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Depressiver Ehemann: „Ich bin seine Frau, nicht seine Therapeutin“

Der Mann ist depressiv. Viele fragen, wie es ihm geht. Aber wer fragt, wie es der Ehefrau damit geht? Ein Erfahrungsbericht.

Von Eva Hartmann-Kunz

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Und wie geht es eigentlich dir? Diese ehrliche Frage hat mich überrascht und von Herzen gutgetan. Mein Mann ist seit Monaten krankgeschrieben mit einer Depression.

Viele haben nachgefragt, wie es ihm geht. Einige haben nicht oder nicht mehr nachgefragt. Und eine liebe Freundin ist treu drangeblieben und hat sich auch immer wieder erkundigt, wie es mir in alledem geht.

Es geht kaum vorwärts

Langsam setzt es mir zu. Es geht kaum vorwärts, immer wieder auch Rückschritte. Das Tempo, zurück in den Alltag zu finden, verlangsamt sich. Die Anzeichen der Depression kamen langsam, Schritt für Schritt.

Eine Depression ist nicht wie eine Grippe plötzlich da. Und sie geht noch viel, viel langsamer vorbei. Einige Anzeichen habe ich aus dem Moment heraus nicht als die einer Depression gedeutet. Wer mäht den Rasen? Wann laden wir wieder einmal Gäste zum Essen ein? Warum führen Diskussionen am Esstisch zum ewig gleichen Verlauf mit einem schmollenden Ehemann? Weshalb nimmt er so wenig Anteil am Ergehen einer befreundeten Person, die Hilfe braucht?

Verantwortung belastet

Erst in der nach-depressiven Zeit habe ich realisiert, wie sehr Max das wiederkehrende Rasenmähen, die Verantwortung für die Umgebung des Pfarrhauses belastet hat. Erst nach der erlittenen heftigsten Krankheitsphase konnte ich staunend beobachten, wie schnell sein Koffer nach den Ferien ausgepackt war.

Aber Besuch einzuladen, hat ihn noch lange gestresst. Max musste lernen, auch mal nach zwei Stunden am Esstisch zu sagen, dass er jetzt eine Pause und Ruhe braucht. Und zu realisieren, dass die Welt dabei nicht untergeht.

Ehrliches Nachfragen tut gut

Und wie geht es eigentlich dir? Dieses ehrliche Nachfragen tat mir wohl. Denn: Ich gebe offenbar nach außen immer wieder das Signal ab, alle Herausforderungen problemlos zu meistern.

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Gott sei Dank bin ich ein sehr positiv denkender Mensch mit großer Geduld und Ausdauer. Ich habe ein sehr behütetes Zuhause erlebt, viel Urvertrauen – als ungeplant Jüngstes von fünf Kindern – ein unbeschwertes Eingebundensein in eine Familie und in ein Dorf. Insgesamt: viel Wohlwollen, keine massiven Einbrüche oder Krisen.

Veränderung ist möglich

Ich wusste mich von Anfang an getragen und geliebt. Zwar waren Depressionen zeitlebens ein Thema bei meiner Mutter und ich wusste auch um ihre happige Kindheit mit einem Alkoholiker als Vater. Aber ihr war immer wichtig, dass Veränderung möglich ist, Muster durchbrochen werden können und der christliche Glaube trägt und zum Handeln befähigt.

Mich hat die Lebensgeschichte meines Mannes sehr betroffen, traurig und über gewisse Strecken auch wütend gemacht. Andererseits prägt ihn ein großes Vertrauen in Gott und ein starker Wille. Genau diese beiden Prägungen machten mich immer wieder zuversichtlich, diese Depression gemeinsam durchstehen zu können.

Glaube trägt

Mit Gottes Hilfe schaffen wir das – dieser Glaube hat mich durch all die schwierigen und herausfordernden Monate getragen. Vor der totalen Verzweiflung, nicht mehr leben zu wollen, wurde Max verschont. Das ist für mich eindeutig ein Geschenk Gottes. Es hätte auch anders sein können.

Durch einige herausfordernde Situationen im Pfarramt und die depressiven Phasen unserer älteren Tochter hatten wir schon vieles „gemeistert“, durchgestanden, konnten uns aufeinander verlassen, uns ergänzen und erleben, wie Krisen auch wieder vorbeigehen.

Wichtig war mir, dass die Krankheit meines Mannes nicht alles in meinem Alltag umkrempelt.

Hilfreich war sicher auch, von etlichen Menschen in unserer Umgebung und im Freundeskreis zu wissen, dass Depressionen auftreten können und dürfen, aber danach auch wieder leichtere Zeiten kommen. Natürlich sind das eigene Durchleben und Durchstehen dann nochmals etwas ganz anderes. Ich „kannte“ eine Geburt ja auch nur vom Hörensagen und verstand dann erst nachher, was Wehen wirklich sind.

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Wichtig war mir, dass die Krankheit meines Mannes nicht alles in meinem Alltag umkrempelt. Ich bin seine Frau, nicht seine Therapeutin. So wünschte ich mir, dass mein Mann während der Zeit, in der er ganz krankgeschrieben war, unter der Woche jeweils einige Tage auswärts wohnen kann.

Eigenes Leben nicht aufgeben

Bei uns zu Hause gingen viele Kinder zur Tagesbetreuung ein und aus. Ich arbeitete seit Jahren auch einen ganzen Tag auswärts und das Leben der Kirchgemeinde fand weiterhin statt. Dies wollte ich nicht aufgeben.

Was ist möglich, was nicht? Dies einzuschätzen war stets neu eine große Herausforderung. Irgendwie versuchte ich zuversichtlich zu sein und meinen Mann zu ermutigen, wieder etwas zu wagen. Aber dann sitze ich im Zimmer in einer fremden Stadt und der depressive Mann muss sich nach der Reise völlig erschöpft ausruhen.

Spontan planen

Stunden später kämpfe ich mich mit ihm lustlos zu einem nahen Restaurant durch, um zu essen. Danach gehen wir auf dem kürzesten Weg wieder zurück zur Unterkunft. Da wäre es ehrlicher gewesen, das Weekend gleich abzusagen und in der vertrauten Umgebung zu bleiben.

Ab und zu planten wir trotzdem einen Theater- oder Comedyabend zu zweit, ließen es aber offen, wer mich begleitet. War es dann Max zu viel, kam eine gute Bekannte oder Freundin spontan mit.

In der ersten Zeit, nachdem Max ganz aus dem Pfarramt ausgestiegen war, habe ich einfach die dadurch entstandene Ruhe, vor allem an Wochenenden, geschätzt. Man musste nicht noch den Sonntagnachmittag mit einem Ausflug verplanen.

Als es meinem Mann wieder bedeutend besser ging, wurde es umso schöner in unserer Beziehung.

Während der Therapie hat mir Max manchmal nur bruchstückhaft erzählt, was zum Thema wurde. Geholfen haben mir über all die Jahre seine Tagebucheinträge. Da war ich dann nahe dran an seinem Herz, seinen Gefühlen und Gedanken. Oft kamen diese Einträge mit einiger Verzögerung zu mir, doch sie kamen an.

Als es meinem Mann wieder bedeutend besser ging, wurde es umso schöner in unserer Beziehung. Ich sagte in dieser Zeit oft, dass ich einen neuen Mann geschenkt bekommen habe: reiselustig, vor allem im Beruf entscheidungsfreudiger, eigenständiger, liebevoller und aufmerksamer, zärtlicher und lustvoller, wertschätzender, spontaner und ein bisschen sozialer …

Schonfrist endet

Doch irgendwo in meinem Hinterkopf war ich mir bewusst, dass die Schonfrist irgendwann ein Ende haben und der Alltag uns einholen würde. Aber die Wucht hat mich dann doch überrascht. Klar, irgendwann war Max zurück, mit Lebenslust und neuen Ideen, kämpferischer denn je.

Genau in diesem Moment kam harsche Kritik. Eben, die Schonfrist war vorbei. Dass soeben aus der Kirche Ausgetretene ihrer Enttäuschung und dem Frust freien Lauf ließen, damit konnten wir noch umgehen. Dass aber Vertraute hinterfragten, was unsere Arbeit in den fast dreißig Jahren denn geprägt habe, hat mich fast umgehauen.

Hart gelandet

Da waren wir also, hart gelandet auf dem Boden des realen Lebens. Diese geballte Ladung – im Nachhinein konnten wir es dann einordnen und erkennen, dass es offenbar weniger eine große Kritik an uns war, als vielmehr eine Frage an sie selbst.

Und jede und jeder versucht so eine Krise eines Freundes oder Vertrauten zu deuten und für sich einzuordnen. Dabei meint sie oder er dann oft, dem anderen einen Rat geben zu müssen, auch ungefragt.

Weggefährten verabschieden sich

So gesehen war es eine Zeit der Klärung. Wie nach einem heftigen Gewitter, wenn die dunklen Wolken abgezogen sind und die Sonne alles ausleuchtet.

Weggefährten verabschiedeten sich endgültig, entschieden, die Gemeinde zu verlassen. Vieles, was wir über die Jahre ausgestanden und zu vermitteln versucht hatten, wurde dann hinterfragt. Wir waren ja noch da …

Ich bin dankbar, dass wir von allem Anfang an sehr offen und transparent mit der Erkrankung von Max umgegangen sind. Ich weiß, dass es einigen zu persönlich war und zu viel, zu offen und zu nah.

[…] unzählige Male haben mir Menschen ihre eigene Geschichte erzählt, ihre Erfahrungen und Verletzungen, auch weil Max so offen zu seinen Verletzungen stand und steht.

Nicht schon wieder, werden einige gedacht haben, wenn Max darauf in einer Predigt zu sprechen kam. Andere aber haben sich in genau diesem Moment zutiefst verstanden und aufgehoben gewusst, vielleicht auch ermutigt, dranzubleiben.

Mit diesem Weg haben wir gute Erfahrungen gemacht, und unzählige Male haben mir Menschen ihre eigene Geschichte erzählt, ihre Erfahrungen und Verletzungen, auch weil Max so offen zu seinen Verletzungen stand und steht. Das macht mich zutiefst dankbar und mutig, weiterzugehen. An der Seite von Max und getragen von Gott.

Eva Hartmann-Kunz ist verheiratet mit dem Schweizer Pfarrer Max Hartmann. Hartmann hat die Geschichte seiner Depression in seinem Buch „Zurück zum Leben“ veröffentlicht.


ISBN 978-3-906959-50-4

Dieser Artikel ist ein Auszug aus dem Buch „Zurück zum Leben – Die Geschichte meiner Depression“ von Max Hartmann. „Zurück zum Leben“ ist beim Verlag MOSAICSTONES erschienen.

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