"Mit Christentum hat Breivik wirklich nichts zu tun." Das sagte der Chefredakteur des ZDF, Peter Frey, am Montagabend im "heute journal" in einem Kommentar zum Osloer Attentat des 32-Jährigen Anders Behring Breivik. Das sehen auch andere Journalisten so.
Der Attentäter sei ein "Ideologe, der seinen Mordplan mit absurden Thesen zu rechtfertigen sucht", sagte der ZDF-Chefredakteur in der Sendung. "Zu unserem Entsetzen darüber, dass er Jugendliche wie Aliens in einem Computerspiel abgeschossen hat, kommt ein Erschrecken über einen Terroristen, der blond und blauäugig im Namen des Christentums tötet. Dabei hat mit Christentum Breivik wirklich nichts zu tun. Genauso wenig übrigens wie Islamisten mit dem Islam. Breivik ist ein Hasstäter, der totschießt, was nicht in sein Weltbild passt. Breiviks Taten sind ganz einfach Gotteslästerei. Und das gilt auch für Terroristen im Namen Allahs."
Es gebe ähnliche Taten in den USA, so Frey. "Von Oklahoma City bis zu Anschlägen auf Abtreibungskliniken. ‚Kreuzzug‘ hat auch George Bush den Irak-Krieg genannt, und mancher Amerikaner sieht das immer noch so. Dabei ist das Christentum keine Religion des Mordens, nicht absolute Wahrheit, Blut, Kampf. Im Gegenteil, Barmherzigkeit und Feindesliebe stehen über allem." Frey appelliert: "Deswegen müssen die christlichen Kirchen die Trennlinie zu fundamentalistischen Gruppen scharf ziehen, ihnen nicht überlassen zu definieren, was christlich ist. Die Kreuzzüge sind vorbei, Glaube und Moderne vereinbar."
ZDF über "christliche Fundamentalisten" in den USA
In derselben Ausgabe des "heute journals" lief auch eine Kurzdokumentation über "christliche Fundamentalisten" in den USA. Dort gebe es eine "Szene, die Kinder für den großen Endkampf vorbereitet, die in den Krisen der Welt die Vorboten von Armageddon sieht so wie es die Bibel beschriebt, und die auch christliche Kriegsspiele verbreitet, in denen wahre Gläubige in den Großstädten des Westens Ungläubige und Abtrünnige töten und damit Punkte für ihre Erlösung sammeln".
Weiter heißt es in dem Beitrag: "Es gibt keinen Beleg für die unmittelbare Verbindung zwischen dieser Propaganda und dem Massaker in Norwegen. Aber der Täter ermordete junge Sozialdemokraten, weil sie mit ihrer Toleranz und Offenheit aus seiner Sicht die Zerstörung der europäischen Kultur durch den Islam befördern."
Rundmail an Mitarbeiter
Wie die österreichische Zeitung "Der Standard" berichtet, schrieb der Vize-Chefredakteur des ORF Niederösterreich, Robert Ziegler, eine Rundmail an seine Mitarbeiter. Darin bittet er seine Kollegen, den Attentäter von Norwegen nicht als "christlichen Fundamentalisten" zu bezeichnen: "Das Wort ‚christlich‘ und den Mord an mehr als 90 Menschen in einem Atemzug zu nennen – da empfinden wohl die meisten einen deutlichen Widerspruch. Hier sollten wir bei der Formulierung besonders sensibel vorgehen, diesen äußerst unchristlich agierenden Mann eventuell als ‚religiösen Fanatiker‘ bezeichnen oder uns vor allem auf die überwiegend verwendete Einordnung als ‚Rechtsextremisten‘ beschränken."
Breiviks "Religions-Fantasy"
Der Journalist und evangelische Theologe Reinhard Bingener schrieb für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung": "Als christlicher Fundamentalist kann Anders Breivik nicht gelten. Das ihm vorschwebende, ideale Christentum hat für ihnen keinen religiösen Zweck, sondern vor allem den, als kulturelle Klammer für ein wehrhaftes Abendland zu dienen."
Auch wenn die norwegische Polizei den Attentäter in einer ersten Stellungnahme am Freitag "etwas unbeholfen als ‚christlich-fundamentalistisch’" beschrieben habe, müsse diese Sichtweise revidiert werden. "Mit der Bezugnahme des Attentäters nicht nur auf das Christentum, sondern auch auf die Freimaurerei lässt sich diese Aussage nicht in Übereinstimmung bringen. Denn die Freimaurerei beruft sich in deistischer Manier nur sehr vage auf einen ‚allmächtigen Baumeister aller Welten‘, ist aber strikt auf das Diesseits gerichtet und zudem – gerade in den katholisch geprägten Ländern Europas – in fast allen ihren Facetten feindlich gegen die Kirche eingestellt."
Weiter schreibt Bingener: "Als christlicher Fundamentalist kann Breivik auch deshalb nicht gelten, weil er sich in seinem 1518 Seiten starken Schriftenkonglomerat so gut wie gar nicht darum bemüht, seine Ansichten aus der Bibel heraus zu begründen, was das wichtigste Kriterium für Fundamentalismus wäre. Für die wesentlichen Themen des christlichen Fundamentalismus – Irrtumslosigkeit der Bibel, leibliche Auferstehung, Sühnetod Christi – zeigt Breivik in seinem Pamphlet keinerlei Interesse."
Anders Breivik habe sich – wie andere Blogger auch – aus Versatzstücken und einem abstrakten Abendland-Gedanken eine Weltanschauung zusammengesucht. Bingener nennt dies eine "Religions-Fantasy mit blutigen Folgen".
"Täter hatte wahrscheinlich Wahnvorstellungen"
Hugo Stamm, Redakteur des "Zürcher Tages-Anzeigers" und Sekten-Experte, schreibt auf dem Weblog der Tageszeitung: "Es ist unwahrscheinlich, dass er aus dem Glauben ein Motiv herleitete. Als wahrscheinlicher erachte ich es, dass er sich aus seiner politischen Ideologie heraus fanatisieren liess. (…) Die Motive oder der Auslöser müssen meines Erachtens auf der psychologischen Ebene gesucht werden.
Seiner Meinung nach werden Untersuchungen zeigen, "dass der Täter eine multiple Persönlichkeit war, unter Wahnvorstellungen, Realitätsverlust oder Wahrnehmungsverschiebungen litt, unfähig zur Empathie oder emotional regrediert war, unbewusste Persönlichkeitsanteile abgespalten hat usw." Er schließt: "Mit dem Glauben hat die Tat nichts zu tun, der Glaube hat aber auch nicht verhindert, dass er zum Amokläufer wurde."
(Quelle: Christliches Medienmagazin Pro)