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Mrs. Greenbird: „Lachend in die Kreissäge gesprungen“

Sie waren an der Spitze der Charts, dann wurde es ruhig um sie. Nach fünf Jahren versuchen es Mrs. Greenbird noch einmal: Heute (12. April) erscheint ihr Album Dark Waters – die erste Produktion im eigenen Label. Und die wäre beinahe einem Tornado zum Opfer gefallen.

Von Nathanael Ullmann

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Hundegebell ist das erste, das ein Gast bei Sarah Nücken und Steffen Brückner hört. Sobald die Klingel surrt, stimmen die Vierbeiner ihr Begrüßungsritual an. Kaum ist die Küchentür geöffnet, stürmen sie auf den Besucher los, umschwärmen ihn in einer Mischung aus Freude, Neugier und Wachsamkeit. Sie rasen durchs Wohnzimmer, balgen sich auf dem Rasen und rollen über den Teppich. Kurzum: Wenn Besuch da ist, sind die beiden Tiere nicht mehr zu stoppen.

Größer könnte der Kontrast zu Herrchen und Frauchen nicht sein. Es ist vier Tage vor Album-Release. Es ist die Veröffentlichung, die über die Zukunft von Mrs. Greenbird entscheidet. Steffen Brückner sitzt am Wohnzimmertisch und wirkt, als trage er wie Atlas die Welt auf seinen Schultern. Seine einfachen, grauen Klamotten haben den Glanz der Roten-Teppich-Zeiten lange hinter sich gelassen. Aus seinen Augen blicken Müdigkeit und Ruhelosigkeit gleichermaßen. Vier Tassen Kaffee wird er während des Interviews trinken.

Greenbird Sarah Nücken
Nacht für Nacht hauchte Sarah Nücken ihr Herzblut ins Mikrofon. (Foto: Jesus.de / Nathanael Ullmann)

Sarah Nücken lässt sich die Last der vergangenen Monate weniger anmerken. Sie hat sich herausgeputzt. Blumen in starken Farben prangen auf ihrem Rock und ihrer Bluse. Ihr Gesicht schmücken Ohrringe in Federform. Die Haare hat sie sich rot gefärbt. Doch in den kurzen Gesprächspausen merkt man auch ihr die Anspannung der letzten Monate an. „Wir sind mega am Anschlag“, sagt sie.

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X-Factor ist Segen und Fluch

Die neue Platte ist ein Befreiungsschlag. Sie ist der Ruf nach Authentizität in einer Branche, die nur den Konsum im Blick hat. Mit Dark Waters wollen die Greenbirds endlich ihr eigenes Ding machen. Sie wollen zeigen, dass sie nicht einfach nur eine weitere Castingshow-Band sind. Sie wollen zeigen, wie Country Folk Pop klingen kann.

Der November 2012 ist für das Duo Segen und Fluch zugleich. Dank der Fernsehsendung X-Factor werden sie über Nacht berühmt. Ihr Album Mrs. Greenbird erreicht den ersten Platz der deutschen Albumcharts. „Das war eine wunderschöne Zeit mit tollen Erinnerungen, für die ich sehr dankbar bin“, sagt Sarah. Doch gleichzeitig ist damit ihr Ruf besiegelt. „Wenn du als Architekt einen Kaufhof baust, bist du immer der, der den Kaufhof gebaut hat. Auch wenn du danach vieles anderes gemacht hast“, sagt Steffen. Wie unangenehm es ihm ist, immer wieder auf diese Phase angesprochen zu werden, lässt sich aus seiner Stimme heraushören. Spricht er von der Castingshow, bekommt sie schnell einen energischen Unterton. X-Factor habe im Leben von Mrs. Greenbird keine Rolle mehr gespielt, sobald die Show vorbei war: „Trotz allem hängt das wie ein Damoklesschwert über einem.“

Zwei Alben veröffentlichen Sarah und Steffen über Sony: Mrs. Greenbird im Jahr 2012 und Postcards im Jahr 2014. Danach trennen sich die Wege. „Da gab es kein richtiges Team-Gefühl mehr“, sagt die Sängerin. Dafür hätten die Mitarbeiter zu schnell durchgewechselt.

Greenbird Steffen Brückner
Viele Aufgaben hat das Duo selbst übernommen. (Foto: Jesus.de / Nathanael Ullmann)

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Fortan sind die Kölner auf der Suche nach einem anderen Label. Doch der Funke springt nirgendwo über: „Viele wollten uns eher in die Schlagerrichtung drängen. Damit hatten wir aber Bauchschmerzen.“ Die beiden Musiker nehmen das aktuelle Album fast komplett auf – bis sie merken, dass es so nicht zu ihnen passt. Es ist zu groß, zu elektronisch, zu nahe am Mainstream.

Mehr Raum für Melancholie

2016 kommt dann die Entscheidung: Ein eigenes Plattenlabel muss her. Die einzige Möglichkeit, sich von der Vorgeschichte zu lösen, ist für die beiden, ihre Musik selbst in die Hand zu nehmen. Seitdem arbeiten Sarah und Steffen an ihrem ganz eigenen Album. Dem ersten, das frei von jeglichen Zwängen entsteht. Und tatsächlich klingt das, was bisher davon zu hören ist, ganz anders als die bisherige Mrs. Greenbird. Das titelgebende Dark Waters schwimmt in Melancholie. „Dark Waters rise to our Knees (Dunkle Wasser steigen unsere Knie empor)“, singt Sarah da ins Mikro. Im Musikvideo läuft das Duo im Schutzanzug durch eine graue Welt. Und selbst im deutlich fröhlicher anklingenden One Day in June schwingt die Nostalgie in jeder Note mit. „Wie haben zwei Seiten: eine melancholische und eine verspielte. Und bisher kam Letztere in den Platten immer mehr zum Tragen“, sagt die Sängerin.

Auch sonst macht Mrs. Greenbird jetzt einiges anders. Das neue Album hat den Mut zu einer authentischen, obschon polarisierenden Stimme, es gibt deutlich mehr Passagen mit Slide-Gitarre, mehr Gitarren-Solos und auch mal ein Stück, das länger ist als die in der Popmusik üblichen dreieinhalb Minuten. Jetzt liegt es da: ihr Baby, auf dem Wohnzimmertisch, in Vinyl gepresst.

Der Weg dorthin ist ein steiniger. Plötzlich muss das Paar alles aus eigener Tasche bezahlen. Von einem mittleren fünfstelligen Betrag sprechen sie: „Wir haben unsere gesamte Altersvorsorge in die Platte investiert.“ Und das, obwohl Sarah und Steffen viele Aufgaben selbst erledigen. Die Aufnahmen entstehen im Keller der Greenbirds. Er liegt direkt unter dem Wohnzimmer. Es wirkt wie ein Blick in eine ganz andere Welt. Die Wohnung könnte einem Möbelkatalog entstammen. Das Studio aus Eigenhand hingegen erinnert mehr an ein musikalisches Experimentierlabor aus Studienzeiten. Jede Ecke der wenigen Quadratmeter ist gefüllt mit Ausrüstung. Kabel hängen von der Decke, Mikrofone stehen im Raum, Gitarren sind an der Seite aufgereiht. Nur ein kleines Kellerfenster beleuchtet die Szenerie. Das ist die Geburtsstätte von Dark Waters. Hier haben die Greenbirds in den Nachtstunden ihr Herzblut ins Mikrofon gehaucht.

Plötzlich Tornado

Hinzu kommen immer wieder Rückschläge. Beispielsweise, als beide Musiker im Januar 2019 nacheinander erkranken. Oder aber Mitte März: Das Mastering der Lieder soll Craig Alvin aus Nashville übernehmen. Jahrelang ist er in der Musikszene nur ein Geheimtipp. Doch just zu der Zeit, als er die Songs final abmischen soll, gewinnt er erstmals einen Grammy. Zwei Wochen lang ist er in Los Angeles unterwegs. Als er zurückkommt, bleiben ihm drei Tage Zeit, bis das Album gepresst werden muss. Freitags geht er ins Studio, sonntags soll die Abgabe geschehen. Doch schon Freitagnachmittag meldet er sich: „Er sagte uns, dass es eine Tornado-Warnung gab“, sagt Sarah. Bis Sonntag bleibt es um ihn ruhig. Bis Sonntag wissen die beiden nicht, ob sie auch nur ein Lied von Craig bekommen. Erst nachts um vier Uhr gibt es Entwarnung – die Mischung ist da. Auch mitten im Interview muss Steffen plötzlich telefonieren. Kooperationspartner haben von einer Vorabveröffentlichung nichts gewusst und sind nun verärgert. Minutenlang hört man seine Stimme aus dem Studio, während er die Wogen glättet. „Wir haben manchmal mehr gegeben als wir konnten“, fasst die Sängerin die vergangenen Monate zusammen. Und Steffen: „Wir sind lachend in die Kreissäge gesprungen.“

Greenbird Kunstwerk
Der Glaube findet sich im Detail. (Foto: Jesus.de / Nathanael Ullmann)

Ihr Glauben gibt ihnen in diesen Zeiten Halt. „Ich denke, dass das passiert, was passieren soll“, sagt Sarah. Wenn Gott wolle, dass die Platte erfolgreich werde, sei das gut. Wenn nicht, habe das seinen Grund. Für sie sei der Glaube immer präsent. Phasen des Zweifels habe es nie gegeben.

In der Öffentlichkeit spielt die Religion der Greenbirds allerdings eine untergeordnete Rolle. Werden sie darauf angesprochen, stehen sie Rede und Antwort. Und auch in den Liedern lässt sich die christliche Überzeugung zwischen den Zeilen herauslesen. Davon ab kommt sie selten zur Sprache. „Wir wollen nicht missionieren“, sagt das Duo.

Allgemein verstehen Sarah und Steffen ihren Glauben mehr als einen der Taten denn als einen der Worte. Für beide spielt die Liebe zum Mitmenschen die wesentliche Rolle. Im Detail unterscheidet sich die beiden jedoch. Steffen versucht, seine Überzeugung auf das Wesentliche zu beschränken: „Für mich ist relevant, für Menschen da zu sein.“ Das sei der Kern, an den er glaube. Im Laufe der Jahre ist er vielen Gemeinden begegnet. Sie alle hatten unterschiedliche Vorstellungen, und sie alle hatten einen Absolutheitsanspruch. Nur ebenjener Kern war bei allen gleich. Auch für Sarah spielt die bedingungslose Liebe eine Rolle: „Aber ich glaube auch an ewiges Leben durch Jesus.“

Springen wie die Hunde

Und doch – trotz des Glaubens bleibt die Ungewissheit, wie das neue Album beim Publikum ankommt. Plan Bs tragen die beiden einige mit sich herum. Sarah könnte wieder ihren alten Beruf als Sozialpädagogin aufnehmen. Oder sich als Gesangslehrerin verdingen. Man könnte man das gesammelte Expertenwissen in einem Podcast weitergeben. Und die Tätigkeit des Labels ausbauen. Und, und, und. Und doch, hinter allen Vernunftsgedanken bleibt die große Hoffnung, das weitermachen zu können, was man liebt: die Musik.

In wenigen Wochen wird Mrs. Greenbird es wissen. Dann wird sich zeigen, ob die Musikwelt Dark Waters feiert oder ignoriert. Und vielleicht strotzen Sarah Nücken und Steffen Brückner dann auch wieder so vor Leben wie ihre beiden Vierbeiner.


„Dark Waters“, das neue Album von Mrs. Greenbird, erscheint am 12. April.

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