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Auge um Auge, Zahn um Zahn

Wie du mir, so ich dir: Ist dieses mosaische Gesetz gerecht oder einfach nur brutal? War es buchstäblich so gemeint?

Von Julius Steinberg

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Nächstenliebe, Mitgefühl, Vergebung – das sind wohl kaum die Begriffe, die einem als Erstes zu diesem Gesetz im 2. Buch Mose (21,23-25) einfallen würden. Es ist nicht zu leugnen: Die Stelle klingt gewalttätig und archaisch und scheint vom Geist der Rache geprägt. So muss uns auch nicht überraschen, dass sie gerne als Beispiel für die dunklen Seiten im Alten Testament rezitiert wird. Passt ein solch harsches Gesetz denn zu dem Gott der Liebe?

Bestrafung durch Verstümmelung?

Vielleicht haben wir gehört, dass dieses Gesetz dennoch positiv zu verstehen sei, denn es geht nicht um Rache, sondern gerade um den Schutz vor willkürlicher und maßloser Rache. Und doch bleibt bei dem Gedanken an Bestrafung durch Verstümmelung ein ungutes Gefühl zurück. Könnte es aber vielleicht sein, dass das Gesetz gar nicht wörtlich, sondern in einem übertragenen Sinne zu verstehen ist? Um dies zu ergründen, hilft ein Blick auf den biblischen Zusammenhang.

Talio = Vergebung

Zunächst einmal ist festzuhalten, dass die sogenannte „Talionsformel“ (von lat. talio = Vergeltung) nicht nur im AT vorkommt, sondern auch aus anderen Gesetzessammlungen der damaligen Zeit bekannt ist. In der Bibel steht sie in einem Abschnitt, der als Bundesbuch bezeichnet wird (2. Mose 20,22–23,33). Das Bundesbuch bildet, wie der Name schon sagt, eine wichtige Grundlage für den Bund, den Gott mit seinem Volk am Berg Sinai geschlossen hat (2. Mose 19–24). Interessant ist nun die Beobachtung, dass die einzelnen Gesetze im Bundesbuch auf eine besondere, aussagekräftige Art und Weise zusammengestellt sind:

Das Bundesbuch beginnt und endet mit Abschnitten, die von der rechten Verehrung Gottes handeln (20,22-26 und 23,13-33). In diesen äußeren Rahmen eingeschlossen ist ein weiterer, innerer Rahmen (21,2-11 und 22,20–23,12), der sich mit dem Schutz der Schwachen befasst. Die Ethik des Bundesbuches ist damit von zwei rahmenden Prinzipien bestimmt: Die Liebe zu Gott und die Liebe zum Nächsten. Gott will keine kalte Gerechtigkeit, bei der jeder bekommt, was er verdient, sondern eine solidarische Gemeinschaft, in ihm selbst gegründet, in der auch der Schwache seinen Platz im Leben finden kann.

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Gerechter Ausgleich

In diesen doppelten Rahmen ist nun (neben zwei kurzen Texten, die ich hier überspringe) der zentrale Abschnitt 21,23–22,14 eingebettet, der von der so oft missverstandenen Talionsformel eröffnet wird. Dieser zentrale Abschnitt stellt das Prinzip der ausgleichenden Gerechtigkeit vor und illustriert es anschließend an einer Reihe von Beispielfällen aus verschiedenen Bereichen des Lebens. Alle Beispiele wenden das Talionsprinzip übrigens im übertragenen Sinne an. Von körperlicher Verstümmelung ist also nicht die Rede. Vielmehr geht es darum, dass Rechtsprechung im Kern die Aufgabe hat, nach dem gerechten Ausgleich zu suchen – und zwar, gemäß der rahmenden Prinzipien, in Verantwortung vor Gott sowie in einer sozial verträglichen Weise.

Julius Steinberg hat Theologie in Gießen und in Leuven studiert und war Prediger einer Landeskirchlichen Gemeinschaft. Seit 2007 ist er Professor für Altes Testament an der Theologischen Hochschule Ewersbach.


Dieser Artikel ist in der Zeitschrift Faszination Bibel erschienen. Faszination Bibel wird vom SCM Bundes-Verlag herausgegeben, zu dem auch Jesus.de gehört.

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9 Kommentare

  1. Liebes jesus.de-Team,

    ich möchte hier doch auch eine Bildkritik loswerden.

    Mit dem Bild der kämpfenden Bären illustriert ihr das Vorurteil, nicht die eigentliche Aussage des Talionsrechts. Und damit auch nicht das, was -wenn auch meines Erachtens zu wenig klar- im Text steht.

    Ein besseres Bild wäre z.B, eine Waage, weil es um Ausgleich geht.

    Ich will mein Unbehagen mal an einem deutlicheren Beispiel erläutern:
    Nehmen wir mal an, ihr würdet hier einen Text veröffentlichen über das Vorurteil gegen Juden, diese wären reich, hinterlistig, ausbeuterisch (also ein gängiges antisemitisches Klischee). Der Text würde erst die Aussage dieses Vorurteils erläutern, dann die Herkunft und diesem dann natürlich entschieden widersprechen.
    Dann würdet ihr ja sicherlich auch nicht ein Bild nehmen, dass das antisemitische Klischee unterstützt (also z.B. eine Karikatur mit Juden mit langer Nase und Geldsack in der Hand) sondern ein Bild, das sich auf den entschiedenen Widerspruch bezieht.

    Das Problem ist, dass nicht jeder jeden Text liest, sondern viele sicherlich nur die Bilder und Titel überfliegen. Und da kann das eben leicht falsch verstanden und entgegen dem Text das Vorurteil bestätigt werden.

  2. Ich habe selten einen so schlecht geschriebenen Artikel über das Talionsrecht gelesen.
    Und kaum ein anderen jüdisches Recht wurde vom Christentum so antisemitisch in seiner Geschichte verdreht wie das Talionsrecht. Auch der Artikel braucht lange, um halbwegs zum entscheidenden Punkt zu kommen.

    Es wurde schon immer dazu verwendet, das Judentum als böse darzustellen und vor diesem Hintergrund das Christentum als so viel besser.

    Das Talionsrecht findet man auch in unserem grundlegenden Rechtssystem. Dort nennt es sich Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

    Die Strafe muss im Verhältnis zum Unrecht stehen. Dabei ist es mit Ausnahme von Mord nicht vorgesehen, gleiches mit gleichem zu vergelten sondern eine Bemessung der Entschädigung in Geld zu finden, die angemessen ist.

    Dafür gibt es meines Wissens 5 Kriterien. Bei einer Körperverletzung steht dem Opfer danach u.a. Schmerzensgeld zu, die Geldstarfe soll auch Strafe sein, es wird Einkommensausfall des,Opfers berücksichtigt usw.

    Man versucht also, mit verschiedenen Aspekten eine gerechte Bemessung der Strafe zu finden.

    Mit dem christlichen „anderer Wange hinhalten“ hat das nichts zu tun. Das ist christliche antijüdische Propaganda.

    Genauso wie mit dieser angeblichen Steinigung der Ehebrecherin, die, so wie sie im Evangelien geschildert wird, gegen so viele jüdische Vorschriften verstösst, dass man die kaum aufzählen kann. Und dennoch denken immer noch viele Christen, dass es so im Judentum war und wie viel besser und gerechter doch das Christentum ist.

    Und das ist bisher nur die Theorie. Zählt man die Taten der beiden Religionen, sieht es noch ganz anders aus.

    • Nein, liebe Chey, zu diesem Kommentar habe ich gar keine Einwände. Im Gegenteil. Aber ich würde, was von der einen Seite nicht geschehen sollte, auch von der anderen Seite nicht als Polemik hingestellt werden. Wenn man sich christlich-jüdisch verstehen soll, muss auf beiden Seiten abgerüstet werden. Grobe Vereinfacherer gibt es auf allen Seiten.

      • Ich denke, die Diffamierung und insbesondere Verfolgung war zwischen Christen und Juden nicht so gleich wie du es hier darstellt.

        Sollen Juden „abrüsten“ und christlichen Antisemitismus nicht mehr benennen?

        Du setzt hier Täter mit Opfern gleich.

        • Antwort an Chey:

          Liebe Chey: Keinesfalls. Ich bin keinesfalls ein Vertreter eines biblischen Antisemitismus. Wer gut informiert ist weiss – und gehört auch einer großen christlichen Mehrheit an – die über alle Konfessionsgrenzen hinweg bekennt: „GOTTES WORT IST IMMER GOTTESWORT DURCH MENSCHENWORT“! Dies will ausdrücken, dass die christliche Bibel neben vieler anderen Literatur vorallem Glaubens- und Gotteserfahrung weitergibt, aber auch menschliche Meinung und ebenso Vorurteile. Deshalb legen die allermeisten Christen auch die Bibel aus, oder lassen sie auslegen. Sie fiel nicht vom Himmel wie der Koran und wurde nicht von einem Engel überreicht wie das Buch Mormon. Christen könnten mit ihrer Glaubenserfahrung auch eine eigene Bibel schreiben, aber auch diese wäre nicht irrtumsfrei. Dies ist dann so ähnlich wie eine Predigt, auch die wird unvermeidbar menschliche Meinung beinhalten. Ich denke, dass dies auch bei Rabbinern so ist und ebenso anderen Religionsdienern. Ein Apostel Paulus hat ziemlich demütig bekannt, dass wir heute die Wahrheit nur wie in einem dunklen Spiegel erkennen können. Die absolute Wahrheit hat niemand auf Erden: Weder über das Universum, noch über Gott und den Sinn des Leben.

          • Herr Hehner, „es gibt drei Wahrheiten“, sagen sie in Afrika, „meine Wahrheit, deine Wahrheit und die Wahrheit.“ Das ist ein cooler Satz.

  3. Jesus hat uns eine andere Perspektive auf Gott gegeben

    Sicherlich hat der Autor hier sachgerecht verdeutlicht, dass es um eine Art ausgleichene Gerechtigkeit geht, wobei das Übermaß – die Rache – dabei verboten ist. Jesus hat aber, auch als frommer Judeimmer gemeint, das Gesetz Gottes solle zwar erfüllt werden, aber immer gerne und eher aus Liebe zu Gott und nicht gerade eben nur aus präziser Pflichterfüllung. Nach der Bergpredigt zwei Meilen mit jemand zu gehen, der um eine Begleitung für eine Meile bittet, verdeutlicht dies. Oder nicht nur die sympathischen Menschen zu lieben, die wir ohnehin gern haben, sondern jene die uns nicht schmecken und die wir nicht riechen können: Also auch die Feinde. Dass man die nicht wie durch einen Zauberstab von Bösen ins Gute verwandeln kann, versteht sich von selbst. Es geht darum sie vielleicht erst einmal für Gespräche am Gartenzaun zu gewinnen, dann in einem längeren Prozess als Freunde und Freundinnen. Auch die andere Wange hinzuhalten, also Gewalt nicht mit Gewalt in einer endlosen Kette fortzusetzen, ist nicht nur sehr mutiges und antizyklisches Verhalten gegen den Strom unserer Angewohnheiten und Sitten. Sondern verdeutlicht auch ein wenig, daß in Gottes Neuer Welt es kein Fressen und Gefressenwerden weder im Tierreich, noch als Krieg unter den Menschen, geben wird. Die Vergebung hat endet nirgends an einer quantitativen und qualitativen Grenze. So wie dies Gott von uns erwarten, also uns einem solchem Umdenken wenigstens anzunähern, so ist Gott selbst völlig voraussetzungslose Liebe.

    Denn sein Messias als Jesus von Nazareth ist nicht gekommen zu richten, sondern wird auch als Friedefürst wiederkommen. Er ist für die Erlösung aller Menschen gestorben. Insofern wird die ganze Bibel vom Neuen Testament her, also daher von Person und Werk Jesu ausgelegt. Deshalb ist nichts falsch am Ersten Testament, so wie auch an einem Hausfundament nichts falsch ist, aber es kommt noch eine Etage darüber. Dies alles nivelliert allerdings nicht, dass auch das Alte Testament schon eine sehr bedeutende frohe Botschaft enthält. Adam und Eva (also alle Menschen auf Erden) wurden nicht zum Tode bzw. zur Sinnlosigkeit verurteilt, aber wir leben nicht mehr in einer heilen Welt. Wir hatten und werden Grenzen überschreiten, wobei wir unseren geschenkten freien Willen benutzen, nicht im Sinne der Liebe zu handeln. Gott ist anders, er handelt nicht nach dem Prinzip „so du mir, so ich dir“! Das Kreuz von Golgatha erzeugte nicht dass Feuer vom Himmel fiel und Naturkatastrophen sind nicht – wie uns sogar die Noahgeschichte (als eigentliche Überlebensgeschichte mit Gott) erzählen will – dass Gott unsere Unmenschlichkeiten sogar mit einmer göttlichen Unmenschlichkeiten quittierte und alle Kreatur mit Stumpf und Stil ausrotten wollte. (Das haben Naturvölker früher immer geglaubt, nämlich dass sich Götter rächen, die man daher besänftigen muss. Dafür konnten die Indianer in Nordamerika genauso wenig wie die damaligen Menschen in Neuseeland und Australien. Auf der ganzen Welt wird diese Überlebensgeschichte erzählt, die nach wissenschaftlicher Erkenntnis höchstwahrscheinlich auf einen Meteoriteneinschlag vor 12.000 Jahren zurück geht, der eine 12 m hohe weltweite Flugwelle in Gang setzte. Die Indianer haben geschildert, man habe sie schon Stunden vorher gehört.

    Wie sagt die Bibel optimistisch: „In der Liebe ist keine Angst“! Daher: Vor Gott Angst zu haben ist so, wie der Verlorene Sohn vor dem Vater Angst hatte, aber die war unbegründet. Am Ende wird Gott uns umarmen und für unsere irdische Lieblosigkeit wird uns umso mehr unsere Gewissen verurteilen. Auch im Himmel müssen wir uns noch mit jeder Menge Leute versöhnen. Dies entfällt bei solchen Zeitgenossen, die als Eremiten lebten und zwangsläufig niemand verletzt oder lieblos behandelt haben. Denn das Leben ist auch eine Aufgabe. Und die dürfen wir uns bemühen zu erfüllen. Dies besitzt dann nicht die Charakter, uns das Ewige Leben verdienen zu können. Die Liebe und gar die Liebe Gottes ist kosten- und voraussetzungslos. Mein Bemühen ein möglichst guter Christ zu sein hat hoffentlich nur das Motiv der Dankbarkeit gegenüber dem Himmel.

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