zeitzeichen

Ortsgemeinde: Alternativlos oder Auslaufmodell?

Wie sieht die Kirche vor Ort künftig aus? Zwei konträre Diskussionsbeiträge über Ressourcen, Gemeinschaft und das Evangelium.

Die Ortsgemeinde habe keine Zukunft, schreibt Uta Pohl-Patalong, Professorin für Praktische Theologie, in einem Artikel für das evangelische Magazin zeitzeichen. Sie sei zu finanz- und personalaufwändig und erreiche zu wenig Menschen. Bereits jetzt komme diese Form von Kirche an ihre Grenzen und die Ressourcen würden immer mehr schwinden.

Diese Form von Kirche basiert laut Pohl-Patalong auf drei Prinzipien: Flächenabdeckung, vielfältige Angebote und persönlicher Kontakt zur Pfarrperson. „Ein solches Netz lässt sich aber nur begrenzt dehnen in größere Gemeinden mit weniger Pfarrpersonen“, schreibt die Theologin. Irgendwann „kippt“ das System und eines der drei Prinzipien müsse aufgegeben werden. Aus diesem Grund erscheint es Pohl-Patalong „alternativlos“, sich von der Ortsgemeinde zu verabschieden.

Um mit weniger Ressourcen mehr Menschen als bisher zu erreichen, sieht Pohl-Patalong nur eine Lösung: An bestimmten Orten bestimmte Zugänge und Kommunikationswege zum Evangelium anbieten, die für bestimmte Menschen attraktiver sind als andere. Dadurch stünden persönliche Kontakte in engerer Beziehung zu den christlichen Inhalten. Pohl-Patalong erhofft sich davon, dass das attraktiver und lebensrelevanter wird, was die Kirche inhaltlich vertritt und gestaltet.

„Fortbestehende geistlich lebendige Ortsgemeinden könnten weiterhin wirksame ‚christliche Leuchttürme‘ im Land sein.“

Jöns-Peter Schmitz

Jöns-Peter Schmitz, Diplom-Kaufmann und Gemeindemitglied in Hamburg, widerspricht Pohl-Patalong. Er würde zwar auch die Flächenabdeckung aufgeben, aber nicht die Ortsgemeinden an sich.“Fortbestehende geistlich lebendige Ortsgemeinden könnten weiterhin wirksame ‚christliche Leuchttürme‘ im Land sein“, schreibt Schmitz. Der gemeinsame Glaube sei das verbindende Element der Gemeinschaft. Deshalb sei es wichtig, was als Inhalt des Evangeliums verkündet werde. „Die […] liberale Theologie weckt aber leider weitgehend keinen Glauben“. Aus diesem Grund brauche es eine theologische Neubesinnung.

Schmitz sieht den Vorteil einer Ortsgemeinde darin, dass dort „Menschen unterschiedlicher Generationen, Berufe, wirtschaftlicher Verhältnisse, Biografien und zum Teil auch Kulturen zusammenkommen, die miteinander als Christen leben und voneinander lernen.“ Schmitz ruft zudem dazu auf, das allgemeine Priestertum aller Gläubigen zu stärken. „Begabte Menschen möchten sich engagieren, wenn sie Wirksamkeit erfahren“, schreibt Schmitz. Dazu brauche es jedoch „Deregulierung, Entbürokratisierung und schlankere Strukturen“. Das Engagement ehrenamtlicher Mitarbeiter würde dann auch die Pfarrer aus ihrer Überlastung befreien.

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8 Kommentare

  1. Zu Joerg:
    Hallo!
    Was sollen die Busse? Ginge statt Busse auch Bullis oder Autos?
    Gruß,
    Peter

    • Jaaa, freieieilich 😂😂😂

      Kann halt kein „ß“ 🤷‍♂️ 😜,

      oder vielleicht mein Beitrag zur Vermeidung sprachlicher, altdeutscher Gewalt?

      VERMEIDET also auch: äöüß und VERWENDET NICHT die Tastaturen alter, weisser, Hetero-Deutscher!

      OK? my precioussssssss

  2. Es gibt (nicht ganz) einfache Möglichkeiten

    Was Joerg da schreibt kann man eher ironisch verstehen. Allerdings kann auch niemand einfach den Befehl ausgeben zu Umkehr, Buße und Erweckung. Der Geist weht immer noch wo er will und vielleicht möchte er lieber dort wehen wo wir ihnen ungern vermuten oder sogar kritisieren. Die Lösungen gegen den Traditionsabbruch, beim Verschwinden der Kerngemeinden in den Großstädten und der Schlaf der Christenheit in falscher Sicherheit sind einfach verständlich, setzen aber auch den Willen zur unbedingten Veränderung voraus:

    Wir können überall sinnvolle Einsparungen durchführen, aber nicht bei Kernkompetenzen. Wer Prediger, Pfarrer*’innen, Diakone, Priester usw. einspart, spart Kernkompetenz ein und auch die fachliche Qualität (der Theologie). Wenn es aber immer weniger Menschen gibt, die hauptamtlich überhaupt zur Verfügung ständen, dann muss Kirche auch in dieser Hinsicht attraktiver werden. Sie wird attraktiver ohne ihren überdehnten Wasserkopf der Bürokratie, was auch wesentlich billiger sein wird mit weniger Hierarchie und indem man allerdings auch die Kirche im Dorf lässt. Dagegen Megagemeinden zu bilden aufgrund von Mangel an Theologen geht an den ganz normalen Bedürfnissen der Menschen vorbei, in einer überschaubaren und vorhandenen Gemeinschaft von Christinnen und Christen zu leben. Die Jesuiten haben in Deutschland schon in den 1970er Jahren regelrecht prophezeit, es könne eine Zeit kommen der vielen kleinen Gruppen von Menschen, die ihren Glauben zumeist ökumenisch und nach außen offen für jede/jeden exemplarisch leben. Dies dürfte nicht morgen, aber übermorgen relevant sein. Die informelle Form von Gemeinde und Kirche ist wichtiger als diese in Form von Institution. Informell wäre dies in geistlich-theologischer Sprache die Gemeinschaft der Menschen, die Netzwerke bilden, damit niemand auf dem harten Boden der Existenz aufschlägt. Denn dort wo viele Kerzen brennen, wo das Licht der Welt scheint, da kommt man lieber hin und arbeitet auch gerne mit. Leider müssen sich die Kirchen heute vielfach in ihren Gremien fast ausschließlich mit Verwaltung, Finanzen, Bauen und Personal beschäftigen – für gewählte Mitglieder in Gremien eher eine Arbeit in einem Verwaltungsrat. Kirche in allen Konfessionen sollte ökumenischer und demokratischer sein und jede/r muss ein Amt bekleiden können. Jesus und die Urgemeinde waren der Überzeugung, dass christliche Autorität darin besteht, der Gemeinschaft zu dienen, statt Macht auszuüben.

    • Nun, wenn die Mitgliederentwicklung so weiter geht, muss man sich über Megagemeinden wohl keine Sorgen machen.

      Zentrale Gemeinde und weite Wege sind vielleicht für EKD’ler und röm. Katholiken sehr ungewöhnlich, bei anderen christlichen Glaubensgemeinschaften hingegen völlig normal. Es gibt z.B, nicht überall eine altkatholische Gemeinde. Altkatholiken fahren dann eben etwas zu zentralen Gemeinden. Das trifft auch auf andere kleinere Gemeinschaften zu.

      Normalerweise bin ich eher entgegengesetzter Meinung wie Jörg. Aber hat er nicht hier Recht? Waren die Jünger und Apostel verbeamtet? Mit fester guter Besoldung und beschäftigt in einer Körperschaft öffentlichen Rechts. Und Ihrer Pension sicher?

      War es ein Beruf oder eine Berufung? Nun wirst Du sagen, dass sich das doch nicht ausschließt. Stimmt, aber es bedingt sich auch nicht zwingend. Wie häufig ist es denn nur noch Beruf bei den Hauptamtlichen?

      Und das vom Bodenpersonal bis in höchste Ämter.

      • Es geht um was anderes

        Lieber „Der Andere Jörg“: Es geht mir bei der Kritik an den Megagemeinden n i c h t um die weiten Wege, um zu der Gemeinde zu gelangen. Megagemeinden schaffen zusätzliche Doppelstrukturen. Da gibt es dann gewissermaßen die Führungsebene und noch vor Ort Ortsausschüsse. Die dienen dem Sitzfleisch bei Besprechungen. Das wichtigste Argument ist, dass Megagemeinden nicht einem Soziogramm entsprechen (würden), wäre man informiert welche Menschen und Gruppen zwischen zusammengewürfelten Gemeinden überhaupt Beziehungen zueinander pflegen (können). In einer oft gefühlten gewissen Heimatlosigkeit mit oder ohne Kirche kann man die auch noch größer werden lassen, wenn man die Masse Mensch die zur Gemeinde (theoretisch) gehört, auch noch weiter anschwellen lässt. Ich befürchte auch dass in Megagemeinden-Landschaften die Leute – wenn sie überhaupt ein wirkliches Interesse haben an einer geistlichen Gemeinschaft – dann lieber ins Internet abtauchen und gerne schöne Gottesdienst dort genießen. Nichts gegen diese teils wunderbaren Angebote, sogar mit Selbstbeteiligungsmöglichkeiten, aber Gemeinde ist vor allem die leibhaftige Anwesenheit nicht ferner Nächster, die ihr Leben gerne ein wenig teilen würden. Heute würde man sagen, die Netzwerke brauchen. Konservativ formuliert, die den Leib Christi lieben. Noch zu Beruf oder Berufung: Ich bin da gerne bereit, hier auch (gedanklich) den Balken aus meinem Auge zu ziehen. Sich berufen zu fühlen ist das eine. Aber es gibt auch den Pfarrer, den ich immer noch im Auge habe, der die Gemeinde spaltete und alles auch dazu beitrug und sich auch noch dazu berufen fühlte. Ich bin da vorsichtig. Der Grat zwischen Beruf und Berufung ist sehr schmal und messerscharf. Aber auch ein Berufener, wenn er es auch ist, sollte nicht arbeitssüchtig sein und dann nie ein Privatmensch. Das hält nämlich niemand aus. Politiker der oberen Ränge arbeiten schon in der Regel 16 Stunden am Tag – Menschen mit einer geistlichen Aufgabe könnten dabei aber ausbrennen.

  3. Es geht nicht ums Geld. Es geht um Inhalte, um Gemeinsamkeit und um den Glauben im Evangelium. Das kann in vielerlei Formen geschehen, Die Ortsgemeinde gehört ganz sicher auch dazu. Sicher nicht flächendeckend und nicht überall. Es ist nicht wirklich zielführend, dies oder jenes zu postulieren. Es ist Aufgabe von Kirchenleitungen, Entwicklungen zu ermöglichen und nicht zu hindern, also umsichtig handeln. „Führen“ gehört auch dazu. Das ist gut reformatorisch.

  4. Vielleicht sollte man die ev. Kirche einfach wie einen grossen Verein ueber die Finanzen reformieren?
    1) Alle Kirchenmitarbeiter bekommen (nur) den Mindestlohn (zZ 2080€/m in D) mit Zuschlaegen (Spenden) von den oertlichen Schaefchen (gedeckelt auf doppelten Mindestlohn, zZ 4160€/m = leicht ueber dem Durchschnittsgehalt in D)
    2) Alle Leute, die nicht dazu beitragen (koennen), um eine breitere Unterstuetzung zu generieren, wandern mit der Zeit in andere Berufe ab
    3) so verschwinden mit der Zeit alle Ortsgemeinden, bei denen nicht Christus Herr der Geldbeutel der Schaefchen ist 😜
    4) wie bei jedem Verein, der in hoehere/weitere Hierarchie-Stufen eingebunden ist, muss ein kleiner Anteil (10-15%?) fuer die „Verbandsarbeit“ abgegeben werden (Overhead). Alle „Hoeheren-Verbandsarbeiter“ werden von allen Ortsgemeinde-Vorstehern regelmaessig gewaehlt/beurteilt.
    5) alle anderen Sachen/Taetigkeiten/Unternehmungen werden als Projekte definiert, die fuer ihre Unterstuetzung deutschlandweit werben und Spenden sammeln duerfen. Beliebte Projekte (zB Mildtaetigkeit) werden so gefoerdert, Projekte ohne (geldwerten) Zuspruch nicht.

    Warum das ganze ein sehr unwahrscheinlicher Weg ist? Weil die Personen an den Schaltstellen nicht die Einsicht, den Anstand und den Mut haetten, das anzugehen? (Wer saegt schon am eigenen Stuhl?)

    Vielleicht am Wahrscheinlichsten: Weiterwurschteln wie bisher (Assets liquidieren, Sparen per Rasenmaeher-Methode), der Bankrott kommt erst langsam, dann ploetzlich!

    Vernunft kehrt um. Verblendung zerschellt. Was was ist, sieht man erst hinterher … 🤷‍

    Alternativ: Umkehr, Busse, Erweckung?!

    LG Joerg

  5. > Diese Form von Kirche basiert laut Pohl-Patalong auf drei Prinzipien: Flächenabdeckung, vielfältige Angebote und persönlicher Kontakt zur Pfarrperson. „Ein solches Netz lässt sich aber nur begrenzt dehnen in größere Gemeinden mit weniger Pfarrpersonen“, schreibt die Theologin. Irgendwann „kippt“ das System und eines der drei Prinzipien müsse aufgegeben werden.

    Ich würde sagen, vielerorts sind davon bereits 2 Prinzipien gekippt: vielfältige Angebote und persönlicher Kontakt.

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