Dieser Choral hat sieben Strophen, wirkt wie aus einem Guss und hat doch vier Urheber. Einer davon wurde Soldat, weil er sich so mehr Zeit zum Beten erhoffte.
- Sonne der Gerechtigkeit,
gehe auf zu unsrer Zeit;
brich in deiner Kirche an,
dass die Welt es sehen kann.
Erbarm dich, Herr. - Weck die tote Christenheit
Weck die tote Christenheit
aus dem Schlaf der Sicherheit;
mache deinen Ruhm bekannt
überall im ganzen Land.
Erbarm dich, Herr. - Schaue die Zertrennung an,
der kein Mensch sonst wehren kann;
sammle, großer Menschenhirt,
alles, was sich hat verirrt.
Erbarm dich, Herr. - Tu der Völker Türen auf;
deines Himmelreiches Lauf
hemme keine List noch Macht.
Schaffe Licht in dunkler Nacht.
Erbarm dich, Herr. - Gib den Boten Kraft und Mut,
Glaubenshoffnung, Liebesglut,
lass viel Früchte deiner Gnad
folgen ihrer Tränensaat.
Erbarm dich, Herr. - Lass uns deine Herrlichkeit
ferner sehn in dieser Zeit
und mit unsrer kleinen Kraft
üben gute Ritterschaft.
Erbarm dich, Herr. - Kraft, Lob, Ehr und Herrlichkeit sei dem Höchsten allezeit,
der, wie er ist drei in ein,
uns in ihm lässt eines sein.
Erbarm dich, Herr.
Ökumenische Fassung:
Lass uns eins sein, Jesu Christ,
wie du mit dem Vater bist,
in dir bleiben allezeit heute wie in Ewigkeit.
Erbarm dich, Herr.
Otto Riethmüller
Ein gesungenes Gebet
„Sonne der Gerechtigkeit“ hat sieben Strophen. Es wirkt wie aus einem Guss und doch müssen unsere Gesangbücher nicht weniger als vier Namen von Männern nennen, die für den Text verantwortlich sind.
Die Strophen drei und sieben stammen vom Theologen Johann Christian Nehring, der zum Kreis um August Hermann Francke und seinem Waisenhaus in Halle gehörte; die Strophen 1 und 6 verdanken wir dem Zimmermann Christian David, der später Soldat wurde, und zwar nicht aus Lust am Krieg, sondern weil er hoffte, auf diese Weise mehr Zeit zum Beten zu finden!
David kam aus einer damals verbotenen Brüderkirche, die lange im katholischen Mähren ein heimliches Leben im Untergrund führte, bis einige ihrer Glieder, von ihm angeführt, in einer Nacht-und-Nebel-Aktion über ein Gebirge zog. So gelangten sie auf das Anwesen des evangelischen Reichsgrafen Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf, der sie freundlich aufnahm.
Im Kirchenkampf feingeschliffen
Die Strophen zwei, vier und fünf dichtete der theologisch gebildete Missionsfreund Christian Gottlob Barth; er begründete den Calwer Verlag, einen noch heute existierenden theologischen Verlag in Hermann Hesses Heimatstadt Calw.
Im 20. Jahrhundert, in der Zeit des Kirchenkampfes, also der Auseinandersetzungen mit dem Nationalsozialismus, hat dann der Jugendpfarrer Otto Riethmüller – sein Name ist mit dem Burckhardthaus aufs engste verbunden – dem Lied seine heutige Gestalt gegeben.
„Tote Christenheit“ wieder erwecken
Das Lied „Sonne der Gerechtigkeit“ ist ein gesungenes Gebet. Jede Strophe formuliert eine Bitte, in der es um eine lebendige, missionarische und ökumenisch offene Kirche geht. So bittet es darum, dass die „tote Christenheit“ aus ihrem Schlaf erweckt werden möchte.
Es bittet um die Überwindung der „Zertrennung“, die den einen Leib Christi auseinanderzureißen droht. Und es bittet um die weltweite Ausbreitung des Evangeliums, ist also auch ein schönes Missionslied.
Die Sprache des Liedes ist reich an biblischen Formulierungen. Gleich in der Eingangszeile klingt die prophetische Verheißung aus Maleachi 3,20 an. Der Dienst der Boten, die das Evangelium in alle Welt hinaustragen, wird in Anlehnung an den 126. Psalm (Vers 5) geschildert. Auch die Bitte um offene Türen in der Völkerwelt ist biblischer Sprachgebrauch.
„Herr, erbarme dich!“
Jede Strophe endet mit der Bitte um Gottes Erbarmen. Darin folgt „Sonne der Gerechtigkeit“ der alten Form der Litaneien, in denen die Gemeinde auf jedes Gebetsanliegen mit dem Ruf „Herr, erbarme dich!“ antwortet.
Die überaus kräftige Melodie stammt aus der schon erwähnten verbotenen Brüderkirche. Sie passt sehr gut zu dem mutigen und kräftigen Klang der Worte. Wem die Erweckung der Gemeinde Jesu und die Verkündigung des Evangeliums in aller Welt am Herzen liegt, wird dieses Lied gerne singen.
Text: Reinhard Deichgräber