Wer bin ich und was will ich? Tom Laengner findet: Sich die richtigen Fragen zu stellen, das bringt im Leben vorwärts.
Die BILD berichtete von Hippie-Taufen in Kalifornien, auf deutschen Straßen skandierte die APO in Berlin ‚Ho-Ho- Ho-Chi Minh‘ und ich lauschte den Lebensweisheiten vom dicken Schweres: ‚Meine Freundin hat Brüste, dass sie keinen BH braucht‘. Ich staunte! Verbarg sich dahinter also die Frage aller Fragen, wenn es um Frauen ging: ‚Hat sie Brüste?‘ Doch wohin würde mich die Frage bringen? Sehr lange hat mich das dann auch nicht überzeugt. Klare Kiste, es ging auch um andere Fragen. Zum Beispiel, ob sie den richtigen Musikgeschmack hatte: Beat-Club oder Hitparade. Da schieden sich die Geister. Und dann natürlich die Klamotten. Sagte das nicht viel über einen Menschen aus?
Ich hatte mir eine Brille aus Teesieben gekauft. Die scheuerte mir die Ohren wund und rutschte stark. Das sagte schon eine Menge aus. Das konnte ich nur nicht zur Entfaltung bringen, weil meine Eltern sagten: „Junge, so gehst du uns nicht aus dem Haus!“ Ich musste zugeben, dass es bei einer Freundschaft doch um etwas anderes ging als um die Vorbereitungen für eine Karnevalssitzung oder Mottoparty. Meine Frau sagte mir später einmal, sie habe sich gefragt, ob ich nur freundlich zu ihr war oder auch zu anderen. Fand ich schwer beeindruckend, bin aber während meiner Pubertät selber nie drauf gekommen.
Kluge Fragen stellen
Halbgare Fragen können mich in Sackgassen führen. Kluge und nachhaltige Fragen führen mich auf einen hellen und erfüllenden Weg. Ich muss solche Fragen selber suchen. Und finden. In unseren Schulen werden sie meiner Erfahrung nach eher weniger gestellt. Schließlich muss ich sie festhalten und eine maßgeschneiderte Antwort finden. Das ist schwere Arbeit. Leichter ist es, solche Fragen als philosophischen Firlefanz niederzulächeln. Wir hatten mal ein Schulseminar in einer Stadt. Die Kernfrage lautete: ‚Ich weiß, was von mir erwartet wird. Weiß ich aber auch, was ich will?‘ Darüber hatten die Schülerinnen und Schüler noch nie nachgedacht. Plötzlich war diese Klasse 8 des Gymnasiums Feuer und Flamme. Während sie schwer damit beschäftigt waren, unsere Frage zu beantworten, kam die Lehrerin auf uns zu. Sie war aufgewühlt und meinte: ‚Mein ganzes Leben lang habe ich mir diese Frage nie gestellt‘. Jetzt aber wollte sie ran.
Könnte Deutschland im internationalen Vergleich nicht als El Dorado der Möglichkeiten angesehen werden? Deshalb empfinde ich die Situation dieser Studienrätin als so unfassbar traurig. Wir leben im freien Westen, dürfen überall hin, alles sagen und alles machen. Und wir haben unglaublich vielfältige Möglichkeiten, die Zukunft zu gestalten. Die Fragen, die uns auf dem Weg begleiten, sind meines Erachtens weniger hilfreich. Neulich sagte mir ein Akademiker über seine Tochter: ‚Jetzt, wo sie das Geld geschmeckt hat, will sie mehr!‘ Er fand das löblich. Sie sei endlich „angekommen“. Wissen solche Menschen gar nicht, dass in unserem schönen Land eine alleinstehende Person mit dem Bezug von Bürgergeld bereits das Vierfache einer erfahrenen Lehrerin in der Ukraine in der Tasche hat? Das könnte uns Horizonte für Liebe und Kreativität eröffnen!
Wer bin ich und was will ich?
Leben wir in Deutschland unter Gottes Segen oder sind wir eher Menschen, die den Hals nicht voll kriegen? Stecken wir nicht mehr Leidenschaft in die Frage, wie wir uns stilsicher präsentieren, als herauszufinden, wer wir sind und was wir wirklich wollen? Andere werden dann feststellen, dass in den beeindruckenden Hüllen oft gar nichts drinsteckt. Das finde ich ein wenig gruselig.
Unter unterschiedlichen Gesichtspunkten stellen sich Menschen seit vielen Jahren ähnliche Fragen. So hatte ein jüdischer Gelehrter einmal einen Schüler. Der war so verzweifelt und klagte ihm sein Leid: ‘Rabbi, ich werde nie so werden wie Abraham. Das schaffe ich nicht!“ Der Rabbi seufzte und holte tief Luft: „Der Ewige wird dich einst nicht fragen, warum du nicht geworden bist wie Abraham. Er wird dich fragen, ob du der Mensch geworden bist, zu dem er dich geschaffen hat“. So ähnlich habe ich das gelesen und nie wieder vergessen. Für gläubige Menschen mag das tröstlich klingen. Und das ist es auch. Aber was ist mit der Mehrheit der anderen Menschen? Naja, die sind ja genauso einzigartig.
Eine Kerze am Fenster
Erstaunt hat mich, dass sich seit 2004 die Zahl von Burnout Patienten verzehnfacht hat. Zusätzlich berichtete das Ärzteblatt im Februar 2024, dass 60 Prozent aller Berufstätigen fürchten, eines Tages an einer Überlastungsstörung zu erkranken. Ich vermute, dass sehr viele dieser Menschen genau wissen, was von ihnen erwartet wird. Die Beantwortung und Umsetzung der Frage nach sich selbst war ihnen bislang zu mühsam.
Ach ja, als meine Frau kürzlich spät nach Hause kam, lag ich schon im Bett. Als ich aufwachte, standen zwei Fragen an meinem Bett. Nette Gestalten übrigens. Die eine sagte: ‘Findest du, dass deine Frau nicht erwachsen genug ist, alleine ins Bett zu finden? ‘ Recht hatte sie! Und ich wollte die Augen wieder zumachen. Dann meldete sich die zweite Frage zu Wort: ‚Würde deine Frau sich freuen, wenn du eine Kerze ins Fenster stellst? ‘ Die Streichhölzer waren da, wo sie immer sind. Den Rest kannst du dir vorstellen. So war es nämlich auch.
Es geht nicht darum, was der Mensch will, es geht darum, was Gott will.
Und es geht darum, ob ich zu Gott will und dann auch will, was Gott will …
Keine Sorge, Herr Wößner. Unser lieber Kolumnist Tom ist ein gleichsam fröhlicher und ernsthafter Christ, der stets nach Gottes Willen fragt. In guten wie in schweren Zeiten. MfG, das JDE-Team
Das ist schön zu hören, aber seinen Beiträgen ist das leider so nicht zu entnehmen.
Seine Beiträge sind bewusst niederschwellig geschrieben, kein Vollkornbrot evangelistischer Verkündigung. Wir alle setzen unsere verschiedenen Gaben unterschiedlich ein. Als Team schätzen wir es, dies dankbar zur Kenntnis zu nehmen. MfG, das JDE-Team