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„Terrorist oder Mönch“: Pater Nikodemus dient den Armen

Pater Nikodemus Schnabel hat sich schon als Kind vom „unbürgerlich Radikalen“ angezogen gefühlt. Heute ist er „Ober-Lobbyist der Armen“ in Israel – in Stadtvierteln, die außer ihm kein Weißer betritt.

Auf YouTube hat er eine Million Klicks, im ZDF moderierte er sechzehn Dokus mit dem Titel „Ein guter Grund zu feiern“. Mit Markus Lanz wanderte er telegen durch Israel, für Minister Heiko Maas arbeitete er im Auswärtigen Amt. Aber auf der Straße wird er manchmal angespuckt. Sein Zuhause wurde mit Hass-Graffitis besprüht und einmal sogar angezündet. Die Adresse: Dormitio-Abtei, Berg Zion, Jerusalem.

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„Ich betreue rund 100.000 Arbeitsmigranten, Asylsuchende, legale und illegale Bewohner in Israel.“ Das ist die Kurzversion dessen, was er beruflich so macht. Der große, stämmige Mittvierziger mit der dröhnenden Lache kann’s aber auch konkreter erklären: „Das sind Frauen, die in der Pflege und in Haushalten arbeiten. Etwa 40.00 Filipinas, Frauen aus Indien und Sri Lanka.

Moderne Sklaven, die unsichtbar bleiben sollen

Dann Männer aus China, Rumänien und der Ukraine, die auf Baustellen malochen, Flüchtlinge aus afrikanischen Kriegsgebieten, die in der Obsternte und in der Landwirtschaft arbeiten. Plus hier gebliebene Pilgertouristen aus armen Ländern. Moderne Sklaven des globalisierten Wohlstands, die nicht auffallen wollen und unsichtbar bleiben sollen.

Menschen, die 70 oder 80 Stunden die Woche für Hungerlöhne arbeiten, keine Krankenversicherung haben, mit 19 Leuten in einer Wohnung hausen. In Stadtvierteln, die außer mir kein Weißer freiwillig betritt.“

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Eigentlich heißt er Claudius. Geboren in Stuttgart, evangelisch getauft, bei einer alleinerziehenden Schauspielerin und seinem Ziehvater, einem polnischen Maler, aufgewachsen. Im VW-Bus, in Ateliers, in einer Autowerkstatt, vierzehnmal umgezogen, „aber in einer genial chaotischen Kindheit mit 13 bewusst katholisch geworden, weil mich die Liturgie faszinierte und ich hier authentisch mit Herz und Verstand Gott suchen konnte. Das unbürgerlich Radikale hat mich angezogen, im Spaß gesagt: entweder Terrorist oder Mönch werden.“

Claudius Schnabel lebte bei mexikanischen Mayas in Chiapas/Mexiko, studierte Theologie in München, promovierte in Wien, besuchte das Priesterseminar in Fulda und – wurde mit 24 Jahren „Nikodemus“.

„Und weil ich zeigen kann, dass Religion nicht das Problem ist, sondern die Lösung wäre.“

Das ist sein Mönchsname als Benediktiner in Jerusalem. Warum dort? „Weil unsere Abtei völkerrechtlich zwischen Israel und Palästina, also im Niemandsland liegt. Weil hier Juden und Muslime auf ein knappes Dutzend christlicher Konfessionen treffen und wir zwischen allen Stühlen sitzen. Weil die Jerusalemer weder Gleichgültigkeit noch Smalltalk kennen. Weil es für mich ein Riesengeschenk ist, in dieser adrenalinhaltigen Stadt auch noch den spannendsten Job zu haben: Ober-Lobbyist für die Armen zu sein! Und weil ich zeigen kann, dass Religion nicht das Problem ist, sondern die Lösung wäre.“

Fünfmal täglich beten und singen die Mönche Psalmen. „Die Strahlkraft dieser zeitlosen Texte, das bewusste Ausatmen vor Gott ist für mich fast eine Art literarischer Gottesbeweis. Morgens um fünf ist Jerusalem zauberhaft friedlich! Wer in Gebetsstille vor Gott steht, kann nicht hassen und nicht hetzen.

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Jede Religion hat ihre Hooligans

Da beten die Muslime am Tempelberg, die Juden an der Klagemauer und die Christen an der Grabeskirche. Man kennt sich, grüßt sich, hilft sich – das sind die stabilen Gläubigen! Leider gibt’s bei allen auch Hooligans der Religion: Die Muslime haben ihre Hamas-Terroristen und IS-Sympathisanten, die Juden ihre „Hilltop Youth“, das sind laut israelischem Geheimdienst etwa 400 junge Männer, die Ölbäume verbrennen, Moscheen anzünden und christliche Pilger anspucken.

Die Christen haben ihre Ultra-Evangelikalen, die vom Bau des dritten Tempels träumen und kritiklos jeden Völkerrechtsbruch der nationalreligiösen Siedler bejubeln, als gäbe es keine palästinensischen Christen, als wäre jeder Meter Grenzverlauf von Gott selbst festgelegt. Eiferer, die den Koran, den Talmud, die Bibel für ihre eigene Identitätsfixierung missbrauchen.

Da stehe ich halt an der Seite der israelischen Opfer von Raketenangriffen aus Gaza und an der Seite der Opfer israelischer Vergeltungsschläge in Gaza. Und vor allem im Dienst meiner unsichtbaren Schwestern und Brüder überall.“

Pro Wochenende 13 Gottesdienste

Sich spirituell, seelsorglich und sozialdiakonisch um Leute zu kümmern, heißt auf katholisch „die Pastoral“ und bedeutet zum Beispiel: Mit rund 40 Angestellten und vielen Ehrenamtlichen betreibt die Diözese vier Kinderkrippen in Jerusalem, neun in Tel Aviv, ein „Guardian Angel“-Kinderheim und zwei „After School“-Kinderhorte.

„Für Familien, die schon seit drei Generationen von alleinerziehenden berufstätigen Müttern gemanagt werden.“ Deren seelisch-emotionale Tankstelle ist – die Gemeinde: 13 muttersprachliche Gottesdienste pro Wochenende an rund 50 Orten in Israel gibt es und oft muss Nikodemus Schnabel ein Basketball-Stadion mieten, „da kommen bis zu 3.000 Leute, singen und beten und essen bis in die Nacht. Das deutsche Problem leerer Bänke haben wir nicht.“ Wieder lacht er laut, lang und herzhaft.

„Am großzügigsten sind die Ärmsten.“

„Die ‚Kirche‘, die uns selbst gehört, ist eine abgerockte Fabrikhalle im Armenviertel von Tel Aviv. Übrigens eine der teuersten Städte der Welt.“ Eben. Und dort muss alles aus Spenden finanziert werden? „Ja. Am großzügigsten sind die Ärmsten, in Relation zu ihrem Einkommen. Da lerne ich viel von meinen verachteten Geschwistern.“

Armut veredelt nicht den Charakter, Gut und Böse sind nicht nach Ethnien sortiert. Natürlich weiß Nikodemus, dass es Prostitution, Korruption und häusliche Gewalt gibt in „seiner“ Community. Aber – und da wird der humorvolle Genussmensch sehr ernst und energisch: „Humanitäre Hilfe ist wichtig und das Wort Menschheitsfamilie ist richtig. Aber diese Leute hier sind Christinnen und Christen, Sünder wie wir alle, oder gibt’s eine deutsche, eine europäische Taufe?! Das sind meine Glaubensgeschwister! Die überwiegende Mehrheit Frauen.

Wenn in den Krankenhäusern philippinische Putzfrauen wuseln, die ihre Kinder seit zehn Jahren nur über Skype gesehen haben – dann muss ich als Priester ihnen den einzigen Schutzraum bieten, wo sie Heimweh haben dürfen, wo sie Rotz und Wasser heulen dürfen, wo sie mal nicht das Mantra ‚Be strong!‘ hören, sondern wo sie in Gottes Gegenwart, am Tisch des Herrn willkommen sind.“

Kraft tanken im Gebet

Nikodemus Schnabel hat kein Helfersyndrom und ist bei aller Verehrung seiner Gemeinde („Bless me, Father“) kein Guru. „Ich bin ja nicht der Erlöser dieser ausgebeuteten Menschen, sondern nur der, der sie zum Erlöser führt. Mich abgrenzen, auf mich achten, mir Pausen erkämpfen – mein Standbein ist da die Abtei.

In den Gebetszeiten tanke ich Kraft, weil ich mich ja auch anlegen muss. Mit Bürokraten, mit Gleichgültigen, mit Unehrlichen. Zur Mehrheit der privilegierten und wohlversorgten Menschen wie uns ist die Gültigkeit der Menschenwürde und der Menschenrechte nicht wirklich durchgesickert.

Und das Gebot der Nächstenliebe auch nicht. Theoretisch – ja, klar, gerne. Aber in Herz und Bauch, in konsequenter Mitverantwortung? Fehlanzeige. Sonst würde uns interessieren, wer die Jaffa-Orangen pflückt und die schicken Clubs putzt und die Nutztiere schlachtet und die häusliche Pflege leistet. Nicht nur in Israel.“

Andreas Malessa ist Hörfunkjournalist in der ARD, Theologe, Buchautor satirischer Kurzgeschichten, Referent und Moderator auf Veranstaltungen mit religiös-kulturellen, kirchlichen und sozialethischen Themen.

Lesetipp: #FragEinenMönch. 100 Fragen (und unzensierte Antworten) von Pater Nikodemus Schnabel (adeo)


Ausgabe 3/22

Dieser Artikel ist in der Zeitschrift MOVO erschienen. MOVO wird vom SCM Bundes-Verlag herausgegeben, zu dem auch Jesus.de gehört.

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1 Kommentar

  1. „Pater“ heißt „Vater“. Dazu das Wort von Jesus:
    „‚Vater‘ soll niemand von euch sich nennen lassen auf der Erde!
    Einer ist nämlich euer Vater, der himmlische.“

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