Wenn der Wandel zur Norm wird, muss die Kirche sich wieder auf den Weg machen. Nur wohin? Das Evangelium motiviert die Kirche, die Gesellschaft mitzugestalten.
Von Andreas Schlamm
Vor zehn Jahren startete die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland ihre Erprobungsräume. Ihre Einsicht: Die Möglichkeiten für Innovation im bestehenden kirchlichen System sind so gut wie ausgereizt. Ihr Credo: Wir wissen nicht, wie Kirche in Zukunft geht – deshalb müssen wir es herausfinden. Spätestens die Pandemie lehrte uns alle, dass wir die Zukunft nicht mehr allein auf Basis der Erfahrungen der Vergangenheit fortschreiben können. In unserer Welt verlaufen Entwicklungen alles andere als linear: Sie sind sprunghaft, oft nicht kausal, schwer vorhersagbar oder nachvollziehbar. Viele Menschen verunsichert das. Doch wer sich ängstigt oder mit aller Kraft versucht, sich an das Bestehende zu klammern, ist nicht fähig, sich an neue, gewandelte Kontexte anzupassen und kreative Lösungen für die Herausforderungen von heute zu entwickeln. Navigieren in Zeiten der Instabilität setzt die Haltung voraus: Umarme das Neue. Lerne es zu lieben, auch wenn du dafür deine Komfortzone verlassen musst. Doch wie wird man so furchtlos und mutig?
Das Warum klären
Große Systeme wie die Kirche lassen sich schwer zentral steuern. Das wird in Zukunft noch herausfordernder. Deshalb brauchen wir elastische Systeme, die Erschütterungen gut abfedern können. Organisationen, die sich um ihre Zukunftstauglichkeit sorgen, müssen Anreize schaffen, mit deren Hilfe die Selbststeuerungskompetenzen aller Akteure im System gestärkt werden. Jeder ist also herausgefordert, einen inneren Kompass zu entwickeln. Dafür ist grundlegend, das Warum von Kirche neu zu klären. Und ebenso, dass wir Zugang zu unseren Emotionen und Werten finden und uns bewusst mit ihnen auseinandersetzen, um innere Gelassenheit und Klarheit zu entwickeln. Das zahlt ein auf unsere Widerstandskraft, die nötig ist, weil immer weniger nach Plan läuft. Es bedeutet auch, Vertrauen in unsere Intuition zu entwickeln, uns als lebenslang lernende Personen zu begreifen und mit anderen zu kooperieren, anstatt sein eigenes Ding durchzuziehen. Die Apostelgeschichte nennt die ersten Christen „Leute des neuen Weges“. Welche Aufbruchsdynamik könnte in unserer Kirche entstehen, wenn wir danach strebten, wieder eine Bewegung zu werden, die mutig jenseits ausgetretener Pfade im unbekannten Terrain Neues entwickelt! Interessanterweise stoßen wir beim Lesen der Apostelgeschichte auf das, was wir heute Social Entrepreneurship nennen. Die Jerusalemer Urgemeinde setzte ihr Vermögen zugunsten des Gemeinwohls ein. Ihre Witwenversorgung war damals eine soziale Innovation. In einer patriarchalischen Gesellschaft verhinderte die Gemeinde so, dass Frauen, deren Männer verstorben waren, in Armut abrutschten. Sie minimierte Ungleichheit und ermöglichte Witwen, ein menschenwürdiges Leben zu führen. Die Witwenversorgung ist Ausdruck der Überzeugung, dass jeder Mensch von Gott geliebt ist.
„Ich glaube, dass Social Entrepreneurship ein Schlüsselthema der Kirchenentwicklung ist. Kirche und Diakonie tun gut daran, diesem Thema mehr Aufmerksamkeit zu schenken und es beherzt zu fördern.“
Kirche mit Pioniergeist
Die deutsche Übersetzung von Social Entrepreneurship – Sozialunternehmertum – gibt nur unzureichend den unternehmerischen Spirit wieder, der sich im Englischen damit verbindet. Bei Social Entrepreneurship geht es um etwas Pionierhaftes; darum, sich von der Not Anderer oder einer ökologischen Herausforderung berühren zu lassen und auf innovative Weise etwas Neues zu starten; ja auf unternehmerische Weise Lösungen zu entwickeln. Dies impliziert, sich auf fremde Kontexte einzulassen und von ihnen lernen zu wollen. Ich glaube, dass Social Entrepreneurship ein Schlüsselthema der Kirchenentwicklung ist. Kirche und Diakonie tun gut daran, diesem Thema mehr Aufmerksamkeit zu schenken und es beherzt zu fördern.
Das Evangelium motiviert die Kirche, die Gesellschaft mitzugestalten. Ich begegne vielen jungen Menschen, die an einer besseren Welt mitbauen wollen. Sie haben Lust, etwas Neues zu starten, sind aber skeptisch, ob die Kirche ihnen die dafür notwendigen Freiräume wirklich bereit ist zu bieten; ob sie Startup wirklich will und kann. Deshalb sind Programme wie Erprobungsräume so wichtig, denn sie senden die Botschaft: „Pioniere willkommen“! Kann man Social Entrepreneurship lernen? Gewiss ist es eine Frage von Charakter und Durchsetzungskraft. Aber es ist eben auch Handwerk, das erlernbar ist. Zum Beispiel bei der Stiftung Wertestarter. Sie hat bereits rund 300 christlichen Startups im Bildungsbereich geholfen, loszulegen und zu wachsen. Die Stiftung agiert als Gründerzentrum und baute nach und nach ein Ökosystem auf, um Teams, die Ideen mitbringen, so frühzeitig und ganzheitlich wie möglich zu unterstützen – durch konzeptionelle Beratung, gezielte finanzielle Förderung, Coaching und Mentoring, Vernetzung mit anderen Gründern, Learning Communities und Wirkungsmonitoring. Wertestarter verbindet Beten und Businessplan.
„Polylux steht exemplarisch für einen Wandel im Verständnis dessen, was Kirche ist – nicht mehr nur Gemeinde, sondern Netzwerk.“
Von Startups lernen
Ein gefördertes Startup ist Polylux e.V. aus Neubrandenburg, Hoffnungsstifter für Menschen im Plattenbauviertel Datzeberg. Polylux ist inzwischen ein lokal etablierter sozialer Akteur, nicht Teil der verfassten Kirche, doch von seinem Selbstverständnis eine Form von Kirche und auch für die Menschen auf dem Datzeberg erlebte Kirche jenseits konventioneller Formen. Polylux steht exemplarisch für einen Wandel im Verständnis dessen, was Kirche ist – nicht mehr nur Gemeinde, sondern Netzwerk. Manches bei Polylux erinnert an die Anfänge von Kirche in der Apostelgeschichte. Beide Formen von Kirche, Gemeinde und Netzwerk, ergänzen einander. In dem Maße, wie die Kirche als Institution und „religiöser Versorger“ an Zuspruch und Zugänglichkeit verliert, werden Social Entrepreneure wie die von Polylux wichtiger. Sie verstehen das, was sie tun, nicht nur als Profession, sondern geben mehr von sich. Dadurch machen sie einen Unterschied. Polylux wirkt und verändert das Leben von Menschen nachweislich zum Positiven. Ein wichtiges Feld kirchlicher Erneuerung ist der Shift von klassischer Gemeindearbeit zur Sozialraumorientierung. Die Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung 2023 hat gezeigt, dass die Menschen die Kirche eher als sozialer denn als religiöser Akteur suchen. Selbstverständlich brauchen wir beide Flügel, um fliegen zu können. Aber tatsächlich wird die Frage, wie sich kirchliche Arbeit positiv für den Stadtteil, die Nachbarschaft oder das Gemeinwesen auswirkt, meiner Einschätzung nach künftig ein entscheidender Faktor kirchlicher Verbundenheit und Finanzierung sein, denn wir haben zunehmend Mühe, die lebenslange Mitgliedschaft zu plausibilisieren, an der bislang unsere Finanzierung größtenteils hängt. Menschen fragen vermehrt nach Nutzen und wollen wissen, wo und wie ihr Geld wirkt. Je klarer wir das belegen können, desto besser. Wir brauchen Christen, die den Kopf nicht in den Sand stecken, sondern zupacken und sozial unternehmerische Verantwortung übernehmen. Sind Sie dabei?
Andreas Schlamm ist Generalsekretär der Arbeitsgemeinschaft Missionarische Dienste und Referent für missionarische Kirchenentwicklung in der Ev. Arbeitsstelle midi in Berlin (www.mi-di.de). Ihm liegt am Herzen, Vielfalt und Pioniergeist in der Kirche zu fördern.
Dieses Gespräch ist im kirchlichen Ideenmagazin 3E erschienen. 3E ist wie Jesus.de ein Angebot des SCM Bundes-Verlags.
social entrepreneurship ? Ach du meine Güte, was für ein hochgestochenes Gewäsch, wissenschaftlich “ Euphemismus“…als ob es irgendwo um „Menschen “ ginge…..es geht nur darum, vom großen Kuchen des Sozialstaates was abzugreifen, um private Karrieren zu fördern.Ich habe als junger Mensch idealistischund gläubig in der Diakonie gearbeitet….und bedauere jede Stunde, die ich für diesen Heuchlerverein investiert habe.
„Social Entrepreneurship – Erprobungsräume – Umarme das Neue – Polylux – Sozialraumorientierung – Learning Communities und Wirkungsmonitoring“
Noch Fragen? Wer auf diesen Zug nicht aufspringt ist selber schuld, er fährt, aber vermutlich ins spirituelle Nirgendwo, das erinnert an den alten Schlager, da ist auch von einem Zug die Rede, der im Nirwana herumirrt.
Ganz ehrlich, mir tun die braven evangelischen Christen leid, was müssen die alles ertragen? Ist das schon das Leiden, welches den Gläubigen verheißen ist und von dem die Schrift spricht ?
Nochmal Klartext um nicht mißverstanden zu werden, ich finde das nur lächerlich, wie kann man so abgehoben und geistlos daherreden ? Und dann noch unverschämt Bezüge zur Urgemeinde herstellen wollen, ich muss mich selber korrigieren, der Zug fährt voll auf einen Prellbock zu !
Über den Stil des Artikels lässt sich streiten. Geschenkt. Aber haben Sie die Links angesehen? Und wer dahinter steht? Und das alles bügeln Sie pauschal mit „lächerlich“ und „geistlos“ ab? Urteilen Sie so über die sozial-diakonische Arbeit von Polylux? Und was die „wertestarter“ betrifft: Ist Ihnen bewusst, dass dahinter theologisch konservative Personen stehen? Der Gnadauer Präses zum Beispiel? Nicht die Liberalen, die Sie hier immer kritisieren.
Ihnen tun die „braven“ Christen leid, die das „ertragen“ müssen … ja, sie müssen „ertragen“, dass an vielen Stellen aus dem Glauben heraus diakonisch gearbeitet wird – übrigens nicht, ohne „Mission“ zu verleugnen. Oder wissen Sie nicht, in welcher Funktion Andreas Schlamm arbeitet. Ein bisschen weniger Pauschalkritk, etwas mehr informieren? Es ist nicht alles schlecht, was Sie schlechtreden (… bevor sie rückfragen: nein, auch nicht alles gut bei Kirchens).
ok, da komm ich ihnen entgegen, Hintergründe habe ich nicht erforscht, sondern mich nur über den Artikel echauffiert, den ich wahrlich schlimm finde ! Und ich muss zugeben, meine Meinung was die führenden Köpfe der EKD anbelangt ist nicht die Beste ! Kommt aber auch nicht aus dem Nichts, sondern speist sich aus vielen Verlautbarungen die einen „konservativen“ Christen erschaudern lassen !
Es ging nicht um die Links, sondern um den Stil und die Sprache des Artikels, und hier hat der Bruder Stammtischbrider einfach recht.
Nach dem Lesen dieses Artikels ist es aufgrund der komplexen Sprache und eher verwirrenden Inhalte eher unklar, wo man denn nun „dabei“ sein soll …