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Priester in Mexiko: „Auch auf mich wurden schon zwei Anschläge verübt”

Durch Bandenkriege ist die Lage im Land angespannt. Im Interview spricht ein Priester über seine lebensgefährliche Rolle als Vermittler zwischen Behörden, Bevölkerung und kriminellen Banden.

José Filiberto Velázquez Florencio leitet im Bistum Chilpancingo-Chilapa, im Süden Mexikos, ein Zentrum für Betroffene der Bandengewalt. „Ich fühle mich hier wie ein Kriegsseelsorger“, sagt der Priester, den alle nur „Pfarrer Fili“ nennen. Er vermittelt zwischen Behörden, Bevölkerung und kriminellen Banden, die hauptsächlich vom Menschen- und Drogenhandel leben. So möchte er mäßigend auf sie einwirken, auch wenn es ständige Lebensgefahr bedeutet – für Pfarrer Fili, aber auch für die anderen Seelsorger Mexikos.

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Über seine Arbeit und was ihm trotzdem Kraft gibt, hat Pfarrer Fili gesprochen, als er den deutschen Zweig des weltweiten katholischen Hilfswerks „Kirche in Not“ (ACN) besucht hat.

Kirche in Not: Pfarrer Fili, erzählen Sie uns etwas über die aktuelle Situation in Mexiko.

José Filiberto Velázquez Florencio: Mexiko ist mit einer sehr schwierigen Realität konfrontiert, die viele Menschen durchleben. Es geht um die „Krise des Verschwindenlassens“. Menschen, die entführt wurden, verschwinden in diesem fast endlosen Krieg, der 2006 begonnen und fast 400.000 Todesopfer gefordert hat. Über 100.000 Menschen gelten als vermisst.

Sie sprechen von einem Krieg. Was für ein Krieg ist das?

Als ich in den USA studierte, habe ich erfahren, dass im Bundesstaat Guerrero im Süden von Mexiko über Nacht 43 Studenten spurlos verschwunden waren. Für mich war das eine schockierende Nachricht, wie das in Mexiko passieren konnte. Das hat mir gezeigt, dass wir einen „inneren Krieg“ haben. Unsere Politiker nennen ihn nicht so. Offiziell spricht niemand von einem Krieg. Aber die Menschen erleben ihn.

Sind diese organisierten Verbrechergruppen also ein Staat im Staat?

Die jahrelange Korruption hat es diesen Gruppen ermöglicht, zu wachsen und sich in den Gemeinden und der Gesellschaft zu verwurzeln. Das hat Auswirkungen, denn die Wirtschaft dreht sich um diese Art von Geschäft. Wir stehen vor der Herausforderung, so nah an den Vereinigten Staaten zu leben, mit dieser riesigen Bevölkerung, die Drogenproduktion verlangt – Kokain, Heroin und auch Fentanyl, das eigentlich als Schmerzmittel dient. Das ist unser Dilemma.

Sie stehen in Kontakt mit den Banditen, aber auf der anderen Seite auch mit der Polizei. Wie bewegen Sie sich zwischen den beiden Seiten?

Wir als Kirche sind die einzige Institution, der die Menschen vertrauen. Deshalb kommen beide Seiten zu uns, um mit uns zu sprechen. Wenn zum Beispiel jemand getötet wurde oder etwas ähnlich Schlimmes passiert ist und die Polizei etwas herausfinden will, rufen sie mich an. Ich habe dann die Aufgabe, Kontakt mit der anderen Seite aufzunehmen und zu fragen, was sich ereignet hat.

Wie kann man sich diese kirchliche Vermittlerrolle konkret vorstellen?

Wir begannen, Dialoge zu fördern, wenn zwei Menschen oder verschiedene Gruppen nicht über ihre Probleme sprechen können. Wir versuchen, sie zu solchen Dialogen einzuladen. Wir lassen sie „Verträge“ schließen. Diese Verträge dauern zunächst drei bis sechs Monate, bewirken aber dann große Veränderungen im Leben der Menschen, weil sie den Krieg und die Morde beenden.

In dieser Vermittlerrolle liegt auch eine große Gefahr. Mexiko gilt nach wie vor als eines der Länder, in dem weltweit die meisten Priester ermordet werden.

Ich möchte an einen Mitbruder erinnern, Pater Marcello. Er war Priester aus der Diözese San Cristóbal de Las Casas im Bundesstaat Chiapas im äußersten Süden Mexikos. Er wurde im vergangenen Oktober ermordet. Er war Vermittler zwischen den Konfliktgruppen, zwischen der Regierung und mehreren Banden. Einer dieser Gruppen gefiel das Ergebnis nicht. Sie beschlossen, ihn zu töten, nachdem er am Sonntag die heilige Messe beendet hatte. Sie warteten vor der Kirche auf ihn und töteten ihn. So etwas kann auch mir jederzeit passieren. Auch auf mich wurden schon zweimal Anschläge verübt.

Woher nehmen Sie die Kraft, mit Ihrer Arbeit weiterzumachen?

Die Menschen geben mir Kraft. Ich denke an die Opfer, die Überlebenden, die Mütter, die ihre Kinder verloren haben, ihre Familien, die sie weiterhin suchen, und an ihren Glauben. Das motiviert mich, weiterhin bei ihnen zu bleiben.

Manchmal habe ich nicht genügend Mittel, um sie zu unterstützen. Ich habe nicht alle materiellen oder gar rechtlichen Möglichkeiten. Es sind die kleinen Dinge, die ich für sie tun kann: einfach an ihrer Seite zu sein.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

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1 Kommentar

  1. Mittelamerika arm und ohne Demokratien

    Dieser Artikel erinnert mich sehr an die Banden, die in den 1980erJahren in Mittelamerika zugange waren. Als Touristen waren wir mit einem Führer (einem deutschen Studenten) durch den Urwald auch von Honduras unterwegs, aber wurden dort urpötzlich von der bewaffneten Gruppe mit MP`s im Anschlag gestoppt. Wir fanden dies leider lustig. Unser Führer der kleinen Gruppe in zwei Jeeps dagegen hatte Todesangst. Er sagte später, dies hätte katastrophal ausgehen können. Ob es heute in Mittelamerika anders ist als in Mexiko, kann ich nicht mit Sicherheit behaupten. In damaliger Zeit hatte in Mittelamerika die Katholische Kirche die armen Landarbeiter dabei unterstützt, Kaffeegenossenschafte zu gründen. Die Bevölkerung, auch die Priester und sogar Bischöfe mussten dabei Blutzoll leisten. Aus Ländern Mittelamerikas waren auch in Deutschland damals viele Menschen unterwegs, die berichteten, daß amerikanischen Konzerne, zwielichtige Organisationen und bedrohliche Personen ihnen ihr Land wegnahmen, damit Kaffee angebaut werden konnte. In Deutschland hat es kaum jemand interessiert, nach meiner Erinnerung haben auch die Kirchen sich oft ausgeschwiegen und dortige Priester eher zu unrecht eingeordnet in eine Theologie der Revolution, wobei sie doch deutlich unter Einsatz ihres Lebens den Armen geholfen haben. Fundamentalistische evangelischen Sekten waren dagegen dort zuhauf unterwegs, aber nicht für die Unterstützung der Armen und Landlosen. Damals war eher Nicaragua eher beispielhaft, wenn auch über die Zähne bewaffnet und eine Mischung aus religiösem Aufstand gegen Unrecht und mit ein wenig sozialistischer Phantasie. Als einziges Land in Mittelamerika verfügte Costa Rica über eine relativ stabile Demokratie, einigermaßen auch an Wohlstand. Selbst in Panama begneten uns modernste Kaufhäuser mit schicken Auslagen und eine Nebenstraße weiter herrrschte erschreckende Armut. Des nachts sich eigenständig zu bewegen war wegen der Banden von Taschendieben, die immer bestrebt waren hinter uns herzugehen, dringend abgeraten. Selbst unser Taxifahrer hatte uns als ersten Eindruck übers deutlich übers Ohr gehauen. Demokratische Verhältnisse waren dort nicht zugange. Insgesamt hatte unser Begleiter immer gemahnt, mit den sehr freundlichen Bewohnern möglichst nicht über Politik zu reden, dies sei meist gefährlich.

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