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„Mir hat etwas gefehlt“ – Jedes Jahr kehren tausende Ausgetretene in die Kirchen zurück

Rund 380.000 Menschen haben 2022 die evangelischen Landeskirche verlassen. Aber es gibt auch eine Gegenbewegung – wenn auch kleiner.

Von Matthias Pankau (epd)

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Die evangelische Kirche betreibt in Stuttgart eine zentrale Wiedereintrittsstelle – und erlebt dort mitunter Erstaunliches.

Man hat sich an die Zahlen gewöhnt: Jahr für Jahr kehren Hunderttausende Bürger in Deutschland den beiden großen Kirchen den Rücken. 2022 waren es zusammen rund 900.000: Knapp 523.000 in der katholischen und 380.000 in der evangelischen Kirche – ein Rekordwert. Die Gründe dafür sind vielfältig, angefangen beim Umgang mit Missbrauchsskandalen bis hin zum Ärger über die von vielen als Zwangsabgabe empfundene Kirchensteuer.

Aber es gibt auch eine – freilich deutlich kleinere – Gegenbewegung: Menschen nämlich, die der Kirche einst aus Überzeugung den Rücken gekehrt haben, dann aber merkten, dass ihnen etwas fehlt.

Im vergangenen Jahr wurden 9.625 Menschen in eine der 20 Mitgliedskirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) wiederaufgenommen. Hinzu kamen 11.678 Erwachsene, die sich taufen ließen und so Kirchenmitglied wurden. In die katholische Kirche wurden 3.753 einstige Mitglieder wiederaufgenommen; 1.447 traten neu ein.

Mit solchen Menschen haben Dan Peter und seine Pfarrkolleginnen und -kollegen häufiger zu tun. Der Theologe leitet die Pressestelle der Evangelischen Landeskirche in Württemberg in Stuttgart und ist dort unter anderem zuständig für die kirchliche Wiedereintrittsstelle. Sie ist eine der zentralen Wiedereintrittsstellen der EKD und arbeitet pastoral, wie er erklärt:

Wiedereintritt per Telefon

„Das bedeutet, dass die Ansprechpartner bei uns Pfarrerinnen und Pfarrer sind, die Anrufer oder Besucher seelsorgerlich begleiten, sie aber auch direkt wieder in die Kirche aufnehmen können.“ Letzteres unterscheide die Stuttgarter Wiedereintrittsstelle von solchen, die Anrufer meist nur an die nächstgelegene Kirchengemeinde verweisen können.

Pro Tag meldeten sich durchschnittlich vier Menschen, die eine neue Sehnsucht nach der Kirche verspürten, berichtet Peter. Die meisten riefen an, manche kämen aber auch direkt in das Büro im Stuttgarter Westen, wie jener Mann, der neulich bei über 30 Grad schwitzend an der Tür der Wiedereintrittsstelle klingelte und, als ihm geöffnet wurde, sagte: „Endlich habe ich Sie gefunden.“

Manchmal stünden die Wiedereintrittswilligen derzeit aber auch vor verschlossenen Türen oder erreichten telefonisch niemanden, räumt Dan Peter ein. Krankheitsbedingt sei die Wiedereintrittsstelle diesen Sommer nämlich nicht dauerhaft besetzt.

Kirchensteuer Hauptgrund für Austritt

Was sind die Gründe, dass Menschen, die einst aus Überzeugung austraten, nun zurückwollen in die Kirche? Laut der sogenannten Freiburger Studie zu Kirchenmitgliedschaft und Kirchensteuer von 2019 ist einer der Hauptgründe für den Kirchenaustritt die Kirchensteuer.

Statistisch betrachtet steigt die Zahl der Kirchenaustritte mit dem Eintritt ins Berufsleben massiv an und bleibt bis zum Eintritt in den Ruhestand überdurchschnittlich. Das deckt sich mit den Erfahrungen, die Dan Peter in seiner täglichen Arbeit macht: «Wenn junge Menschen ihr erstes Gehalt bekommen und sehen, dass sie Kirchensteuer zahlen, fragen sie sich häufig: Was habe ich davon? Brauche ich die Kirche wirklich?»

Für die meisten protestantischen jungen Menschen – auch das lässt sich statistisch belegen – endet der Kontakt zur Kirche laut Peter bereits mit der Konfirmation: «Wer in seiner Kirchengemeinde bis dahin keine Heimat gefunden hat, entfremdet sich von ihr und von der Kirche insgesamt.» Der Schritt zum Kirchenaustritt sei dann nicht mehr weit. Später seien es vielfach Übergangspunkte im Leben, die ehemalige Kirchenmitglieder zum Nachdenken brächten, etwa die eigene Hochzeit oder die Geburt eines Kindes, weiß der Theologe.

Oder es sind Todesfälle. Wie bei der 66-Jährigen, die ihre Motivation, wieder zur Kirche gehören zu wollen, so begründete: «Der Tod meiner Mutter ließ mich mein Leben neu ordnen und überdenken.

„Mir hat etwas gefehlt“

Seit dieser Zeit reifte der Gedanke, mich wieder bewusst in die christliche Gemeinschaft einzufügen und dort zu engagieren.» Manchmal sei es auch eine Sehnsucht, die die Menschen gar nicht genau in Worte fassen könnten, sagt Peter. So habe ihm eine Mittvierzigerin am Telefon erklärt: «Ich weiß nicht recht, warum ich wieder dazugehören will. Mir hat etwas gefehlt.»

Bis zu 300 Menschen kehren laut Peter über die Stuttgarter Wiedereintrittsstelle pro Jahr in die evangelische Kirche zurück, 60 Prozent davon in die württembergische Landeskirche, 40 Prozent in eine andere EKD-Mitgliedskirche.

Das Eintrittstelefon erreichen Sie kostenlos unter der Nummer 0800 8138138.

Quelleepd

4 Kommentare

  1. In meinem engeren Bekanntenkreis wollte jemand wieder in die EKD eintreten und mailte dem Pastor vor Ort.

    Nach über 3 Monaten kam dann ein Gesprächsangebot. Vorher Funkstille.

    So groß kann der Druck der Mitgliedszahlen also nicht sein. 😉

    • Naja, lieber Anderer Jörg – man kann von einer einzigen Erfahrung nicht darauf schließen, dass der Druck auf die Mitgliederzahlen gering sei. Dass manche Menschen nicht damit umgehen können dass sie viele EMail bekommen, hängt damit vielleicht zusammen, dass man dort den Weizen vom Spreu trennen muss. Es gibt niemand der jeden Tag 400 dienstliche EMails bekommt, die alle wichtig oder überhaupt nur irgendwie relevant sind.

      • die 3 Monate waren milde geschätzt, ich glaube, es waren mehr.

        Wer sich so um potentielle Mitglieder kümmert, braucht sich nicht zu wundern, wenn sie eben nicht wieder kommen.

        Und wer Wiedereintritt nicht als relevant einschätzt, bei dem ist Hopfen und Malz verloren.

  2. Kirchen müssen alle jesusgemäßer werden

    Schön dass es so ist. Das Narrativ ist sehr falsch, die Ev. Kirche in Deutschland mit ihren Gliedkirchen sei gar nicht richtig christlich. Dies ist genauso unrichtig wie etwa die Behauptung, die Ausgetretenen seien n u r (zuerst nach Konfirmation oder Firmung), oder aufgrund der bösartigen sexuellen Verbrechen, der Kirche abhanden gekommen. Ähnlich dürfte es, auch wenn der Mißbrauch das Fass zum Überlaufen gebracht hat, auch auf katholischer Seite sein: Bei den Katholiken ist zudem der große Reformstau, eine überkommene legalistische Moral, keine Ämter für Frauen und dergleichen mehr, warum ebenso der Abgang praktiziert wird. Aber generell hat sich ein vollständig anderer Wandel vollzogen: Grundsätzlich sind die beiden großen Kirchen nicht mehr stabil, erreichen 3% der Kirchensteuerzahler*innen mit dem Glauben, aber die anderen 97% Mitglieder bleiben es von der Wiege bis zur Bahre (leider) nicht mehr. Damals 1970 hatte eine Studie belegt, die beiden Großkirchen seien sehr stabil. Heute möchten nicht mehr Menschen Mitglieder sein, die nichts mit dem Glauben anfangen können. Die Austritte, weshalb auch immer, sind zwar sehr bedauerlich und berauben den Kirchen große Chancen Menschen zu erreichen, aber sie sind auch ehrlich. Darauf müssen wir uns als Kirche/n einstellen. Es gibt viele Gemeinde evangelischer oder katholischer Form, die eine gute Gemeindearbeit bewerkstelligen und die Pfunde mehren. Aber es gibt zudem solche, wo ein Schlaf der Sicherheit gepflegt und lediglich nur noch ein Routinebetrieb ausrecht erhalten wird.

    Da kann man nur zwei Dinge tun. ERSTENS: Umkehr und Buße durch eine zeitgemäße Evangelisation. ZWEITENS eine Reform an Haupt und Gliedern. Die kirchlichen Institutionen selbst sind ja keinesfalls per se ein Heilsinstrument, aber die vielen Jugendlichen, Frauen und Männer in ihr können es werden oder sein. Kirche muss sehr viel jesusgemäßer werden, die Bergpredigt auf der Tagesordnung stehen und die Praxis sollte darin bestehen, mit schönen und ansprechenden Gottesdiensten oder anderen Angeboten, eine wirkliche Alternative zu eröffnen.Die lautet dann, dass da Lichter in der Welt brennen und freundliche achtsame Leute dabei sind, nach Jesu Vorbild eine Revolution der Liebe zu beginnen.

    Dies alles ist sehr einfach, aber dann doch wieder schwer. Dann muss man aus einer reinen Komm-Struktur eine Geh-Hin-Struktur machen. Wobei der eigentlich Gottesdienst am Montagmorgen beginnt, nämlich in das Eintauchen des Alltages. Leider haben wir als Christinnen und Christen es als Individualisten sehr oft verlernt, den Glauben gemeinsam mit anderen exemplarisch zu leben. Dazu braucht es auch einen entsprechenden Willen und eine hinreichende Begeisterung. Die größte Irrlehre dabei bleibt (oft unausgesprochen) im Raum stehen, es gehe doch lediglich nur um ein ordentliches Leben, Bravheit und Angepasstheit, womit schon alles im Wesentlichen erledigt sei. Gott schenke es den Seinen im Schlaf.

    So ist die Kritik an der Werkgerechtigkeit nicht gemeint. Viele Firmen oder andere Unternehmungen bemühen sich meist mit einer sehr großen Beharrlichkeit, ihre Botschaften überall erscheinen zu lassen und belästigen uns mit Werbung. Andere Weltanschauungen treten im Markt der Möglichkeiten auf als Konkurenz. Es geht nicht darum andere madig zu machen oder sie nicht zu akzeptieren, sondern noch etwas besseres und eine nachhaltigere Hoffnung zu leben. Auf Kirchentagen, Katholikentagen oder auf sonstigen frommen Events wird dies immer praktiziert und es scheint ein großes Bedürfnis zu sein ein etwas anderes Leben zu ermöglichen: Da sieht man die vielen jungen Leute, die zu Tausenden nach Taize pilgern. Aber umso schwerer scheint es zu sein, solches im Kleinformat zuhause zu praktizieren. Wie sagte Jesus zutreffend: Der Prophet gilt nichts im eigenen Land. Wenn in manchen Großstadtgemeinden keine Gemeindegruppen existieren, frage ich mich, warum niemand auf die Idee kommt solche zu initiieren. Die Gründe die dagegen sprechen sind völlig unglaubwürdig. Also: In einer Großstadt habe dies keine Erfolgsaussicht.

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