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Witwe durch Suizid: Von der Trauer zum Neubeginn

Mit dem Suizid-Tod ihres Mannes endet für Nicole ihr Lebenstraum. In Chaos und Schmerz hadert sie auch mit Gott, doch der Glaube erweist sich als tragende Konstante.

Von Nicole Schaatsbergen

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Die innere Welt

Vor sechs Jahren ist mein Mann gestorben. An Suizid. Gewählt hatte ich zuvor ein Leben auf dem Land, mit meinem Mann und meiner Tochter, Hund und Katze, und einem gemeinsamen Beruf. Dieses Leben war mit der Entscheidung meines Mannes, nicht mehr leben zu wollen, genauso plötzlich gestorben wie er. Ich hatte dabei kein Mitspracherecht.

Ein plötzlicher Todesfall – besonders ein Suizid – beendet aber nicht nur ein Leben, wie es vorher war. Es löst auch eine Menge Neues aus: Wellen voll Emotionen und Gedanken spülen über uns hinweg, und wir wissen kaum noch, wo oben und unten ist. Oft funktionieren wir dann nur noch, weil wir sonst untergehen würden. Erst später, wenn wir uns etwas an den Wellengang gewöhnt haben, können wir uns diesen neuen Gedanken und Gefühlen stellen, die mit der Trauer angerauscht kommen.

Mit der Zeit nimmt die Wucht der Wellen ab, und sie werden seltener und flacher. Wir können die Gedanken und Gefühle besser wahrnehmen und sortieren. Ab und an schwimmen wir mit ihnen oder trauen uns sogar, mit ihnen zu spielen und auf ihnen zu surfen. Denn dazu sind sie eigentlich da. Sie helfen uns, einen neuen Platz zu finden, nachdem etwas unser vorheriges Leben zerstört hat.

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Die äußere Welt

Ob wir wollen oder nicht – die Welt um uns herum nimmt uns anders wahr. Ich war nun Witwe. Das waren für mich bis dahin alte Frauen in schwarzer Kleidung gewesen, aber doch nicht ich, mit Mitte dreißig!

Als ich versuchte, eventuell eine neue Wohnung für mich und meine Tochter zu finden, stellte ich zudem fest, dass ich nicht nur Witwe, sondern auch alleinerziehend war. Und damit kamen Annahmen wie: überarbeitet, überfordert, nicht zahlungsfähig. Zumindest wenn es nach den Maklern ging, die mich nicht mehr zurückriefen, sobald sie erfuhren, dass ich keinen Mann mehr an meiner Seite hatte. Sozialer Abstieg innerhalb von Sekunden in den Köpfen fremder Leute.

„Kein Mann mehr“ hieß bei anderen aber auch: Sie ist Single. Nach fast zwanzig Jahren in einer Beziehung wurde ich wieder angeflirtet. Schon drei Tage nach dem Tod meines Mannes. Was ich zunächst gar nicht begriff, weil ich daran zuletzt dachte: wieder Platz zu machen in meinem Herzen für einen anderen Menschen.

Denn für mich hatte sich an meiner Definition wenig geändert. Ich war mit meiner Tochter immer noch eine Familie. Ich hatte nur meinen Mann verloren. Ich hatte nicht um neue Beschreibungen gebeten, wie Witwe, alleinerziehend, Single. Ich war immer noch ich. Zwar mit inneren Trauerwellen in Richtung Veränderung, aber doch nicht so, wie andere mich sahen! Auch das: etwas, das ich mir nicht ausgesucht hatte. Und woran ich nichts oder nur wenig ändern konnte.

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Die Umwelt

Akzeptanz und Annahme von dem, was man nicht ändern kann, gehört zu den ersten und gleichzeitig schwersten Aufgaben, wenn man um ein Leben trauert, das nicht mehr da ist. Umso schwieriger ist es aber auch zu entscheiden, was man akzeptieren muss und was nicht.

Mit dem Tod meines Mannes war lange nicht klar, ob ich auch noch unser Haus verliere. Es hat drei Jahre gedauert, bis deutlich wurde: Wir können bleiben und es sanieren – die zweite Hälfte der Sanierung fiel in den ersten Lockdown der Pandemie; auch etwas, was wir uns nicht ausgesucht hatten.

Ein Zuhause zu haben – und damit ein soziales Umfeld, das einem Sicherheit und Geborgenheit gibt –, ist in Umbruchphasen immens wichtig. Wenn das auch noch wegbricht, wackelt das Leben auf allen Ebenen. Ich fühle deshalb sehr mit Menschen nach einer Flutkatastrophe oder auf der Flucht. Denn unser Haus war das Einzige, was ich aus meinem alten Leben retten konnte.

Meinen Beruf musste ich aufgeben. Mein Mann und ich hatten eine Beratungsstelle, die ich allein nicht weiterführen konnte. Mich davon zu verabschieden, tat weh, machte aber auch Platz für Neues. Für etwas, das schon lange in mir geschlummert, aber bis dahin keinen Raum hatte: Ich habe Bildhauerei studiert. Und einen Verein gegründet, der anderen Hinterbliebenen nach einem Suizid eine Stütze sein soll: Blattwenden.

Die Glaubenswelt

Letztens wurde ich gefragt, ob meine andauernde Müdigkeit vielleicht daran liegt, dass ich mich von Gott entfernt hätte. Über solche Mutmaßungen kann ich nur gähnen. Denn Veränderungen, die wir uns nicht ausgesucht haben, machen einfach müde. Sie verlangen Kräfte und Fähigkeiten von uns, von denen wir vorher gar nicht wussten, dass wir sie hatten. Sie zwingen uns aber auch dazu, nicht nur einmal, sondern für eine lange Zeit über unsere Grenzen zu gehen.

Viele haben genau das in den letzten Jahren erlebt, in der Pandemie, den Flutgebieten und jetzt durch den Krieg in der Ukraine. Besonders Menschen im Sozial- und Gesundheitswesen wurden und werden mit Veränderungen konfrontiert, die sie sich nicht ausgesucht haben. Irgendwie müssen wir da durch. Dass wir danach müde sind, liegt sicherlich nicht an unserer Gottlosigkeit. Es liegt daran, dass wir den Sonntag, den Ruhetag, den Gott uns empfohlen hat, für mehrere Jahre nicht leben konnten.

„Natürlich hadere ich mit Gott.“

Ich bin deshalb umso dankbarer, dass ich in all dem Chaos namens Leben eine stabile Konstante an meiner Seite weiß: Meine himmlische Begleitung, die mich aushält mit meinen Trauerwellen, die mich schützt vor Verurteilungen und Geringschätzung von außen, die mir Weisheit schenkt bei meinen Entscheidungen, und die mir Mut macht, nach vorn zu gehen.

Natürlich hadere ich mit Gott. Natürlich finde ich vieles unverständlich und doof. Natürlich bin ich ungeduldig und genervt und wütend und tieftraurig – aber Gott hält das aus! Gott versteht mich. Und das gibt mir Trost und Erdung, um daraus zu wachsen. Es lässt aber auch eine Menge unnötigen Kram hinter mir. Viele Glaubensdiskussionen werden unwichtig. Sie stehlen mir nur meine wertvolle Zeit, die ich hier auf der Welt noch habe, mit meiner Tochter und meinem neuen Mann. Das finden manche befremdlich. Ich finde es befreiend.

Die neue Welt

Leider haben wir keine Garantie, dass nach einem Abschied alles wieder gut wird. Manchmal kommen neue Abschiede hinzu. Zwei Jahre nach dem Suizid meines Mannes ist mein Vater gestorben, letztes Jahr unsere Katze und vor drei Wochen unser Kater – wieder plötzlich, von einem Auto angefahren. Das hat bei meiner Tochter neue Trauerprozesse ausgelöst. Denn nicht nur ich habe das alles erlebt, sondern auch mein heute neunjähriges Kind. Jetzt ist sie dran. Jetzt kann sie endlich Worte für ihre Veränderungsprozesse finden. Und ich kann und will für sie da sein.

Um das zu können, kann ich aber nicht mehr jeden Tag ums Thema Trauer kreisen. Bisher war ich auf Spendenbasis bei meinem Verein angestellt. Durch die Pandemie und die Wirtschaftslage haben bereits und werden noch viele unserer Förderer ihre Spenden einstellen. Gleichzeitig geht mein Bildhauerei-Studium zu Ende. Ich muss also umdenken. Schon wieder.

„Irgendwo gibt es immer eine Chance für einen Neubeginn.“

Denn auch wenn ich Veränderungsprozesse gut begleiten kann, heißt das ja nicht, dass ich das auch tun muss. Und genau da befinde ich mich jetzt: Bei der Bürde und dem Luxus, (relativ) frei zu entscheiden, was als Nächstes kommt. Ob ich tatsächlich so bescheuert bin und ausgerechnet in einer Wirtschaftskrise einen Beruf ergreife, in dem ich einfach nur schöne Dinge herstelle, wofür andere kein Geld mehr haben, weil es für sie ums pure Überleben geht?

Aber: Es zeigt auch, dass bei allen erzwungenen Veränderungen von außen immer Möglichkeiten bleiben, sich für etwas zu entscheiden. Auch wenn es nur verborgen oder klein ist. Irgendwo gibt es immer eine Chance für einen Neubeginn. Jesu Auferstehung ist das beste Beispiel dafür. Und mit diesem Beispiel lebe ich weiter, immer.

Nic Schaatsbergen ist gelernte Journalistin und Diplom-Bildhauerin.

Falls ihr selbst in einer verzweifelten Situation seid, sprecht mit Freunden und Familie darüber. Hilfe bietet die Telefonseelsorge. Sie ist rund um die Uhr anonym und kostenlos erreichbar: 0800/111 0 111 und 0800/111 0 222. Auch die Beratung über E-Mail ist möglich. Eine Liste mit bundesweiten Hilfsstellen findet sich auf der Seite der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention.


Dieser Artikel stammt aus der Zeitschrift Family. Family und FamilyNEXT gibt es jetzt überarbeitet und im neuen Design für begrenzte Zeit im günstigen Mini-Abo.

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3 Kommentare

  1. Natürlich hadere ich mit Gott

    Die Schreiberin dieses Lebensberichtes hat gut nachvollziehbar beschrieben, wie katastrophal unsere Lebenskrisen sein können. Den Partner durch Suizid zu verlieren gehört zu den schlimmsten Ereignissen, die in einem Menschenleben möglich sind. „Natürlich hadere ich mit Gott“, wurde geschrieben. Aber dieses Hadern versteht ein Gott, der in seinem ganzen Wesen Liebe und Barmherzigkeit verkörpert. Warum wir – sinnbildlich gesprochen – nicht mehr im Paradies sind, sondern hier in diesem Universum und auf unserem Blauen Planeten – können wir schon nicht perfekt beantworten. Die Abgründe die jede und jeden auf seinem Lebensweg begegnen können, lassen sich auch nicht mit klugen Worten verstehbar machen. Da Gott alles erschuf und ohne ihn nur das Nichts wäre, sind wir Geist von Gottes Geist. Wir sind quasi aus ihm selbst geworden, sind ein Teil und wenn Gott Familie wäre, gehörten wir in seine Familie. Aber wozu dann das Leiden ? Vielleicht – so habe ich mich oft gefragt – müssen wir durch die dunklen Täler unseres Lebens gehen und auch in Abgründe stürzen, um zu lernen, Erfahrung zu sammeln und und zu wachsen. Wir leben nicht mehr im Paradies, in Gottes Wohngemeinschaft, aber wir kommen wieder dahin zurück. Am Ende wird Gott alle Tränen abwischen und uns alle umarmen.

    Menschlich und psychologisch betrachtet ist jede Krise, auch die Schlimmste, immer eine Möglichkeit seelisch zu wachsen. Krisen und Katastrophen sind oftmals Chancen zu Neuanfängen. Sie lehren uns dann auch, was wichtig ist und was weniger oder gar nicht wichtig wäre. Gott ist treu, viel treuer als alle Menschen. Selbst wenn wir sehr tief fallen – hier sinnbildlich gemeint – fallen wir immer in seine Hand. Und Gott wurde selbst Mensch, um uns ganz unten in unseren schlimmen Erfahrungen und furchtbaren Katastrophen beizustehen. Der Schöpfer aller Dinge weis darum, wie es beispielsweise sich anfühlt an einem Kreuz hingerichtet zu werden. Er hat deshalb liebevolles Verständnis, wenn wir mit ihm gehadert haben. Aber die Liebe zu Gott kann man jeden Tag erneuern, denn seine Zuwendung zu uns wird niemals infrage gestellt. Natürlich hadere ich mit Gott, auch dann, wenn es Kleinigkeit sind, nicht erfüllte Wünsche und dass nicht alles nach meinem Willen erfolgt. Aber die Liebe ist langmütig und freundlich, insbesondere die von Gott.

  2. Liebe Nicole,
    hier ist Meike nocheinmal.
    Wenn man Alleinerziehend ist, scheint Alles manches Mal so schwer.
    Meine Tochter ist gerade sehr umgeknickt mit ihrem Fuß, und sie kann nicht gut laufen und nicht zur Schule.
    Sie ist sehr traurig darüber und verpasst Viel in der Schule.
    Es waren 5 Jahre Gebet und viel Kampf überhaupt ein Gymnasium besuchen zu können…und jetzt das.
    Das bringt mich an meine Grenzen und da fühle ich mich auch allein.
    Und verstehe den Unfall nicht.
    Vieles verstehe ich nicht!
    Ich möchte dich trösten und mich trösten.
    Irgendwie ist Gott mitten in alle dem „Alleinerziehend“ sein, die Verantwortung alleine tragen.
    Ich muss gerade vertrauen und meine Trauer und Angst an Gott abgeben, sonst geh ich vor lauter Sorge kaputt.
    Und so bist du nicht allein damit und ich auch nicht, dass tröstet mich.
    Es geht schon irgendwie weiter, auch Alleinerziehend!
    Gott ist da!
    Sei lieb gegrüßt

    Meike

  3. Danke.
    Danke für diesen Beitrag.
    Ich möchte folgendes dazu beitragen:
    da ich selber seit langem Alleinerziehend bin , kann ich das hier sehr gut verstehen.
    Es ist unglaublich schwer, ob studiert ,mit Beruf….oder (nur) Hausfrau und Mutter…es ist unglaublich schwer alleine.
    Ich habe das mit 4 Kindern gemacht.
    Meine Tochter ist noch bei mir, immer noch ist es oft nicht einfach.
    ABER zu wissen, dass es einen Papa Gott gibt, einen himmlischen Vater, der Alles unter Kontrolle hat, finde ich persönlich immer wieder sehr tröstlich.
    Ich denke, da kommt man echt an seine Grenzen und geht oft über seine persönlichen Grenzen….weil es gar nicht anders geht.
    Da darf man erschöpft sein, müde und auch kraftlos.
    Das hat nichts mit Glauben oder Vertrauen zu tun.
    Ich denke, kein Anderer läuft in meinen Schuhen…oder?
    Wer darf dann urteilen?
    Was aber menschlich ist, denn „andere“ wissen es oft besser-vielleicht auch aus Unwissenheit.
    Einen Suizid des Mannes zu verarbeiten und Alles was damit verbunden ist, ist sicher richtig richtig schwer.
    Und auf einmal das Gefühl zu haben, alles alleine schaffen zu müssen, sicher auch.

    Meine eigene Erfahrung ist, dass Gott treu ist.
    Treuer, wie wir Menschen es sein könnten.
    Und Zweifel, Anklage und Ohnmacht in schwierigen Situationen gehören meiner Meinung nach zu einem lebendigen Glauben dazu.
    Freunde sind wichtig!!! Ganz wichtig!
    Und wenn es nur ein Einziger ist!
    Schliesslich ist JESUS der beste Freund!
    In Einsamkeit, Verzweiflung, Krankheit und Not.
    Dafür ist er ans Kreuz gegangen.
    Aus Liebe!
    Ich weiß von mir selbst, dass nichts so bleibt, wie es ist.
    Krisen kommen, Krisen gehen.
    Doch in der Not zeigt Gott sich…auf ganz wunderbare Art und Weise.
    Römer 8 Vers 28
    Denen die mich lieben, werden Alle Dinge zum Besten dienen.
    Denen, die nach meinem Vorsatz berufen sind.
    Amen.
    Ich bete für dich Nic, dass Gott genau das tut!
    Er weiß, was das Ganze für einen Sinn hat und wofür das gut ist!
    Danke für diesen Beitrag!
    Gottes reichen Segen
    Meike

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