Warum gibt es Freikirchen?

Neben den beiden großen Kirchen – evangelisch und katholisch – gibt es in Deutschland noch zahlreiche Freikirchen. Wie sind sie entstanden und wofür stehen sie?

Von Christoph Stiba

Der Name legt nahe, dass Freikirchen zwar irgendwie auch Kirchen sind, nur anders – eben „freier“. Hilfreich zum Verständnis ist ein Blick in die Kirchengeschichte: Die katholische (zu Deutsch „allgemeine“) Kirche führt ihre Existenz direkt auf die frühe Kirche der ersten Jahrhunderte nach Christus zurück. Allerdings gab es in der Kirchengeschichte immer wieder Auseinandersetzungen, die auch zum Auseinandergehen von Kirchen führten. Die erste große Spaltung geschah um die erste Jahrtausendwende zwischen der römisch-katholischen und der orthodoxen Kirchenfamilie. Die nächste große Trennung vor rund 500 Jahren wurde durch die Folgen der Reformation verursacht. Was als innere Erneuerung der Kirche begann, führte zu erbitterten Auseinandersetzungen und sogar Kriegen, die erst mit dem sogenannten Westfälischen Frieden von 1648 beendet wurden. Bis in die Neuzeit galt: Der jeweilige Landesherr entscheidet, welche Landeskirche in seiner Region als Staatskirche anerkannt ist.

Freikirchen legten von Anfang an Wert darauf, sich unabhängig vom Staat zu organisieren.

Etwa zu dieser Zeit vor etwas mehr als 400 Jahren entstanden in England kleine Gruppen von Intellektuellen, die die damals ungewöhnliche Idee hatten, sich selbst ein Bild vom Glauben machen zu wollen und sich auch ohne Obrigkeit als Kirche zu organisieren. Eben nicht als Staatskirche, sondern als „freie“ Kirche – frei von obrigkeitlicher Aufsicht und Bevormundung. Das war von Staats wegen nicht gern gesehen. Viele dieser „Separatisten“ (sich Trennende) oder „Kongregationalisten“ (sich Versammelnde) mussten in die „Neue Welt“ auswandern und gründeten in den nach Unabhängigkeit strebenden Kolonien Amerikas eigene Gemeinden. Baptisten, Methodisten, Mennoniten, Quäker und andere wuchsen schnell, denn sie waren auch so frei, Gemeinden zu gründen, wenn noch kein Priester oder Pastor zur Verfügung stand. Sie verließen sich auf das Wort Jesu: „Wo zwei oder drei in meinem Namen zusammen sind, da bin ich mitten unter ihnen.“ Sie betonten das Priestertum aller Glaubenden, wollten sich vor allem an der Bibel orientieren und legten großen Wert darauf, dass jede und jeder persönlich Jesus nachfolgen kann.

In Deutschland konnten diese – von der Obrigkeit anfangs noch nicht akzeptierten – freien Kirchen nicht so schnell Fuß fassen. Aber als vor rund 150 Jahren immer mehr von solchen freien Gruppen und Gemeinden entstanden, bekamen sie auch in Deutschland das Recht, als Kirchen zu leben und zu arbeiten. Festzuhalten ist also aus der Geschichte: Freikirchen legten von Anfang an Wert darauf, sich unabhängig vom Staat zu organisieren.

Wofür stehen Freikirchen theologisch?

Sie sind der Auffassung, dass Kirchenmitgliedschaft immer frei – im Sinne von freiwillig, persönlich, selbstbestimmt – gewählt werden soll. Die persönliche Glaubensentscheidung des Einzelnen ist die Basis für die Mitgliedschaft in einer Gemeinde. Vor Gott können Menschen sich nicht vertreten lassen. Das muss jeder mit sich selbst ausmachen, was und wie und mit wem er glaubt oder auch nicht glauben will. Diese freiheitlichen Gedanken kamen im ausgehenden 19. Jahrhundert auf und wirken bis heute nach. Die Folge: Freikirchen werben für den christlichen Glauben. Sie missionieren und wollen Menschen begeistern für ein Leben mit Jesus. Und die Mitglieder unterstützen sich gegenseitig in einem das ganze Leben durchdringenden Glauben, für den die Bibel Orientierung gibt. Anteilnehmende Gemeinschaft ist in den meist überschaubaren Gemeinden gut zu realisieren.

Freikirchen erheben keine Kirchensteuern. Die Finanzen werden von den Mitgliedern der Ortsgemeinde selbst zusammengelegt, und gemeinsam wird beraten, was mit dem Geld geschehen soll.

Die Leitungsstruktur vieler Freikirchen in Deutschland ist durch das Vereinsmodell geprägt. Das liegt sicher auch daran, dass viele Freikirchen Mitte des 19. Jahrhunderts in einer Zeit entstanden sind, als sich das Freiheitsbedürfnis der Bürgerinnen und Bürger in der Gründung von Vereinen niederschlug. Die Versammlung aller Mitglieder wählt Vorsitzende, bestimmt über das Geld und über die Arbeit der nächsten Zeit. Biblisch wird diese Art Gemeindeleben begründet mit dem Gedanken des „Priestertums aller Glaubenden“: Wenn jeder Christ Gottes Geist empfängt, ohne Vermittlung einer Amtsperson Glauben leben kann, also quasi sein eigener Priester ist, dann können und müssen auch alle mitbestimmen und mitmachen, wenn es um kirchliche Aufgaben geht.

Freikirchen sind keine Sekten

Um sein eigenes Profil zu beschreiben, muss man erklären, was einen von anderen unterscheidet. Aber ganz falsch wäre der Eindruck, Freikirchen würden die Gemeinschaft mit anderen Kirchen und Christen meiden oder sich absondern. Für abgesonderte und abgeschottete Glaubensgemeinschaften verwenden wir in unserem Land meist den Begriff „Sekten“ – und das sind Freikirchen nicht.

So haben sich bereits 1926 etliche Freikirchen zur Vereinigung Evangelischer Freikirchen zusammengefunden. Noch früher, 1845 in England und 1851 in Deutschland, fanden sich Christen über Konfessionsgrenzen hinweg zur „Evangelischen Allianz“ zusammen, dem ersten ökumenischen Brückenschlag überhaupt. Und ähnlich wie bei der Gründung der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen im Nachkriegsdeutschland waren etliche Freikirchenvertreter Motor der Bewegung aufeinander zu.

Heute gehören zwölf Mitgliedskirchen und drei Gastmitglieder zur Vereinigung Evangelischer Freikirchen, die etwas weniger als 300.000 Gemeindemitglieder repräsentiert. Neben den Gemeinden gibt es zahlreiche diakonische Einrichtungen, Schulen und andere Bildungseinrichtungen, staatlich anerkannte theologische Fachhochschulen und vieles mehr.

Die Zusammenarbeit mit den Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ist vielfältig, zum Beispiel in den Bereichen der Diakonie und Entwicklungshilfe oder der Medienarbeit. Und auch in der Ökumene vor Ort sind viele freikirchliche Gemeinden unverzichtbarer Teil der bunten Christenheit.

Fast alle Freikirchen sind weltweit stark vernetzt – unter anderem auch deshalb, weil sie zwar in Deutschland klein sind, in anderen Staaten wie den USA oder in vielen Ländern Afrikas und Asiens aber zu den großen Kirchen zählen.

Aus der Ordnung der Vereinigung Evangelischer Freikirchen:

§ 1 Selbstverständnis

Die Vereinigung Evangelischer Freikirchen versteht sich als eine Gemeinschaft evangelischer Gemeindebünde und Kirchen, die durch den Herrn Jesus Christus untereinander verbunden sind. Ihre Verbundenheit zeigt sich insbesondere durch folgende gemeinsame Kennzeichen:

  • Sie erkennen in der Heiligen Schrift Alten und Neuen Testaments Gottes Wort als Grundlage und alleinige Richtschnur ihrer Verkündigung, ihrer Lehre und ihres Lebens.
  • Sie bekennen Jesus Christus als Haupt der Gemeinde sowie als Herrn und Heil der Welt. Mit allen Kirchen der Reformation bezeugen sie die Errettung der Sünder um Jesu Christi willen aus Gottes freier Gnade allein durch den Glauben.
  • Sie verstehen die Kirche bzw. Gemeinde Jesu Christi als Gemeinschaft der Gläubigen, geschaffen durch das Wort Gottes und gestaltet als Lebens und Dienstgemeinschaft im Sinne des Priestertums aller Gläubigen.
  • Sie erwarten von den Gliedern ihrer Gemeinden ein Bekenntnis des persönlichen Glaubens an Jesus Christus sowie die ernsthafte Bereitschaft, ihr Leben dem Willen Gottes entsprechend zu führen.
  • Sie halten an der rechtlichen und organisatorischen Unabhängigkeit vom Staat fest und finanzieren ihre Arbeit durch freiwillige Beiträge und Spenden der Mitglieder.
  • Sie treten ein für Menschenrechte, insbesondere für Glaubens- und Gewissensfreiheit, und übernehmen ein ihren Möglichkeiten entsprechendes Maß an Verantwortung für alle Menschen.
  • Ihre Hauptaufgabe sehen sie darin, das Evangelium von der Liebe Gottes zu allen Menschen in Wort und Tat zu verkünden.
  • Die Mitglieder der Vereinigung Evangelischer Freikirchen erkennen sich gegenseitig als Teil der einen Kirche Jesu Christi an und wollen der wesenhaften Einheit dieser Kirche durch ihre Gemeinschaft sichtbar Ausdruck verleihen. Sie verpflichten sich, diese Gemeinschaft durch enge Zusammenarbeit zu vertiefen. Zugleich bemühen sie sich aufrichtig, die Gemeinsamkeiten mit anders geprägten Kirchen besser zu erkennen und zu stärken.

Christoph Stiba ist Generalsekretär des Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden.


Dieser Artikel ist Teil unserer Serie „Basics des Glaubens“. Alle Artikel zu diesem Thema findest du auf dieser Webseite.


Weiterlesen: Was bedeutet der Begriff „evangelikal“? Antworten gibt die Jesus.de-Community in unserem Glaubensfragen Q&A

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