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In der Stille angekommen

Ein Kissen, ein Schiff, ein Gebet: Ingrid Gremingers Lebensweg begann dramatisch – und führt sie heute täglich in die Stille einer alten Kirche.

Von Ellen Nieswiodek-Martin

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Die Evangelisch-Reformierte Kirche Burg liegt etwas erhöht über den Dächern von Stein am Rhein. Sie ist geöffnet, manchmal kommen Touristen herein. An dem Platz, an dem die Kirche mit dem barocken Türmchen steht, treffen sich Christen schon seit dem Jahr 1450. Besucher bestaunen die Malereien und die Schlichtheit, die Ruhe ausstrahlt. Jeden Tag sitzt dort eine schmale ältere Dame in einer Kirchenbank.

Ingrid Greminger läuft täglich von ihrem Haus den Fußweg zur Kirche hinauf. Und dann sitzt sie einfach nur da. „Je älter ich werde, desto größer ist mein Bedürfnis nach Stille, nach Ruhe. Die finde ich hier in dieser Kirche in Burg. Der Spaziergang durch die Natur gehört dazu und dann komme ich hier rein und es ist still. Hier komme ich zur Ruhe, rede mit meinem Herrgott und erzähle ihm, was mir gerade auf der Seele liegt. Was mich betrübt oder was ich schön finde, was gut ausgegangen ist, was ich Schönes erlebt oder gesehen habe auf dem Weg. Hier werde ich ruhig, genieße die Stille und merke, wie es mir wieder besser geht“, erzählt sie mir. Sie redet sehr leise, vielleicht um die andächtige Stille nicht durch Worte zu stören. Ich vermute, dass sie auch sonst nicht besonders laut ist.

In Kissen verpackt aufs Schiff

Ingrid hatte ein bewegtes Leben: Geboren ist sie 1943 in Ostpreußen. Ihr Start ins Leben war alles andere als einfach. Sie war ein schwaches Baby, kam zu früh zur Welt. Ihre Mutter ist nach der Geburt gestorben, der Vater diente als Soldat im Zweiten Weltkrieg an der Westfront. Die kleine Ingrid wuchs bei der Großmutter auf. Diese war es auch, die das Baby und den älteren Bruder im März 1944 mitnahm, als sie von Ostpreußen über Dänemark nach Deutschland floh.

Ingrid war gerade mal ein halbes Jahr alt. Da gebe es eine Anekdote, erzählt sie immer noch leise, lächelt aber verschmitzt: „Als wir vor der russischen Armee geflüchtet sind, musste es schnell gehen. Die Oma konnte nur ein kleines Köfferchen mitnehmen. Den Bruder hatte sie an der Hand, der konnte schon einigermaßen laufen. Mich steckte sie in ein Kissen, das sie mit einer Schleife umwickelte. Als wir an Bord des Schiffes gehen sollten, herrschte großes Gedränge. Damit es schneller geht, standen die Matrosen in einer Reihe und warfen sich die Gepäckstücke immer weiter hoch nach oben zu. Meine Oma hat das Kissen dann auch in die Reihe geworfen. Und so kam ich an Deck.“

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Als Oma oben ankam, stand da ein Offizier und sagte streng: „Sind Sie sich des Ernstes der Lage nicht bewusst? Auf eine solche Reise nimmt man doch keine Puppe mit.“ Ingrids Oma antwortete: „Das ist keine Puppe, das ist meine Enkelin.“ Die kleine Ingrid hatte bei dem ganzen Manöver keinen Ton von sich gegeben, sodass die Matrosen nicht gemerkt hatten, dass in dem Kissen ein Baby steckte.

Ingrid und ihr Bruder kamen heil in Deutschland an und lebten mit der Oma in Wunsiedel. Als der Vater aus der Gefangenschaft zurückkam, heiratete er nach kurzer Zeit ein zweites Mal. Das Ehepaar nahm die Kinder wieder zu sich. Aber Ingrid vermisste ihre Oma so sehr, dass sie krank wurde. Irgendwann gab der Vater nach und sie durfte wieder bei der Großmutter wohnen.

Der Glaube der Oma

„Von ihr habe ich meinen tief verwurzelten Glauben“, sagt sie. „Wenn ich im Leben mal eine Krise hatte und mit der Oma darüber gesprochen habe, hat sie gesagt: ,Stell dir mal vor, du hast in dem ganzen Durcheinander im Krieg überlebt. Das hat doch seinen Sinn. Das ist doch nicht umsonst gewesen, du bist für irgendwas da.‘“

Als Jugendliche hat Ingrid einen schweren Unfall überlebt – damals war sie mit Freunden unterwegs, als ein Auto in die Gruppe fuhr und sie mitschleifte. „Ich hatte schlimme Verletzungen und musste fast sieben Monate im Krankenhaus liegen.“ Fast hätte die Siebzehnjährige damals ein Bein verloren, aber die Ärzte konnten es durch mehrere Operationen erhalten. „Damals habe ich gemerkt, wie es sich anfühlt, Schmerzen zu haben, einsam zu sein, weil einen niemand besucht. Damals habe ich begriffen, was wichtig ist im Leben“, sagt sie leise. Die Stimme stockt, als sie sich an diese schwere Zeit erinnert.

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Im Krankenhaus hat sie angefangen, regelmäßig zu beten. Dort wuchs auch ihr Wunsch, Menschen zu helfen und Leid zu lindern. „Gott hat mir den Weg gezeigt, den ich gehen soll.“

„Gott hat dich beschützt. Und wenn du heute mal nicht weiterweißt, dann sag’s ihm einfach“, hatte ihr die Oma immer wieder gesagt.

Rituale und Stille sind wichtig

Ihr zweiter Ehemann, wegen dem sie vor 36 Jahren in die Schweiz gezogen ist, kommt nur selten mit in den Gottesdienst. „Manchmal fehlt er mir. Vor allem, wenn ich andere Ehepaare sehe, die gemeinsam den Gottesdienst besuchen, da fehlt er mir sehr.“ Sie schaut mich nicht an, als sie das sagt. Ich spüre, dass sie sich das anders wünscht. Aber sie hat gelernt, mit unerfüllten Träumen und dem, was eben so ist, umzugehen. Sie bringt alles vor Gott.

„Jeden Morgen, wenn ich aufstehe, koche ich mir einen Tee und lese einen Text aus einem Andachtsbuch. Danach bete ich und bringe alles, was mich bewegt, vor Gott. Aber dafür brauche ich Stille, damit ich mich konzentrieren kann. Sonst geht es nicht. So wie in der Kirche. Ich merke, wie ich hier auftanke und neue Kraft bekomme.“ Als sie das erzählt, lächelt sie. t

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