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Flucht aus der Ukraine: „Packt schnell eure Sachen, nehmt das Nötigste mit!“

Anna, Maria und Liuba sind aus Charkiw geflohen. Sie reden offen über den Schock, den der Krieg in der Ukraine bei ihnen ausgelöst hat. Aber auch über das, was ihnen Hoffnung gibt.

Von Bettina Wendland

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„Ich mochte mein Leben vor dem 24. Februar. Ich hatte viele Pläne“, erinnert sich Anna. Die 19-Jährige sitzt mir gegenüber – zusammen mit Maria (32) und Liuba (24). Der Krieg ist zu diesem Zeitpunkt gerade drei Wochen alt. Vor fünf Tagen sind die Schwestern in Bochum angekommen. In der Christengemeinde Gottes Wort – einer russlanddeutsch geprägten Pfingstgemeinde – haben sie eine vorübergehende Unterkunft gefunden.

„Wir haben nicht damit gerechnet, dass das passieren könnte. Wir waren überhaupt nicht darauf vorbereitet“, erzählt Anna weiter. In Charkiw, im Nordosten der Ukraine, hat sie mit ihrer Mutter und ihren vier Brüdern zusammengelebt. Sie studiert Grafikdesign.

Die ersten Bomben fallen

Maria arbeitet als Lektorin in einem Schulbuchverlag. Liuba ist Grafikerin und arbeitet im Social Media Marketing. Die beiden älteren Schwestern sind schon zu Hause ausgezogen. Doch als am 24. Februar die ersten Bomben fallen, eilen sie zu ihrer Familie.

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„Um fünf Uhr morgens bin ich aufgewacht, weil ich Explosionen hörte. Ich war sehr ängstlich. Und mir wurde bewusst: Der Krieg hat begonnen“, berichtet Anna, die am besten Englisch spricht. In den ersten Tagen seien sie alle zu Hause geblieben – überwältigt von dem, was in ihrer Heimatstadt geschieht.

„Wir wollten nicht gehen“

Ihr Onkel kommt mit seiner Frau und Schwiegermutter zu ihnen. Nach einer Woche schlägt er vor, Charkiw zu verlassen. „Wir wollten nicht gehen“, betont Maria. Anna ergänzt: „Unsere Mutter hat uns dazu gedrängt. Damit sie uns in Sicherheit wissen kann.“ Die Mutter und die Brüder wollen bleiben. „Sie wollten das Haus nicht zurücklassen. Jetzt helfen sie, Menschen mit Essen und Wasser zu versorgen.“

Die Trennung von ihrer Mutter und den Brüdern war für Maria, Liuba und Anna die schwerste Situation in den letzten Wochen. „Wir haben die Entscheidung, zu fliehen und die Familie zu verlassen, innerhalb von zehn Minuten getroffen. Unsere Mutter sagte uns: ‚Packt schnell eure Sachen, nehmt das Nötigste mit!'“

„Es war schrecklich“

Zu sechst fahren sie im Auto des Onkels Richtung Westen. „Wir waren fünf Tage unterwegs. Es war schrecklich, ein sehr kleines Auto, viel Gepäck. Aber wir waren in Sicherheit. Übernachtet haben wir in Kirchen in kleinen Städten auf dem Weg.“ Dort erleben sie eine große Hilfsbereitschaft.

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„Menschen, die uns nicht kannten, haben uns mit einem sicheren Ort zum Schlafen und mit Essen versorgt. Und sie haben mit uns gebetet“, schildert Anna. Und Maria ergänzt: „Unser Onkel und seine Familie glauben nicht an Gott. Aber sie haben gesehen, dass Christen gute und hilfsbereite Menschen sind. Sie waren davon beeindruckt.“

„Freiwillige Helfer haben so viel für uns getan“

Während der Onkel mit seiner Familie in Lwiw im Westen der Ukraine bleibt, gehen die Schwestern über die Grenze nach Polen. Mit einem Reisebus kommen sie schließlich nach Bochum. Sie sind sehr dankbar für alle Unterstützung: „Freiwillige Helfer haben so viel für uns getan.“

Zu ihrer Mutter und den Brüdern haben sie jeden Tag Kontakt. „Wir machen uns große Sorgen um sie. In Charkiw ist es sehr gefährlich. Wir bitten sie jeden Tag, doch an einen sicheren Ort zu gehen, zum Beispiel nach Lwiw. Aber sie wollen es nicht. Es wäre jetzt aber auch gefährlich, Charkiw zu verlassen. Die Straßen sind von russischen Soldaten besetzt.“

„Wir haben die Hoffnung nicht verloren“

Während Maria und Liuba zurückhaltend und nachdenklich wirken, ist Anna sehr offen. Sie lacht immer wieder, trotz der schwierigen Situation. „Wir haben die Hoffnung nicht verloren, wir sind sehr positive Menschen“, erklärt sie. „Wir hoffen, dass der Krieg bald zu Ende sein wird und wir wieder nach Hause zurückkehren können.“

Aber neben der Hoffnung ist auch Angst ein bestimmendes Gefühl. „Wir wissen nicht, was auf uns zukommt. Wir sind besorgt um unsere Familie. Die Zukunft ist unsicher, wir haben keine Heimat mehr. Unser ganzes Leben ist zerstört. Wir haben nicht mehr das Leben, das wir vorher hatten.“

Doch immer wieder kommt Anna auf die Hoffnung zu sprechen: „Wir haben die Hoffnung, dass aus dieser schlimmen Situation am Ende etwas Gutes wird. Wir wollen so schnell wie möglich zurück zu unserer Mutter und unseren Brüdern und in unser geliebtes Land.“

England als Ziel

Doch zuerst einmal haben sie England als Ziel. Deshalb haben sie sich in Deutschland nicht registrieren lassen. In England hätten sie weniger Schwierigkeiten mit der Sprache. Und es gibt dort ein Programm der Regierung, „Homes for Ukraine“: Darüber bieten Privatpersonen für mindestens sechs Monate Unterkunft für Geflüchtete aus der Ukraine an und werden finanziell von der Regierung unterstützt.

Die Schwestern aus Charkiw wissen von einer Bekannten von Freunden aus ihrer Gemeinde, dass sie bereit wäre, sie bei sich unterzubringen. Allerdings haben sie noch keinen direkten Kontakt zu ihr. Doch sie sind zuversichtlich, dass es klappt.

„Wir konnten diese Situation überleben, weil wir glauben, dass alles in Gottes
Händen ist.“

Das Gottvertrauen der Schwestern beeindruckt mich. „Wir beten den ganzen Tag“, erklärt Maria. Sie hat für sich auch eine Antwort gefunden, warum Gott den Krieg zugelassen hat: „Ich glaube, dass Gott diese Situation nutzen will, um Menschen aufzuwecken. Um sie dazu zu bringen, mehr zu beten und zu glauben.“

Anna und Liuba stimmen ihr da aber offensichtlich nicht zu. Anna erklärt ihre Sicht: „Gott hat einen Plan für jeden Menschen. Jetzt denken wir: Wozu soll das gut sein? Es ist unnötig, so zu denken. Gott hat einen Plan für jeden von uns. Und dieser Plan ist perfekt. Wir sollten ihm vertrauen.“ Liuba stimmt ihr zu.

Als ich die jungen Frauen frage, ob sie noch eine Botschaft haben für die Leserinnen und Leser, diskutieren sie einige Zeit. Schließlich schreiben sie einen Text auf Ukrainisch und lassen ihn von ihrem Handy übersetzen: „Wir konnten diese Situation überleben, weil wir glauben, dass alles in Gottes Händen ist. Wir haben Gott in den Menschen gesehen, in ihren guten Taten. Wir müssen offen sein für die Zeichen, die Gott uns gibt, und ihm ganz vertrauen.“

Hinweis: Maria, Anna und Liuba leben aktuell in der Nähe von Potsdam, da es für sie schwierig war, Visa für Großbritannien zu bekommen. Dieser Artikel ist in der Family 3/22 am 12.04. erschienen.

Bettina Wendland ist Redaktionsleiterin von Family und FamilyNEXT und lebt mit ihrer Familie in Bochum.


Ausgabe 3/22

Dieser Artikel ist in der Zeitschrift Family erschienen. Family wird vom SCM Bundes-Verlag herausgegeben, zu dem auch Jesus.de gehört.

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1 Kommentar

  1. Mir liefen Tränen in die Augen, als ich von der Hilfsbereitschaft las, die diesen jungen Frauen entgegengebracht wurde. Es stärkt auch mich, dass sie im Glauben an Gott neue Hoffnung für ihre Zukunft tanken können. Er liebt wirklich jede*n von uns und egal, wer immer sich auch nur eine*m von uns entgegenstellt, es wird gut enden. Alles, was mit Gott beginnt, ist in der Würde bereits offenbar, die ohne ihn im Verborgenen bleibt. Ich danke diesen Frauen ganz herzlich für die Offenheit im Umgang mit ihren Erfahrungen, speziell durch diesen Krieg und hoffe sehr, dass sie bald wieder in ihrer Heimat zurückkehren können. Ich schließe sie und ihre Familien in meine Gebete ein.

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