Der frühere Pastor Carey Nieuwhof erreicht mit seinem Podcast monatlich rund 250.000 Menschen. In einem Interview hebt er die Bedeutung der Ortsgemeinde hervor.
20 Jahre lang leitete Nieuwhof die „Connexus Church“ in Ontario. Heute ist er Blogger und Podcaster. Er beschäftigt sich regelmäßig mit Leitungsfragen. In einem Interview mit dem Willow Creek Magazin spricht er über Unterschiede zwischen US-amerikanischen und europäischen Gemeinden und die Herausforderungen für zukünftige Gemeindearbeit.
Das Thema Veränderung sei die größte Hürde für Gemeinden. „Besonders in Europa scheinen sich Gemeinden damit schwerzutun.“ Der Grund dafür liege in der längeren, europäischen Kirchentradition, die in Nordamerika nicht so ausgeprägt sei. Durch die Veränderung der Gesellschaft müsse sich auch eine Gemeinde und die Methode der Leitung verändern. „Viele Gemeinden meinen zwischen zwei Extremen wählen zu müssen: dem hierarchischen Leitungsverständnis, bei dem eine Person die Befehle erteilt; und dem basisdemokratischen Ansatz, in dem alle über alles abstimmen und Leitung fast verpönt ist.“ Beide Extreme seien nicht zielführend. „Wir brauchen Leitende mit einer Vision, die bereit und in der Lage sind, in einem Team zu arbeiten und so eine Gemeinde voranzubringen.“
„Nahezu jeder Mensch, den wir erreichen möchten, ist online unterwegs“
Eine starke, sichtbare Veränderung könne man durch die zunehmende Online-Präsenz der Gemeinden feststellen. Aus seiner Sicht eine positive Entwicklung: „Nahezu jeder Mensch, den wir erreichen möchten, ist online unterwegs. Und so sehr wir auch volle Gemeindehäuser mögen, ist es doch ein fataler Fehler, gut gemachte Digitalangebote aus lauter Engstirnigkeit zu vernachlässigen.“
Trotz der vielen Online-Gottesdienste könne die Gemeinde vor Ort nicht „outgesourct“ werden. Sie erfülle wichtige Aufgaben, die eine Megakirche durch ihre Online-Angebote nicht ersetzen könne. „Sie sollten sich vielmehr bewusst machen, dass sie es sind, die an ihrem Ort die Menschen maßgeschneidert erreichen können […] Um es platt zu formulieren: Diesen „Markt“ kann euch keine Megakirche streitig machen.“
Das gesamte Interview können Sie hier nachlesen. Carey Nieuwhof wird als Sprecher beim Willow-Leitungskongress 2024 auftreten.
Quelle: Willow Creek Deutschland
In Deutschland ist man „anders gestrickt“
„Viele Gemeinden meinen zwischen zwei Extremen wählen zu müssen: dem hierarchischen Leitungsverständnis, bei dem eine Person die Befehle erteilt; und dem basisdemokratischen Ansatz, in dem alle über alles abstimmen und Leitung fast verpönt ist.“ Beide Extreme seien nicht zielführend. „Wir brauchen Leitende mit einer Vision, die bereit und in der Lage sind, in einem Team zu arbeiten und so eine Gemeinde voranzubringen.“ (Zitat Ende von Willow Creek Deutschland). Ich bin froh, dass Gremien die Gemeindeleitung von Ort haben und eine nicht riesige (wohl in den USA übliche) Gemeinde mit tausenden Gottesdienstbesuchern hier bestehen. Eine gewissermaßen basisdemokratische Leitungsform habe ich hier in der Ev. Kirche nie gefunden. Bekanntlich werden Kirchenvorsteher*innen (die Bezeichnungen sind verschieden) in einer üblichen demokratischen Wahl gewählt oder können auch vom Kirchenvorstand (oder Gemeindekirchenrat) nachberufen werden. In der Kath. Kirche ist der Pfarrgemeinderat maßgeblich. Die Pfarrerin oder der Pfarrer ist in der Ev. Kirche ein Erster unter Gleichen als Person, und Kirche ist überall wo Gläubige sind. Selbstverständlich soll die Gemeinde als solche gehört werden bzw. einmal im Jahr eine Gemeindeversammlung durchgeführt werden. Ich gehe davon aus, dass schon aus Vernunftsgründen die Haupt- und Ehrenamtlichen partnerschaftlich miteinander umgehen und ein eher demokratischer Leitungsstil in der Regel auch gepflegt wird. Ein hierarisches Gemeindeverständnis hat es evangelischerseits nie gegeben und wurde wohl auch von niemanden angewandt. Im katholischen Bereich gibt es aber die Bestrebungen, Hierarchien flacher zu machen. Ich kann mir in der Regel in Deutschland keine Christinnen und Christen in den beiden großen Kirchen vorstellen, die sich Befehle geben lassen, aber Ehrenamtliche sind dagegen aber dienstrechtlich keine Mitarbeiter*innen. Für das Dienstrecht gilt in beiden großen Kirchen das Ideal einer Dienstgemeinschaft. Ich hoffe und gehe davon aus, dass in freikirchlichen Gemeinden auch eine informelle Demokratie herrscht. Sonst würde ich – unabhhängig von Frömmigkeitsformen – wenig jesusgemäße Kirchengemeinschaften befürchten.