Aus menschlicher Sicht ist das Wort vom Kreuz eine „Torheit“. Kreuzigung und Auferstehung, Gesetz und Evangelium, gehören untrennbar zusammen. Theologisch-biblische Gedanken über ein zentrales Thema der Christenheit.
Von Pfarrer Andreas Schmierer
Der spanische Künstler Salvador Dalí bietet mit seinem Gemälde „Der Christus des heiligen Johannes vom Kreuz“ (1951) eine beeindruckende Perspektive: kein Blick von unten auf den erhöhten Christus, keine weinenden Frauen, die fernab von Golgatha stehen. Der Künstler hat Jesus in den dunklen Nachthimmel gemalt. Dort hängt er am Kreuz über einem See mit Fischern und ihren Booten. Blut oder die Dornenkrone suchen wir auf dem Bild vergeblich.
Kreuzesgegenwärtig predigen heißt: Wir nehmen Gottes Wort, diese Welt und uns durch das Kreuz hindurch wahr.
Von oben, vom Himmel aus, ist der Blick auf den Gekreuzigten und die Welt darunter gerichtet. Kreuzesgegenwärtig predigen heißt: Wir nehmen Gottes Wort, diese Welt und uns durch das Kreuz hindurch wahr. Diese Haltung prägt unsere Verkündigung, weil sie von menschlicher Verstrickung, Versagen und Verlorenheit ausgeht und zugleich durchbuchstabiert, was Jesu Sterben und Auferstehen in unserem alltäglichen Leben verändert.
Die Passionsgeschichte erzählen
Gerade weil das Kreuz aus menschlicher Perspektive eine Torheit darstellt (vgl. 1. Korinther 1,18) und nur im Glauben als „Kraft Gottes“ erkannt werden kann, bietet sich ein Nacherzählen und Mitgehen der einzelnen Protagonisten ans Kreuz an. Dieser Zugang ermöglicht es den Hörern der Predigt, sich selbst zu positionieren: etwa mit Petrus, der Jesus verleugnet (Johannes 18,17.25.27), oder mit den Jüngern, die im Garten Gethsemane einschlafen (Matthäus 26,40-45). Zugleich ist persönliche Auseinandersetzung mit den eigenen Lebensumständen und der eigenen Begrenztheit die notwendige Bedingung, um zu einer Identifikation oder Abgrenzung zu gelangen. Dieser Ansatz vertraut besonders darauf, dass sich Gottes Wort Gehör verschafft.
Eine Lehrpredigt
Eine christliche Predigt steht zugleich vor der Herausforderung, die vielfältigen Puzzlesteine der neutestamentlichen Passionserzählungen und Deutungen des Kreuzestodes Jesu in den Paulusbriefen zu sortieren, Missverständnisse aufzuklären und theologische Orientierung zu bieten. Für Prof. Michael Herbst besteht die Aufgabe darin, „unangemessene Kreuzesvorstellungen [zu] dekonstruieren und der Gemeinde (wie auch neugierig-kritisch-suchenden Menschen) [zu] helfen, von den vermeintlichen Ärgernissen biblischer Rede zu den eigentlichen Kernpunkten zu kommen.“ (Michael Herbst: Vom gekreuzigten Gott reden, 161)
Dies wird jedoch nur gelingen, wenn die Predigt inhaltlich Schwerpunkte setzt – und damit anderes an diesem Sonntag ausblendet. Zugleich ist es Aufgabe der Verkündigung, das geheimnisvolle Kreuzesgeschehen zu plausibilisieren oder auch gegen kritische Einwände zu verteidigen (Stichwort: Apologetik). Gegen allen Anschein stellt es nicht die Niederlage, sondern den Sieg dar – nicht mit Stärke, sondern mit vermeintlicher menschlicher Schwäche. Des Weiteren wird eine kreuzesgegenwärtige Predigt klar zwischen Christus als „Gabe“ (Lukas 22,19) und Vorbild, dem wir nachahmen sollen, unterscheiden.
Martin Luther hat diese vom Kirchenvater Augustin entwickelte Unterscheidung aufgenommen und verstärkt. Relevant wird dies, wenn menschliche Hingabe als Illustration für Jesu Lebenshingabe in Predigten vorkommt. Ein aktuelles Beispiel ist der französische Polizist Arnauld Beltrame. Im März 2018 hatte ein IS-Terrorist mehrere Menschen in einem Supermarkt als Geiseln genommen. Als mehrere bereits getötet wurden oder fliehen konnten, blieb noch eine Geisel übrig. Beltrame, ein überzeugter Katholik, bot sich als Austausch für die Geisel an. Kurz darauf wurde Beltrame vom Geiselnehmer so schwer verletzt, dass er letztlich daran verstarb. Beltrame starb stellvertretend, er rettete das Leben einer Geisel und opferte sich selbst. Das ist eindrücklich, doch zugleich hat sein Tod keine Heilsrelevanz. Jesu Tod hingegen war für die gesamte Menschheit.
Gesetz und Evangelium unterscheiden
Im Zuge seiner reformatorischen Entdeckung hat Martin Luther auf die Notwendigkeit einer Unterscheidung von Gesetz und Evangelium hingewiesen. Das Gesetz ist für Luther in Aufnahme von Paulus ein „Zuchtmeister […] auf Christus hin“ (Galater 3,24), das unsere menschliche Verlorenheit zum Ausdruck bringt.
Gerade für Pfarrer, Prädikantinnen und Hauskreiskreisleiter, die in der Heiligen Schrift zuhause sind, besteht die Herausforderung darin, keine Abkürzung zu nehmen und ohne die Predigt des Gesetzes vorschnell zum Evangelium und zur Gnade überzugehen. Der amerikanische Pastor Kyle Idleman schreibt: „Bevor wir mit der Gnade Gottes zusammenprallen, müssen wir erst einmal mit der Realität unserer Sünde zusammenprallen.“ (Idleman: Grace, 37)
Gott verändert Menschenherzen. Gott vergibt. Gott greift ein. Gott heilt. Das erleben Menschen; nicht an jedem Ort, zu jeder Zeit und in jeder Situation, aber immer wieder. Doch das ist nicht das Evangelium. Die Abkürzung, ohne den Weg über Jesu Leiden, seinen Tod am Kreuz und meine Schuld – die das erst nötig gemacht hat – zu gehen, wird womöglich für ein wohliges Gefühl bei den Hörern sorgen. Sie vermeidet Irritationen ob der Grausamkeit des Kreuzestodes. Doch sie ist trügerisch, weil sie das Evangelium nur defizitär beschreibt. Der Theologe Timothy Keller betont: „Nur die Erkenntnis, dass Jesus am Kreuz als stellvertretendes Opfer für uns gestorben ist, kann die Macht der Sünde in unserem eigenen Leben brechen.“ (Timothy Keller: Predigen, 63)
Eine kreuzesgegenwärtige Predigt wird im besten Fall die Frage provozieren: „Was muss ich tun, dass ich gerettet werde?“
Wie viel Auferstehung gehört zum Kreuz?
Eine Sonderstellung nimmt sicherlich die Predigt am Karfreitag ein. Ist es angemessen, am Karfreitag den Tod Jesu stehenzulassen und mit den Jüngern irritiert aufs Kreuz zu blicken? Natürlich ist unsere Sicht heute im Jahr 2025 eine ganz andere als die der Jünger Jesu, für die alles vorbei zu sein schien. Am Karfreitag gilt es beides gut auszubalancieren: Die Dramatik des Kreuzes, das Leiden Jesu, das Unverständnis der Jünger und unser Wissen, dass Jesus am dritten Tag auferstanden ist. Die Predigt über das Kreuz wird sich am Karfreitag unter Umständen mit einem sichtbaren, wenngleich noch kleinen Hoffnungsschimmer begnügen. In der lutherischen Tradition liegt der Schwerpunkt klar auf Karfreitag, doch: Nur von der Auferstehung her lässt sich die christliche Hochschätzung des Kreuzes begründen. Eine kreuzesgegenwärtige Predigt wird im besten Fall die Frage provozieren, die zu Herzen geht und die auch der Gefängniswärter in Apostelgeschichte 16,30 gestellt hat: „Was muss ich tun, dass ich gerettet werde?“ – „Glaube an den Herrn Jesus, und du wirst gerettet werden“ (Apostelgeschichte 16,31).
Andreas Schmierer ist württembergischer Pfarrer und Studienassistent für Praktische Theologie im Albrecht-Bengel-Haus in Tübingen. Er ist Mitglied im Redaktionsteam von 3E.

Dieser Artikel erschien zuerst in der Zeitschrift „Theologische Orientierung“ (Ausgabe 217 „Und immer noch das Kreuz“). Die Veröffentlichung auf Jesus.de erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Albrecht-Bengel-Haus e. V.
Lieber Herr Hehner,
glauben Sie, dass Adolf Hitler vor seinem Suizid zu Gott um Vergebung gebetet hat?
Wenn nicht, dann hat er die „Sünde gegen den Heiligen Geist“ begangen, die kann lt. Jesus nicht vergeben werden, weder hier noch im Jenseits.Mt. 12, 31f.
Was ich aber entscheidender finde, Jesus starb auch für „die Guten“, die meinen, fehlerfrei durchs Leben gekommen zu sein. Jesu Halbbruder Jakobus schreibt in seinem Brief 2,10 „Denn wer das ganze Gesetz hält, aber in einem strauchelt, ist aller (Gebote) schuldig geworden.“
Ein banaler Fehltritt auf der Bergtour führt unter Umständen zum Absturz. Da gibt es keinen Bonus für vorhergegangene 10 000 feste Schritte. Jemand sagte mal sinngemäß „erlaubst du Jesus, für DICH ans Kreuz zu gehen oder willst du das selbst erledigen?“
Der gute Hirte sucht immer das Verlorene Schaf
Lieber Ekkehard, ich glaube alles, was mir auch die Bibel des Neuen Testamentes über Jesus sagt, nämlich dass er für die Schuld aller Menschen gestorben ist. Und dass Jesus nicht – nach seinen eigenen Worten – zum Gericht kommt, sondern zur Erlösung. Eben dies nehme ich ernst. Wenn man dies aber nicht tut, dann würde ignoriert dass alle Menschen Geschöpfe und damit Kinder Gottes sind. Ich glaube, dafür spricht auch das Gleichnis vom Samariter, der doch nach damalig jüdischer Einordnung ein Ungläubiger war, aber im Sinne der Liebe zum Mitmenschen handelte (wie Jesus). Im übrigen wird der Heilige Geist nach der Schilderung der Bibel über alle Anwesenden ausgegossen, nicht nur über die Gläubigen, denn alle haben sich beim multikulturellen Pfingstwunder verstanden. Was Adolf Hitler betrifft – stellvertretend für die wirklich bösen Menschen – geht es nicht darum dass Gott mit deren Haltungen auch nur im entferntesten einverstanden wäre – aber dass keiner an Gott sich vorbeidrücken kann. Und wenn es ohne Jesus kein Heil gibt, dann ist Jesus für alle auch das Heil und dann werden sich alle Knie auch vor ihm beugen. Sonst wäre es keine Erlösung der Schöpfung und der Himmel wäre sehr leer, somit die Erlösungsgemühungen Gottes grandios gescheitert. Das kann ich also niemals glauben.. Ansonsten wäre dieser Bibelvers überflüssig, eine falsche Interpretation, oder falsch übersetzt. Das Kreuz ist sodann Freispruch aller Menschen aus Gnade. Es geht dann darum, daß wir als Christen, denen dies klar ist, hier die Versöhnung mit uns, die von Gott schon erfolgte, annehmen. Was er mit den anderen Menschen macht ist nicht meine Aufgabe. Aber ich denke, ein Gott der Liebe ist, ist auch Liebe. Ich würde es für einen schlimmen DENKFEHLER halten, wenn die von Jesus beantwortete Frage, wie oft man seinen Nächsten vergeben soll, 70×7 bedeutet, also immer und dies nicht Gottes eigener Maßstab ist.. ch kann mir überhaupt nicht vorstellen, daß wir dies als Menschen tun sollten (was so schon sehr schwierig für uns ist), aber ausgerechnet Gott nicht vergibt und ewig verdammt. Dann würde die Hölle nicht im Feuer verbrannt und wäre ewig. Aber hier gibt es vermutlich ein Missverständnis, denn nicht Gott macht Krieg, ermordet Menschen, erzeugt Terror, wirft Feuer vom Himmel, sondern wir sind es und auch wir haben die Hölle in Betrieb gehalten. Sie ist eine menschliche Erfindung. Jesus der seine Feinde liebt, der liebt seine Feinde und der will, dass sie sich mit Gott auch versöhnen. Und was Sie noch schreiben: Und selbstverständlich können wir alle, auch als Christinnen und Christen, jederzeit in unsere Abgründe fallen. Aber dafür verlässt der gute Hirte die 99 Schafe und sucht das Verlorene, legt es auf seine Schultern und er trägt es liebevoll heim. Wenn ich dies nicht mehr glauben soll, nämlich dass Gott uns in die Abgründen fallen lässt, würde das mein Glauben und auch meine christlich politischen und sozialen Hoffnungen, mitunter die Bergpredigt, sehr in Zweifel ziehen. Selbst die Bergretter, auch wenn sie keine Christen sind, helfen mir aus jeder Bergnot. Warum sollte Gott nicht auch uns aus Abstürzen retten. Mein Gott tut das und dies ist auch meine Glaubenserfahrung. Deshalb versuche ich alle meine Mitmenschen zu lieben, auch wenn sie keine Christen sind.
Der Tod Jesu war falsche Gerichtsentscheidung
So kompliziert wie (offensichtlich) die Predigt vom Kreuz ist, so einfach ist sie doch: Ich glaube keinesfalls, daß Gott beschlossen hatte – menschlich gesprochen – Jesus müsse am Kreuz sterben. Dies ist das Werk des Blutgerichtes der Römer, weil sie als Besatzungsmacht wohl einzig über ein Todesurteil entscheiden durften (es war die römische Todesstrafe und nicht eine der Juden). Gott greift also (zumindest nicht in der Regel) hier in unsere Entscheidungen, über unser böses oder guten Tun, gegen unseren Freien Willen, in dieser Welt ein. Aber Gott lässt es dann folglich auch geschehen, was wir tun oder versäumen (so ist dann auch unser Klimawandel, den auch die Menschheit verursachte). Es war Gottes Vorauswissen, daß Jesus getötet wird. Und Jesus hat diesen Willen Gottes nicht einzugreifen auch akzeptiert , also auch keine kriegerischen Engel zur Befreiung zu schicken (und kriegerische Engel gibt es nicht, nur kriegerische menschliche Phantasien). Das Kreuz selbst, der Tod des Messias, das Sterben des Gerechten Menschensohnes (eines Menschen, wie ihn sich Gott vorstellte), ist selbst das stärkste Argument Gottes, daß der Himmel und damit Gott nur mit Liebe – und nicht mit Gewalt – herrscht. Wenn wir töten, Kriege führen, Menschen ermordet werden, die im Mittelmeer ertrinken, oder andersweitig zu Tode kommen, dann schlagen wir (sinnbildlich) Jesus wieder an sein Kreuz. Wenn wir Menschen lieblos behandeln oder quälen, dann schlagen wir Jesus ins Gesicht. Das Kreuz sagt, Gott arbeitet nicht mit Gewalt, sondern mit dem Gegenteil, Gott herrscht nur mit seiner Liebe. Aber am Kreuz versöhnt sich Gott mit der Menschheit. Eine größere Liebe als am Kreuz kann es nicht geben. Denn Gott wird ja auch selbst Mensch und die Menschen ermorden ihn als Menschensohn brutal. Und Gott liebt seine Feinde. Diese Liebe ist vergleichbar mit demjenigen Menschen, der im Konzentrationslager für einen anderen Menschen in den Tod ging, damit der andere Menschen leben konnte. Leider um 4 Ecken gedacht.
Aber diese himmlische Logik ist so einfach wie die Behauptung, daß die Kausalitäten auch in himmlischen Angelegenheiten stattfinden: Jesus ist am Kreuz wirklich gestorben und medizinisch tot gewesen. Aber er ist auferstanden. Dies ist zwar ein Wunder. Aber Wunder passieren aufgrund nur von Naturgesetzen, die wir nicht kennen und vielleicht auch hier auf Erden nie erklärt bekommen. Es ist wie mit dem Fahrzeug eines guten Ingenieur, der dieses Fahrzeug erfunden hat und seine Funktionen ebenfalls: Er wird bei diesem Fahrzeug nicht den Rückwärtsgang beim Fahren auf der Autobahn einlegen. Ich glaube, daß die Theologen halt wie Theologen denken und daher häufig vor lauter Bäumen, oder sehr kompliziert gemachten Erklärungen, mit einem juristischen Verständnis des Kreuzestodes – als stellvertretenden Tod an unserer Stelle – zurecht hadern. Nun hat Gott aber wirklich kein Feuer vom Himmel geworfen, als Jesus gestorben ist und als Jesus auferstanden war liebte er weiter seiner Jünger und alle Menschen dieser Welt, auch Judas der ihn verriet. Und insofern ist Jesus sogar für Adolf Hitler gestorben. Denn er versprach allen Menschen, daß er niemals gekommen ist um die richten, sondern nur um zu erlösen. Erst wenn wir wirklich glauben, daß Gott nur mit Liebe herrscht, nicht mit keinerlei Form von Gewalt oder der Hölle, haben wir es verstanden. Das Kreuz ist ein wunderbares Zeichen für Gottes Liebe, daß er uns liebt, obwohl wir als Menschen potentiell böse sind. Und weil uns vergeben ist, haben wir keine Bringschuld und niemand muss für (himmlische) Liebe bezahlen. Christen sind daher aus Dankbarkeit hoffentlich gerne bereit, sich ihren eigenen ethischen Idealen anzunähern und Jesus auf ihrem Lebensweg nachzufolgen. Wir sind also durch das Kreuz freigesprochen, aber nicht weil hier jemand juristisch für uns Schuld trug, sondern weil Gott uns allen immer vergibt. Und zwar 70 x 7mal. Wie oft sollen wir vergeben, wurde Jesus gefragt? Eben damit immer. Die Feindesliebe wird auch von Gott praktiziert. Und wenn wir nicht töten dürfen, tötet Gott auch nicht. Denn er ist ein Gott des Lebens und nicht des Todes.