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Wenn Gottes Wort unwahr wird

Beim Zitieren von Bibelversen gilt es vorsichtig zu sein. Theologe Ulrich Wendel meint: Wir können recht haben und trotzdem das Falsche sagen.

Zu den Bibelworten, die mich immer wieder einmal stärken, gehört die Verheißung aus Römer 8,28:
„Wir wissen aber, dass Gott bei denen, die ihn lieben, alles zum Guten mitwirken lässt, also bei denen, die er nach seinem freien Entschluss berufen hat“. Was für eine befreiende Perspektive: Dinge, die aus meiner Sicht total schieflaufen, werden von Gott als Teile in ein großes und schönes Bild eingefügt! Ich möchte diesen Satz allerdings nicht in jedem beliebigen Moment oder von irgendeinem Menschen gesagt bekommen. Dann klingt er falsch – und ich bin überzeugt: Das ist nicht nur ein Gefühl.

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„Weißt du, du musst dem einfach vergeben, dann belastet dich das auch nicht mehr.“ Noch so ein Satz, der im Grunde völlig richtig ist (Matthäus 18,21-22) – der aber so dahingesagt werden kann, dass er falsch wird.

Kann Gottes Wort unwahr werden? Gottes Wort, das von dem inspiriert wurde, der über allem steht und dessen Weisheit uns Geschöpfen unendlich überlegen ist? Ja, so ist es. Gottes Wort kann unwahr werden, und diese Einsicht muss Folgen haben dafür, wie wir mit der Bibel umgehen. Wer sich auch nur ein wenig in der Bibel auskennt, wird schon mal darüber gelesen haben, wie Jesus in der Wüste auf die Probe gestellt wurde (Matthäus 4,1-11). Da wird reichlich aus der Heiligen Schrift zitiert – aber es ist der Teufel, der dies tut, und Jesus lehnt diese Schriftzitate massiv ab.

Mit Gottes Wort als Grundlage die Unwahrheit sagen

Falsch platzierte Wahrheiten gibt es aber nicht nur, wenn der Teufel am Werk ist. Auch Menschen führen sie im Mund. So war es in der Szene, als Schriftlehrer und Pharisäer eine Frau anschleppten, die fremdgegangen war. Jesus sollte sein Urteil über sie sprechen. Von Gottes Wort her war klar, wie dieses Urteil ausfallen müsste: Steinigung (3. Mose 20,10; 5. Mose 22,22). Trotz dieser eindeutigen Faktenlage aber sagte Jesus nichts. Warum nicht?

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Weil die Absicht der Ankläger völlig verlogen war. Für sie war diese frisch ertappte Frau ein willkommenes Instrument, um Jesus in Widersprüche zu verwickeln. Dabei war uninteressant, dass da ja auch noch ein Mann beteiligt war und dass der, – wenn man die Schriftstellen befolgt, – ebenfalls verklagt, verurteilt und hingerichtet werden müsste.

Die Ankläger hatten recht und sagten dennoch – mit Gottes Wort als Grundlage – die Unwahrheit. Gottes Wort wird unrichtig, wenn man es in den falschen Rahmen stellt oder wenn die falschen Menschen es zur falschen Gelegenheit im Munde führen. Das festzustellen ist kein Versuch, sich die Bibel passend zurechtzulegen, sondern eben diese Bibel zeigt das.

Ein nasser Waschlappen ins Gesicht

„Tja, du musst halt mehr glauben!“ Gottes Wort unterstreicht dieses Ziel (Johannes 20,27-29; 1. Thessalonicher 3,10). Doch wenn angefochtene oder verzagte Menschen diesen Appell hören, ist das keine Ermutigung, sondern ein nasser Waschlappen ins Gesicht. „Wenn du mehr beten würdest, könntest du auch mehr erleben.“ Vermutlich richtig – aber aus der unbeteiligten Distanz gesagt, ist dies das falsche Wort.

„Ich glaube, Gott erzieht dich gerade durch das Schwere, das du erlebst.“ Ja, das könnte jemand im Rückblick so für sich erkennen, und die Bibel würde ihn dabei unterstützen (Hebräer 12,6.10). Doch das ist kein Generalschlüssel für jede Situation, – sondern kann ein Riegel sein, der das Tor zur Hoffnung gerade verschließt.

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Hiobs Freunde

Wir finden in der Bibel eine Reihe von Beispielen, die das bestätigen. Wie war es mit den Freunden Hiobs, die ihm ausdauernd zugeredet haben? Sie haben viel Richtiges gesagt, und manche ihrer Sätze klingen so tröstlich, dass man sie sich gern als Kalenderspruch ausdrucken und einrahmen möchte: Gott ist der, „der Großes und Unergründliches tut, Wunderbares ohne Zahl; der Regen auf die Erde gibt und Wasser auf die Fluren schickt, um Niedrige in die Höhe zu bringen, Trauernde wieder glücklich zu machen“ (Hiob 5,9-11).

Gott „fügt Schmerzen zu und verbindet, er schlägt Wunden, und er heilt sie auch. Aus sechs Nöten reißt er dich heraus, in sieben tastet dich kein Unglück an. In Hungersnot erlöst er dich vom Sterben, im Krieg vor dem gewaltsamen Tod“ (Hiob 5,18-20). Teile dieser Zusagen sind in der Lutherbibel als „Kernvers“ fett gedruckt. Und noch vielem mehr von ihren Ausführungen wird man zustimmen. Dennoch sagt Gott am Schluss, dass sie nichts Wahres über ihn geredet haben – im Gegensatz zu Hiob (Hiob 42,7). Wie kann das sein? Wie kann – auch an anderen Stellen der Bibel – Gottes Wort unwahr werden?

Wie ein Dornzweig

Eine erhellende Erklärung finde ich in Sprüche 26,9: „Wie ein Dornzweig in der Hand des Betrunkenen ist ein Weisheitsspruch im Mund eines Dummen.“ Das Wort ist, für sich genommen, weise und wahr. Aber wenn man damit in all seiner Schärfe um sich schlägt, verfehlt es seinen Zweck, verletzt andere, beleidigt den, der es gesprochen hat – und wird so unwahr.

Nicht immer sind Verletzungen und Wunden die Folge. Es kann auch sein, dass das Wort einfach verpufft: „Schlaff hängen die Beine am Lahmen herab, so ein Weisheitsspruch aus einem dummen Mund“ (Sprüche 26,7). Auch wenn man Gottes Wort die Kraft raubt und es belanglos macht, ist das eine Beleidigung Gottes. Mir helfen diese Sprichworte der Bibel, die Reden der Freunde Hiobs richtig einzuordnen. (Theologen sagen: Hier haben wir einen hermeneutischen Schlüssel.)

Die Liebe genügt und der Buchstabe tötet?

Falsch platzierte Worte Gottes gibt es nicht nur von unbarmherzigen Menschen und von sogenannten Pharisäern. Auch Bibelzitate, die befreiend wirken, können deplatziert sein. „Allein auf die Liebe kommt es an.“ Ja, so ist es, das bestätigen Jesus und auch Paulus an vielen Stellen. Aber nicht immer ist damit alles gesagt.

Das zeigt zum Beispiel der 1. Thessalonicherbrief, der von der Liebe grundlegend ausgeht (1. Thessalonicher 4,9-10), aber nicht für überflüssig hält, verbindliche Konkretionen dieser Liebe zu benennen (4,1-8.11-12; 5,12-21). Liebe soll mit Wahrhaftigkeit einhergehen (Epheser 4,15), und wir dürfen auch nicht übersehen, dass die Nächstenliebe nur ein Teil des Themas ist – die Liebe zu Gott gehört untrennbar dazu.

Ein anderes Bibelwort, das oft in den falschen Rahmen gestellt wird, ist: „Der Buchstabe tötet, der Heilige Geist aber macht lebendig“ (2. Korinther 3,6). Mit diesem Zitat kann man Mitchristen unterstellen, sie wären buchstabengläubig und hätten den „Geist“, die Absicht Gottes hinter dem Wort, nicht erfasst. Auch der Vorwurf „Pharisäer!“ ist schnell zur Hand.

Es kommt eben auf den Zusammenhang an, auf den richtigen Rahmen. Von ihm hängt ab, ob ein Wort Gottes wahr bleibt oder unwahr wird.

Paulus will im Zusammenhang aber etwas anderes sagen. Er spricht nicht von Leitlinien des Wortes Gottes, die etwa töten würden, sondern vom Gesetz des Alten Bundes, das den Weg zu Gott nicht eröffnen kann. Der Rahmen des Pauluswortes ist nicht die christliche Lebensführung, nicht die Ethik, sondern die Frage, wie man mit Gott ins Reine kommt. Auch dieses Wort kann also, falsch angewandt, zum „Dornzweig“ werden.

Übrigens sollte man sich auch den Pharisäer-Vorwurf gut überlegen. Er arbeitet mit einem Pharisäer-Klischee, das so vereinfacht nicht stimmt, und er übersieht, dass die Pharisäer oft das gleiche Ziel wie Jesus hatten – nur im Weg dorthin gab es gravierende Unterschiede. Es war durchaus nicht immer falsch, sich nach dem zu richten, was die Pharisäer sagen – meinte Jesus (Matthäus 23,3)! Es kommt eben auf den Zusammenhang an, auf den richtigen Rahmen. Von ihm hängt ab, ob ein Wort Gottes wahr bleibt oder unwahr wird.

Gottes Wort richtig anwenden

Wie aber können wir Gottes Wort richtig anwenden, ohne dass es verzerrt wird? Auch mit dieser Frage hat sich Paulus beschäftigt. Er schreibt von falschen Lehrern, die Unsinn über Gottes Wort reden. Diese Leute „verstehen überhaupt nichts von dem, was sie sagen und was sie so sicher behaupten“ (1. Timotheus 1,7). An Gottes Wort liegt das nicht.

Paulus hält fest, „dass das Gesetz gut ist, wenn man es sachgemäß gebraucht“. Es ist zu einem bestimmten Zweck für bestimmte Leute gegeben (1. Timotheus 1,9-11). Wer aus der Kraft von Christus heraus sowieso das Richtige tut, braucht es nicht. Dennoch ist nicht jede Anweisung überflüssig.

Im Rahmen der Liebe

Man muss nur das Ziel der Weisung im Blick haben – und wenn Paulus dieses Ziel benennt, gibt er uns wieder einen „hermeneutischen Schlüssel“: „Das Ziel jeder Anweisung und Unterweisung ist aber die Liebe, und zwar Liebe aus reinem Herzen, gutem Gewissen und ungeheucheltem Glauben“ (1,5). Anders gesagt: Gottes Wort ist wahr, weil (und wenn) man im Vertrauen zu Gott lebt, ein durch Gottes Geist erneuertes Herz hat und vom bösen Gewissen befreit ist (und die Bibel deshalb nicht dazu verwendet, um sich selbst zu rechtfertigen oder zu verteidigen).

Und das Lesen und Weitergeben von Gottes Wort darf nicht aus dem Rahmen der Liebe herausfallen. Dann kommt es auch nicht zu lieblosen oder unbeteiligt-distanzierten Richtigkeiten wie den oben genannten Sätzen: „Du musst nur glauben, du musst mehr beten, du musst vergeben, du musst deine Sünden bekennen, Gott erzieht dich gerade, und dein Unglück ist nur zu deinem Besten.“

Weise, maßvoll und für die Situation passend

Nötig ist also eine Bibel-Kompetenz. Man kann sie mit den Worten von Paulus an Timotheus beschreiben: Dieser soll jemand sein, „der das Wort der Wahrheit recht austeilt“ (2. Timotheus 2,15, Elberfelder Bibel). Eigentlich meint Paulus damit: Er soll geradeheraus und unbeirrt Gottes Wort weitergeben. Aber die Übersetzung der Elberfelder Bibel lässt etwas Richtiges anklingen. Es kommt darauf an, weise, maßvoll und für die Situation passend mit dem Wort umzugehen. Dasselbe sagt Jesus im Gleichnis vom Haushalter. Dieser teilt aus seinem Vorratskeller nicht alles zu jeder Zeit jedem zu, sondern passend, mal Altes, mal Neues (Matthäus 13,52).

Ein solcher weiser Haushalter kann nur sein, wer ein Jünger des Himmelreichs geworden ist. Mit anderen Worten: Bloße Einsicht genügt nicht. Ohne die Nachfolge hinter Christus her und ohne eine Vertrauens- und Lernbeziehung zu ihm wird es nicht gehen. Auf diesem Wege werden wir fähig, etwas aus der Bibel so weiterzugeben, dass es nährt und aufbaut. Und dann ist das ewig wahre Wort Gottes auch in der jeweiligen Situation wahr.

Ulrich Wendel ist Chefredakteur von Faszination Bibel. Die Bibelstellen sind (außer explizit anders angegeben) nach der Neuen evangelistischen Übersetzung zitiert.


Ausgabe 1/23

Dieser Artikel ist in der Zeitschrift Faszination Bibel erschienen. Faszination Bibel ist Teil des SCM Bundes-Verlags, zu dem auch Jesus.de gehört.

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1 Kommentar

  1. Das kommt dabei heraus! – Wenn Fundamentalisten die Bibel nicht mehr verstehen, entsteht so ein Satz wie „die Bibel ist unwahr“ Erstaunlich! – Herr W. wendet das Blatt dann ja noch. Tatsächlich wird die Bibel ja nicht unwahr, aber sie wird missbraucht. Die Beispiele im Artikel zeigen, dass es mal aus Eifer und aus Unkenntnis geschehen kann, aber auch aus fehlender Liebe, aus Fanatismus, aus Menschenverachtung. Ich finde, an dieser Stelle könnte sehr wohl mal von Sünde gesprochen werden.
    Die Bibel als solche ist ein sicheres Fundament des Glaubens. Aber das Problem sind die Leser / Leserinnen. Niemand liest die Bibel einfach neutral, sondern immer aus den eigenen Erfahrungen, Bedürfnissen, der eigenen Lebensgeschichte, unter dem Einfluss der eigenen Auslegungsgemeinschaft, ob wir wollen oder nicht, ob wir es wissen oder nicht. Und als Gerechtfertigter und Sünder. Deshalb geht es i m m e r um einen Verstehensprozess, ich bin erfreut, dass dies im Artikel deutlich wird.
    „…damit um sich schlagen,…in ein falschen Rahmen stellen, …die falschen Menschen, die falsche Gelegenheit, aus der unbeteiligten Distanz gesagt…“ Das sind markante Punkte, durch die viele Gläubige vertrieben werden, durch die sich Fanatiker schuldig machen und es oft nicht einmal merken.

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