblingsanekdote mit Papst Franziskus?

Da fällt mir immer die Geschichte ein, wo er im Gespräch mit einer Gruppe Kardinäle sagt: Bevor ich mich jetzt hinsetze, muss ich klarstellen, was ich jetzt sage, ist nicht „ex cathedra“! Diese Redewendung spielt auf das katholische Verständnis an, dass ein Wort des Papstes von seinem Bischofsthron aus („ex cathedra“) als eine unfehlbare Lehrentscheidung in Fragen des Glaubens gilt. Diese Begebenheit ist deshalb bezeichnend, weil er zwar nicht die Lehre der Unfehlbarkeit infrage gestellt, sie aber deutlich auf die Schüppe genommen hat. Ich habe sofort gelacht. Die Kardinäle haben sich erstmal gegenseitig fragend angeguckt, ob sie darüber auch lachen dürfen.

Die zweite Anekdote geht sehr viel weiter: Franziskus kommt aus einem Gottesdienst. Ihm wird Mate-Tee angeboten, das argentinische Nationalgetränk. Als er trinkt, fragt ihn ein Fernsehreporter, ob er keine Angst habe: Es könnte doch vergiftet sein! Darauf erwidert der Papst: „Wieso? Das ist doch kein Kardinal!“ Wie alle guten Anekdoten, ist diese leider viel zu wahr. Seine Feinde sitzen tatsächlich im eigenen Haus – und nicht außerhalb.

Und sind immer noch da.

Das stimmt so nicht ganz. Mindestens in einem Punkt hat er der – von ihm selbst als „korrup““ bezeichneten – Kurie nachhaltig das Genick gebrochen: Es gibt keine Immunität mehr für Kardinäle.

Das beste Beispiel: Franziskus hatte sich blau und grün geärgert, dass Tarcisio Bertone, der Kardinalstaatssekretär, sich in den Palazzos nur hundert Meter vom Papsthotel zwei Kardinalswohnungen besorgt und zur Luxuswohnung mit rund 700 Quadratmetern umgebaut hatte, mit Dachterrasse und Blick auf Petersdom; normal sind etwa 350 Quadratmeter. Da fragt man sich auch schon: Wofür braucht ein lediger alter Mann 350 Quadratmeter?

Und dann kam vor einigen Monaten die Anklage, dass die 200.000 Euro Umbaukosten vom vatikanischen Kinderkrankenhaus zweckentfremdet worden sind. Jetzt ist der gute Mann angeklagt wegen Veruntreuung. Ihm droht eine Gefängnisstrafe. Und die Befürchtung ist, wenn da an einer Strippe gezogen wird, kommt noch eine Menge mehr heraus. Früher genossen die Kardinäle selbst bei gravierendsten Anklagen absolute Immunität, der Vatikan deckte sie – und es ist heute einer der tiefsten Schocks für die Kardinäle, dass es diese Immunität unter Franziskus quasi über Nacht nicht mehr gibt. Wer angeklagt wird, ob vom Staat, vom Vatikan oder mit internationalem Haftbefehl gesucht, der kann sich des bisherigen Schutzes nicht mehr sicher sein.

Ähnlich wie Benedikt XVI., scheint auch Franziskus Papst-Amt und -Würden nicht bis an sein Lebensende tragen zu wollen. Wie lange ist er noch Papst?

Tja. Er hat einmal von fünf Jahren gesprochen …

…das wäre schon bald.

Ja. Ich habe in jüngerer Zeit aber nichts mehr davon gehört. Persönlich denke ich: Er hat ja tatsächlich schon viel erreicht. Nur zwei Beispiele. Erstens, die Familiensynode 2012 und jetzt Ende 2015: Seinerzeit, noch unter Benedikt, war der Parkplatz voll von großen Limousinen, man sah viele Chauffeure, wie bei einem Treffen von Staatsoberhäuptern. Und diesmal, nur drei Jahre später, gab es noch ein paar große Wagen, aber sonst war kein „dickes Auto“ mehr zu sehen; der deutsche Kardinal Marx quälte sich aus einem Fiat …

Zweitens: Der Umbau des Kardinalsgremiums in Richtung Globaler Süden ist voll im Gange. Das bedeutet gleichzeitig, dass die Macht der italienischen Kardinäle massiv begrenzt wird. Ich kann mir schwer vorstellen, dass er diesen ganzen Prozess jetzt abbricht.

Vielen Dank für das Gespräch!

Dieses Interview ist in Ausgabe 3/2016 der Zeitschrift „lebenslust – Menschen. Leben. Glauben.“ erschienen. Sie wird vom SCM Bundes-Verlag herausgegeben, zu dem auch Jesus.de gehört.

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