Seit Oktober ist Uwe Heimowski Beauftragter der Deutschen Evangelischen Allianz am Sitz des Deutschen Bundestags und der Bundesregierung in Berlin. Der 52-Jährige möchte dort Vorurteile abbauen und biblisch-christliche Themen ins Gespräch bringen. Außerdem wünscht er sich mehr gesellschaftliches Engagement von Christen und Wertschätzung für die Arbeit der Politiker.
Kürzlich fragte uns jemand, ob der Allianzbeauftragte fromme Traktate im Bundestag verteilt…
Heimowski: [lacht]
…was genau tun Sie in Berlin?
Heimowski: Traktate verteile ich nicht. Broschüren oder Bücher über die Themen der Allianz habe ich aber immer dabei… Die Beauftragung durch die Allianz beinhaltet zwei Aufgaben. In Berlin möchten wir beim politischen Diskurs mitwirken, so wie andere Kirchen und kirchliche Gruppierungen auch. Die Evangelische Allianz ist eine Bewegung von Menschen, die Jesus nachfolgen, auf die Bibel vertauen und für christliche Werte einstehen. Wir wollen Anliegen aus der evangelikalen Welt den Politikern gegenüber ins Gespräch bringen. Themen wie Religionsfreiheit, Heiligkeit des Lebens und die Würde des Menschen. Ich versuche Brücken zu Politikern zu bauen und gelegentliche Vorurteile abzubauen. In manchen Bereichen haben wir als Allianz eine große Expertise. Zum Beispiel beim Thema Christenverfolgung. Vertrauen entsteht nicht per Traktat, sondern über die persönliche Begegnung. Die Politiker in Berlin sollen wissen: Wenn mir irgendwo das Wörtchen ‚evangelikal’ begegnet, dann gibt es hier in Berlin einen Ansprechpartner, den ich fragen kann.
Das bedeutet viele Gesprächstermine…
Genau. Ich gehe „Klinkenputzen“: ‚Hallo, mein Name ist Uwe Heimowski, ich komme von der Evangelischen Allianz, hätten sie einen Termin für mich?’ Darüber hinaus gehe ich auch zu Veranstaltungen und stelle mich vor. Politiker sind übrigens in der Regel für Gespräche sehr offen. Sie teilen zwar nicht jede Meinung, aber sie wollen sich breit informieren.
Und die zweite Aufgabe?
Ich bin deutschlandweit unterwegs, um für Politik „zu werben“. Ich möchte Christen motivieren, Verantwortung in ihren Kommunen zu übernehmen – als Fußballtrainer, Elternvertreter in der Schule – oder als Parteimitglied. Dafür werbe ich. Als Christen sollten wir nicht in Abgrenzung leben, sondern als aktive Bürger die Gesellschaft mitgestalten. Außerdem sage ich: Liebe Christen, segnet die Politiker, seid für sie da. Zeigt ihnen Respekt und Wertschätzung für ihr Engagement!
Sind Sie ein Lobbyist?
Nein, nicht im herkömmlichen Sinne. Ich muss den Politikern zum Glück nichts verkaufen. Wir als Allianz werden nicht staatlich gefördert. Ich kann frei für die Anliegen werben, die uns auf dem Herzen liegen. Und ich nehme mir die Zeit, zu fragen, wo Politiker Anliegen haben, die wir unterstützen und mit ins Gebet nehmen können. Da ergeben sich manchmal sehr persönliche Gespräche.
Was ist für Sie bei dieser Aufgabe zurzeit die größte persönliche Herausforderung?
Zweierlei: Erstens müssen wir als Ehepaar und Familie – wir haben fünf Kinder – gerade unser Leben neu sortieren. Durch die neue Aufgabe bin ich viel unterwegs. Familienzeit ergibt sich nicht mehr „einfach so“. Persönliche Termine brauchen ihren Platz im Kalender – und sind dann ‚sakrosankt’. Zweitens merke ich: Je weiter man den Kopf aus dem Loch streckt, desto mehr steht er im Wind… Ich werde stärker öffentlich wahrgenommen als früher, und erfahre deshalb intensiver als bisher, was es heißt, mit Kritik von allen Seiten umzugehen. Ein Beispiel: Ich habe mich in einem Interview und einem Kommentar für die klassische Ehe ausgesprochen, dabei aber auch selbstkritisch den oft ausgrenzenden Umgang von Christen mit Homosexuellen angesprochen. Was folgt? Für die Vertreter einer ‚Ehe für alle’ bin ich homophob, für ein paar Fromme ist die Äußerung viel zu wenig „biblisch pointiert“… Damit zu leben, das ist… sagen wir mal vorsichtig: herausfordernder als vorher.
Sie leben seit vielen Jahren im Osten in einem kirchenfernen Umfeld? Wie hat Sie das geprägt?
Das hat mich sehr geprägt. Ein Beispiel. Ein Freund von mir arbeitet in einer christlichen Einrichtung bei uns in Gera (Thüringen), die haben neulich ein ‚Noah’-Musical aufgeführt. Dabei haben 12 Personen mitgewirkt, Eltern und Kinder. Nur ein einziger wusste wer Noah ist. Alle anderen kannten weder den Namen noch die Geschichte. Als Christ zwingt dich das dazu, dir genau zu überlegen was und wie du redest, damit du überhaupt verstanden wirst. Es ermöglicht dir aber auch, all die Geschichten, die den Frommen längst zum Hals raushängen, als etwas Neues zu erzählen, ihre Schönheit und Bedeutung zu entdecken. Kürzlich sprach ich mit einem Freund – einem Unternehmer – über das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg. Gerechte Entlohnung usw. Da sagt er: ‚Das ist ja ein fantastischer Text, und der steht in deiner Bibel? ‘ Solche Erfahrungen haben mich viel mutiger gemacht, biblische Geschichten zu erzählen.
Die Evangelische Allianz bzw. evangelikale Christen werden in der säkularen Öffentlichkeit ja sehr kritisch betrachtet. Bestenfalls heißt es, sie seien ‚konservativ’, teilweise auch ‚erzkonservativ’ oder ‚mittelalterlich’. Zum Beispiel beim Familienbild. Schmerzt Sie das?
Es tut weh, weil es einseitig ist. Wenn an einer reformpädagogischen Schule im Odenwald Kinder missbraucht werden, dann ist das fürchterlich. Tragisch. Aber wer würde deswegen die Reformpädagogik insgesamt in Frage stellen? Wenn jedoch innerhalb der Evangelischen Allianz jemand extreme Ansichten vertritt oder irgendwo ein Skandal aufgedeckt wird, dann wird das repräsentativ für die gesamte Bewegung genommen. Das ist zunächst einmal journalistisch unfair. Und es ist tragisch, weil es die Allianz in falsches Licht rückt. Wir sind bunt und sehr vielfältig, es gibt viele tolle Menschen und Initiativen für Mission, Diakonie und Weltverantwortung. Manches davon wird jedoch kaum wahrgenommen. Als die ‚Micha-Initiative’ [Eine christliche Kampagne gegen Armut und für globale Gerechtigkeit – Anmerkung der Red.] gegründet wurde, da gab es kein allzu großes mediales Echo. Das ist sehr bedauerlich. Ich bin überzeugt, dass wir moderne und zeitgemäße Anliegen haben!
Welche Themen sind das? Was können wir erwarten?
Nehmen wir ein klassisches Thema: Lebensschutz. Mit all den technischen Errungenschaften geht eine vorgeburtliche Selektion und Euthanasie von Behinderten einher. Das halte ich für mittelalterlich! Modern ist Inklusion – und die muss im Mutterleib beginnen. Und weil wir für den Schutz des Lebens sind, fragen wir natürlich: Wie kann man eine Frau in unserer Gesellschaft ermutigen, ein Kind zu bekommen? Wie kann man Männer ermutigen, als Vater Verantwortung zu übernehmen und nicht nach der Zeugung abzuhauen? Was braucht es dafür? Persönlich und gesellschaftlich?
Menschenhandel ist ein anderes Thema, das mir auch persönlich seit langem am Herzen liegt. Das Ausmaß ahnen viele gar nicht. Ich war in Moldawien. Dort werden Kinder als Organspender für Russland gehandelt! In Thailand kannst du ein Kind bestellen, dass dann live im Internet vergewaltigt wird… Das alles ist so unfassbar grausam. Je kleiner die Welt wird, desto mehr blüht dieses perverse „Geschäft“. Wir hatten mal ein Pflegekind aus Vietnam. Dem wurde in seiner Heimat gesagt: ‚Du kannst für uns als Kindermädchen nach Thailand gehen’ – und dann findet sie sich auf einem Flughafen in Deutschland wieder. Sie wäre direkt im Bordell gelandet, wenn nicht jemand auf sie aufmerksam geworden wäre. Mit dreizehn! Das bringt mich zum Thema Zwangsprostitution: In Deutschland arbeiten je nach Schätzung bis zu 400.000 Frauen und Männer als Prostituierte. 80 bis 90 Prozent davon unter Zwang., sagen Experten Da kann man doch nicht zuschauen!
…sondern?
Es reicht natürlich nicht aus, einfach „gegen“ Abtreibung oder Menschenhandel oder Zwangsprostitution zu sein, ohne das ganze Bild zu sehen und entsprechend zu handeln. Das wäre unchristlich. Was machen wir für die betroffenen Frauen? Darf die schwangere 16-Jährige auch in meine Gemeinde kommen, ohne dass einer sie schräg anguckt? Werde ich Patenonkel des Babys? Gründe ich eine Beratungsstelle? Besorge eine Tagesmutter? Ein Schutzhaus? Eine Therapie? Eine Arbeitsstelle? Das sind die Fragen, die sich stellen. Die Themen sind vielfältig und die Koalitionen, die wir als Christen dafür eingehen, auch. Wir fragen: Wo haben wir Schnittmengen mit anderen Gruppen? Welche Partei bringt welches Anliegen nach vorne? In meiner Zeit als Pastor habe ich gemeinsam mit den Linken und der Antifa in einer Menschenkette gestanden, um Flüchtlinge vor Neonazis zu schützen. Beim Thema Lebensschutz sind die dann verbal auf mich losgegangen, weil sie mir AfD-Nähe unterstellten. Das ist schon spannend…
Verkündigung und gesellschaftliches und politisches Engagement, wie gut passt das bei der Allianz aktuell zusammen?
Die Evangelische Allianz steht für eine klare Verkündung. Jesus ist der eine Weg zu Gott, dazu laden wir ein. Und zugleich gilt: Jeder Mensch ist ein Geschöpf Gottes, mit Leib und Seele. Jeder Mensch hat ein Leben. Und Gott hat ein Interesse daran. Das bedeutet, Menschen zu schützen, für sie da zu sein und ihnen zu helfen. Christen und anderen. Man darf missionarisch und sozial nicht gegeneinander ausspielen. Eine der erhellendsten Erfahrungen in meinem Theologiestudium war für mich, in das hebräische Denken einzutauchen. Dort gilt: sowohl als auch. Das griechische Denken dagegen lautet: entweder oder. Wir neigen dazu, die Dinge gegeneinander auszuspielen. Ich bin entweder missionarisch oder sozial. Das ist unsere Prägung. Wir bauen Gegensätze auf, die es an anderen Orten auf dieser Welt gar nicht gibt. Wenn ich in Afrika ein christliches Sozialprojekt besuche, begegnet mir eine klare evangelistische Verkündigung. Als Deutscher mag das befremden: ‚Wie predigen die denn?!’ Dabei hat manches schlicht mit Kultur zu tun. Für mich gehört beides zusammen, ganz organisch. Wenn ich einen Menschen als Geschöpf Gottes mit einer Ewigkeitsperspektive liebe, dann fängt das ja nicht erst nach seinem Tod an, sondern hier auf Erden. Tragisch finde ich, wenn es heißt: Uns interessiert die Welt nicht, wir schauen nur auf das ewige Leben. Genauso tragisch ist aber auch das Gegenteil. Denn gerade aus der Hoffnung auf die Ewigkeit, aus der Hoffnung, dass es einen Retter gibt und dass am Ende ein gerechter Gott gerecht richten wird, habe ich die Kraft und den Mut, in dieser Welt kleine Schritte zu tun. Sonst würde ich verzweifeln.
Was möchten Sie mit ihrem Amt erreichen?
Erstens, dass die Evangelische Allianz bekannter wird, Politiker sie als Gesprächspartner ernst nehmen und uns nicht in eine Schublade stecken. Dass wir im politischen Berlin eine hörbare Stimme sind. Von uns selbst erwarte ich, dass wir nicht nur meckern, was die anderen falsch machen, sondern Substanzielles beitragen. Wir haben zu bestimmten Themen etwas zu sagen. Und wo immer das geht, sollten wir es – in Abstimmung mit anderen Christen – tun. Wenn wir außerdem dazu beitragen könnten, das politische Klima, die Gesprächs- und Diskussionskultur in Deutschland, zu verbessern, dann wäre ich sehr dankbar.
Vielen Dank für das Gespräch!
Die Fragen stellte Daniel Wildraut