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Missverständnis: Hat Paulus seine Briefe eigenhändig verfasst?

Auf Gemälden wird Paulus oft als älterer Mann abgebildet, der eine Feder in der Hand hält und nachdenklich vor sich hin blickt. Dabei war er weder alt, als er seine Briefe verfasste, noch schrieb er sie allein.

Von Dr. Pieter Lalleman

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Diese Missverständnisse lassen sich leicht aufklären. Zunächst zu seinem Alter. In Apostelgeschichte 7,58 wird uns berichtet, dass Paulus bei der Ermordung von Stephanus, die wahrscheinlich im Jahr 34 stattfand, als junger Mann zugegen war. Er wurde also zwischen 10 und 18 nach Christus geboren. Wir wissen, dass er seine Briefe zwischen 48 und 64 n. Chr. schrieb. Also war er Mitte 50. Das war allerdings zur damaligen Zeit ein beachtliches Alter. Orientalische Menschen waren möglichst wenig allein; Alleinsein ist eine moderne, westliche Angewohnheit. Paulus lebte, arbeitete und schrieb also höchstwahrscheinlich im Beisein anderer Menschen.

Schreiben im Team

Ein weiteres Missverständnis ist auch die Vorstellung, dass die anderen nur passive Zuschauer waren, während das einsame Genie Paulus die ganze Arbeit verrichtete. Schauen Sie sich einmal die Anfangssätze seiner Briefe an: Er nennt darin fast immer die Namen eines oder mehrerer Mitverfasser, beispielsweise Timotheus, Silvanus (Silas) und Sosthenes. Im Galaterbrief schreibt Paulus sogar „und alle Brüder, die bei mir sind“. Da Paulus so viel Wert darauf legt, seine Mitarbeiter zu nennen, waren sie wahrscheinlich aktiv am Abfassen der Briefe beteiligt und waren somit echte Mitverfasser.

Wie viel sie genau dazu beitrugen, lässt sich natürlich schwer sagen. Aber die Tatsache, dass zwischen den verschiedenen Briefen durchaus stilistische Unterschiede erkennbar sind, lässt sich gut dadurch erklären, dass es eben eine Anzahl von Mitverfassern gab. In dieser Hinsicht verhält sich Paulus anders als die meisten anderen Briefeschreiber, denn andere Autoren in der Antike nannten selten oder nie einen Mitverfasser.

Sekretär – mit Einfluss auf den Text

Dies bedeutet übrigens nicht, dass Timotheus, Silvanus und Sosthenes im tatsächlichen Wortsinn schreiben konnten. Gut zu schreiben war im Altertum nämlich eine große Kunst, die nur wenige beherrschten. Es gab noch keine Schreibtische und das Material war widerspenstig. Dass jemand lesen konnte, bedeutete oft auch, dass er einen Stift führen konnte. Aber das war etwas ganz anderes als das Verfassen eines amtlichen Textes. Schreiben war solch eine Kunst, dass so gut wie niemand in der Antike seine eigenen Briefe schrieb; damit beauftragte man einen Sekretär. Reiche Leute beschäftigten einen eigenen Sekretär, andere wandten sich an einen solchen, wenn etwas geschrieben werden musste. So beauftragte auch das „Team Paulus“ sehr wahrscheinlich bei jedem Brief einen Sekretär. Gerade weil sie namentlich genannt wurden, ist es unwahrscheinlich, dass Mitarbeiter wie Timotheus als Sekretäre für Paulus tätig waren.

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Oft tat ein Sekretär mehr, als sklavisch aufzuschreiben, was der Briefschreiber diktierte. Bei ungebildeten Menschen musste er fast die ganze Arbeit tun, zum Beispiel selbst passende Formulierungen finden. Aber das war bei Paulus natürlich nicht nötig. Bei einigen Briefen sehen wir, dass Paulus selbst zum Schluss einen Gruß schreibt (1. Korinther 16,21; Kolosser 4,18 und 2. Thessalonicher 3,17). Einmal bekommen wir den Eindruck, dass er den letzten Teil eines Briefes komplett selbst geschrieben und darin noch eine kurze Zusammenfassung gegeben hat, nämlich in Galater 6,11-18. Das ist bemerkenswert, denn Galater 1 vermittelt uns den Eindruck, dass Paulus verärgert ist und innerhalb weniger Minuten einen wütenden Brief aufs Papier wirft. Aber auch den Galaterbrief hat er offensichtlich diktiert und das bedeutet, dass es ein Missverständnis ist, dass er den Brief in einer Gemütsaufwallung verfasst hat.

Ein anderer Vielschreiber der Antike, der Römer Cicero (106–43 v. Chr.), reagierte öfter in einem späteren Brief auf einen Kommentar, den er auf einen früheren Brief bekommen hatte, doch er gab nie seinem Sekretär die Schuld an irgendetwas. Als Absender trug auch Paulus die volle Verantwortung für jeden Brief, auch wenn sowohl seine Mitarbeiter als auch sein Sekretär sich an den Formulierungen beteiligt hatten. In den Briefen werden manchmal auch schon vorhandene Texte zitiert, etwa Lieder und Glaubensbekenntnisse, auch wenn wir das heute manchmal nicht mehr erkennen können. In Römer 16,22 stellt sich ein gewisser Tertius als Sekretär und Mitgläubiger vor; bei anderen Briefen hat Paulus möglicherweise auch auf ungläubige Sekretäre zurückgegriffen.

Vom Entwurf zur Endfassung

Bei einem langen Schriftstück, wie dem Brief an die Römer, müssen Paulus und seine Mitarbeiter im Vorfeld überlegt haben, worüber und wie sie schreiben wollten. Als der Zeitpunkt der schriftlichen Abfassung gekommen war, wurde der Sekretär gerufen. Paulus und die anderen diktierten dann die erste Version des Briefes, sei es unter Zuhilfenahme ihrer Aufzeichnungen oder auch nicht. Der Sekretär schrieb dann zu Hause eine Entwurfsfassung und kam zurück, um diese vorzulesen. Wahrscheinlich gaben Paulus und seine Mitarbeiter dann Korrekturen und Ergänzungen in Auftrag, und es gab noch einen zweiten Entwurf, bevor der Sekretär die endgültige Fassung schrieb. Bei jedem Brief fielen für „Team Paulus“ sowohl Lohn als auch Materialkosten an. Das Schreiben einer einzigen Fassung eines kurzen Briefes dauerte wahrscheinlich kaum länger als eine Stunde, während der Römerbrief und der 1. Korintherbrief gut und gerne zehn Stunden in Anspruch genommen haben können. Die Gemeinden, in denen sie sich aufhielten, haben sich möglicherweise an diesen Kosten beteiligt.

Ein Brief wurde erst im Moment des Absendens versiegelt. Das geschah manchmal erst einige Zeit nach seiner Fertigstellung, nämlich dann, wenn ein Bote gefunden war, der den Brief überbringen konnte. Bis zu diesem Zeitpunkt konnten noch Dinge hinzugefügt werden – zum Beispiel, wenn der Verfasser neue Fakten erfuhr. Das ist eine mögliche Erklärung dafür, dass die Passage 2. Korinther 10–13 eine Art Anhang zu sein scheint, der nicht direkt zum Rest des Briefes passt.

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Diejenigen, die Briefe absandten, achteten meist darauf, selbst eine Kopie des Briefes zu behalten. Die Sammlung der Paulusbriefe begann vielleicht mit Abschriften, die er selbst aufbewahrt hatte.

Dr. Pieter Lalleman war Dozent für Neues Testament am Spurgeon’s College, London, ist nun Pastor der Knaphill Baptist Church, England, und zudem Herausgeber der Europäischen theologischen Zeitschrift. Übersetzung von Martina Merckel-Braun.



Dieser Artikel ist in der Zeitschrift Faszination Bibel erschienen. Faszination Bibel wird vom SCM Bundes-Verlag herausgegeben, zu dem auch Jesus.de gehört.

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1 Kommentar

  1. Hat Paulus seine Briefe eigenhändig verfasst?

    Ein nachvollziehbarer und gut verständlicher theologischer Kommentar.

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