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„Man kann den Koran nicht mit der Bibel vergleichen“

Der Theologe und Islamwissenschaftler Yasin Adigüzel ist christlich und muslimisch zugleich aufgewachsen, bevor er bewusster Christ wurde. Im Gespräch erzählt er von Gemeinsamkeiten und Unterschieden der beiden heiligen Bücher – biografisch und theologisch.

Von Lydia Rieß

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Du bist mit zwei verschiedenen Glaubensrichtungen aufgewachsen: Dein Vater ist Muslim, deine Mutter Christin. Wie hat das deinen Alltag bestimmt?
Yasin Adigüzel: Meine Eltern haben sich früh darauf geeinigt, uns in der großen Schnittmenge zwischen Islam und Christentum großzuziehen. Wir haben also auch von Jesus gehört. Wir haben ihn allerdings nicht als Sohn Gottes, sondern nur als Propheten kennengelernt. Wenn wir zusammen gebetet haben, dann haben wir einfach zu Gott gebetet.

Kamst du in deinem Leben irgendwann an den Punkt, dass du dich für eine der beiden Seiten entscheiden musstest?
Ich hatte das Gefühl, dass ich mich auf die Suche machen musste, um eine Wahrheit für mich zu erkennen und zu ergreifen. Für mich kam dieser Punkt, als ich ungefähr 15 war. Da bin ich zum ersten Mal von einem Freund in den Jugendkreis einer Freien evangelischen Gemeinde eingeladen worden. Für meinen Vater war das nicht leicht und er hat das Gespräch mit mir gesucht. Da habe ich zum ersten Mal verstanden: Es gibt einen Unterschied. In der Folge habe ich angefangen, mich ganz intensiv mit Glaubensthemen auseinanderzusetzen. Ich habe Bibel und Koran gelesen. Ich bin in den christlichen Jugendkreis gegangen, aber auch zur muslimischen Jugendarbeit. Ich habe Gespräche geführt mit dem Imam in unserer Ortsmoschee und mit dem Jugendkreisleiter in der Freien evangelischen Gemeinde.

„Ich bin mir bewusst, dass Gott mit keiner unserer menschlichen Ausdrucksweisen ganz zu fassen ist.“

Hast du damals zum ersten Mal die Bibel und den Koran gelesen?
Nein, als Kinder haben wir Geschichten aus der Kinderbibel gehört, sowas gab’s bei uns zu Hause. Mit dem Koran jedoch bin ich vorher kaum in Berührung gekommen. Bei uns hingen manche Koranverse und auch Bibelverse an den Wänden. Aber wir hatten keinen Kinder-Koran – so etwas ist erst vor etwas mehr als zehn Jahren auf dem Markt erschienen.

Inwieweit ist dein Gottesbild von christlicher und von muslimischer Tradition geprägt?
Für mich sind möglicherweise manche Fragestellungen schwieriger als für Menschen, die „nur“ in christlicher Tradition aufgewachsen sind. Ein Beispiel ist die Trinität, die Dreieinigkeit Gottes. Ich bin mir bewusst, dass Gott mit keiner unserer menschlichen Ausdrucksweisen ganz zu fassen ist. In meinem Nachdenken über Gott betone ich, dass Jesus menschgewordener Gott ist. Diese Ausdrucksweise ist mir näher, denn die Einheit und Einzigkeit Gottes wird gewahrt. Wenn ich von Jesus als Sohn Gottes spreche, geht bei manchen Muslimen sofort eine Alarmanlage an, weil sie dann denken: Moment mal, es gibt aber nur einen Gott! Im Dialog mit Muslimen werden wir in der Regel missverstanden, wenn wir ohne weitere Präzisierung von Jesus als dem Sohn Gottes sprechen.

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Bibel und Koran: Das sind der größte Unterschied

Kann man Bibel und Koran eins zu eins miteinander vergleichen?
Davor möchte ich warnen! Denn gerade weil viele Menschen genau dies machen, gibt es unglaublich viele Missverständnisse im interreligiösen Dialog. Für Muslime ist der Koran Gottes
Wort – man könnte sagen: „inlibriertes“ (d.h. buchgewordenes) Wort Gottes, so wie wir an Jesus als inkarniertes (d.h. fleischgewordenes) Wort Gottes glauben. Dadurch ist der Koran bei Muslimen nicht nur in seinem Inhalt, sondern in jedem Pünktchen heilig: „Das hat Gott so gesprochen.“ Für die meisten Christen ist es eher so, dass allein der Inhalt wichtig ist, und wie genau das formuliert ist, das tritt erst mal in den Hintergrund. Als Christen glauben wir, dass Gott sich zunächst einmal in Jesus offenbart, und dass die Bibel davon Zeugnis gibt. Dies ist ein ganz entscheidender Unterschied. Ich müsste also eigentlich den Koran nicht mit der Bibel, sondern mit Jesus vergleichen. Ich persönlich lese die Bibel ganz stark mit dem Gedanken: Da hat jemand etwas über Gottes Offenbarung erzählt. Das heißt, es gibt Raum für menschliche Deutungen und auch Unzulänglichkeiten. Daher ist es nur logisch, dass es zwischen den Evangelien manche Widersprüche gibt, denn ich weiß: Das wurde von Menschen aufgeschrieben, so wie sie es gehört haben oder wie sie sich erinnern. Wenn ich nun die Bibel Wort für Wort neben den Koran Wort für Wort lege, dann gibt es viele Schwierigkeiten.
Für einen Muslim ist auch die kleinste Ungereimtheit im biblischen Text ein Manko, das die Bibel insgesamt unglaubwürdig macht. Er legt intuitiv einen anderen Maßstab an als ein Christ. Erst wenn man sich die unterschiedlichen Schriftverständnisse plausibel gemacht hat, wird ein Austausch über die verschiedenen Glaubensdokumente fruchtbar.

„Ich finde, man kann alles vergleichen, das ist ja nicht verboten. Man muss sich aber auch klarmachen, dass jeder Vergleich hinkt.“

Warum Jesus und Mohammed nicht zu vergleichen sind

Du sagst jetzt, man sollte den Koran nicht mit der Bibel, sondern mit Christus vergleichen. Ist die Vergleichsfigur zu Christus im Islam denn nicht der Prophet Mohammed?
So wird es oft gemacht. Aber der Anspruch, den Mohammed hat, ist ein anderer als der, den Jesus hat. Ich finde, man kann alles vergleichen, das ist ja nicht verboten. Man muss sich aber auch klarmachen, dass jeder Vergleich hinkt. Wenn ich bei dem bleibe, was der Islam lehrt, dann ist Mohammed erst einmal ein Prophet in einer Reihe von vielen Propheten. Dann hat er keine neue Botschaft verkündet oder gar eine neue Religion gegründet, sondern er hat auf Arabisch noch einmal das wiederholt, was die Propheten vor ihm ebenfalls gesagt haben.

Auch nach muslimischem Verständnis?
Ja. Nach muslimischem Verständnis haben alle Propheten immer versucht, zu diesem einen Gott hinzuführen. Schon Adam ist nach muslimischem Glauben der erste Prophet. Der
Koran nennt 25 Propheten beim Namen. 21 oder 22 davon kennen wir aus der Bibel. Allerdings hat Mohammed den Anspruch, der Letzte der Propheten zu sein: „das Siegel der Propheten“.
Jesus seinerseits hat – nach christlicher Auffassung – den Anspruch, eins zu sein mit dem Vater. Natürlich hat er auch eine Botschaft, genau wie ein Prophet, und deswegen gibt es Schnittmengen zwischen seiner Rolle als Erlöser und der als Prophet. Aber seine Mission beschränkt sich nicht auf seine Verkündigung. Er ist für uns gestorben. Diesen Erlösungsfaktor gibt es im Islam nicht.

„Ohne den Vergleich mit dem Koran wäre mir die Radikalität dessen, was Jesus sagt, nicht so klar.“

Was würde dir fehlen, wenn du nur die Bibel kennen würdest, aber nicht den Koran?
Ich habe über die Bibel immer stark in Abgrenzung zu dem nachgedacht, was ich im Koran gelesen habe. Ohne den Vergleich mit dem Koran wäre mir die Radikalität dessen, was Jesus sagt, nicht so klar. Mir würde das nicht so wertvoll werden, weil ich nicht sehen würde: Im Koran gibt es eine Sichtweise von Jesus, die der biblischen zunächst ähnlich scheint, aber nur den halben Weg mitgeht.

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Und umgekehrt – was würde dir fehlen, wenn du nur den Koran kennen würdest, aber nicht die Bibel?
Dann wäre ich vom Koran vermutlich begeisterter, denn die Sachen, die ich im Koran schön finde, kommen ja letztlich aus der Bibel. Diese Erkenntnis ist mir irgendwann mal wichtig geworden. Ich habe lange mit mir gerungen und gesagt: Im Koran stehen schöne Sachen und auch in der Bibel stehen schöne Sachen. Aber wenn ich all das aus dem Koran wegnehmen würde, was letztendlich aus der Bibel kommt – bliebe da eigentlich irgendwas, was da neu positiv hinzugekommen ist, über die Bibel hinaus? Und dann habe ich gesehen: Die Dinge, die im Koran hinzukamen und die sich nicht aus der Bibel herleiten, sind gerade die Sachen, die ich nicht so gut am Koran fand.

Warum Christen auch mal den Koran und Muslime auch die Bibel gelesen haben sollten

steht in Teil II des Interviews.


Dieser Artikel ist zuerst in der Zeitschrift Faszination Bibel erschienen, die wie Jesus.de zum SCM Bundes-Verlag gehört.

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