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Diagnose Krebs: Was bleibt vom Leben?

Mit 32 Jahren erkrankt Musiker Benjamin Gail an Krebs. Hier erzählt er, wie diese Erfahrung seinen Blick auf das Leben und den Glauben verändert hat.

Hallo Benjamin, du bist jetzt 41. Wie ist es, in der Mitte seines Lebens angekommen zu sein? Welche Gedanken gehen dir durch den Kopf?

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Benjamin Gail: Was habe ich bis jetzt im Leben erreicht? Welche Ziele hatte ich vielleicht mal? Damit einher geht eine Ambivalenz. Ich bin total froh über das Erreichte, aber ich habe auch im Blick, welche Chancen ich ausgelassen habe und welche Dinge mir nicht geglückt sind. Andererseits richte ich meinen Blick nach vorne, um ein neues Kapitel aufzuschlagen und die nächste Geschichte zu schreiben.

Hattest du eine Midlife-Crisis?

Es war auf jeden Fall keine Existenzkrise. Krisenhaft daran war vielleicht eher die Art und Weise, wie ich mich diesen existenziellen Fragen hingegeben habe. Ein sehr intensives „Wo stehe ich und wo möchte ich hin?“

Das hat was mit meinem Kopf gemacht, zu wissen, dass mir nicht mehr alle Möglichkeiten offenstehen. Da habe ich auch bewusst entschieden, das möchte ich jetzt aber noch machen, zum Beispiel ein zweites Album rausbringen.

Du hattest in deinem Leben auch schon eine gesundheitliche Grenzerfahrung. Was ist da passiert?

2013 wurde ich mit einer Tumor-Diagnose konfrontiert. Ich habe bei mir körperliche Veränderungen bemerkt und eine Ärztin aufgesucht, die meinen Verdacht leider bestätigen musste. Das war kein gutartiger Tumor. Sie hat mir aber Hoffnung gemacht, dass nach einem Jahr Behandlung wieder alles gut ist.

Glücklicherweise war ich in den Jahren davor in meiner Gemeinde, in meinem Leben und in meiner Beziehung mit Gott auf eine Art und Weise vorangekommen, sodass es mir in dieser Situation nicht komplett den Boden unter den Füßen weggezogen hat.

Was hat dir geholfen?

Ich hatte ein Netzwerk von Menschen um mich herum, die sofort gesagt haben: Du musst jetzt nicht mehr für dich selbst sorgen. Oder: Wenn du nicht mehr beten kannst, wir beten für dich.

Zum anderen konnte ich sagen: Gott, du kennst mich und jede Zelle meines Körpers. Ich vertraue dir. Du weißt, was los ist und was zu tun ist. Diese Zeit hat meinen Glauben nachhaltig geprägt.

Inwiefern?

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Die Krankheitszeit hat meinen Glauben definitiv gestärkt. Ich musste Gott vertrauen, egal wie tief das jetzt auch geht. Das war eine Situation, wo ich keine Kontrolle mehr hatte.

Es hat mich gestärkt zu sehen, wie Gott mich versorgt und mir Menschen schenkt, die mich auffangen. Freundschaften sind intensiver geworden, weil wir diesen Weg gemeinsam gegangen sind.

Fällt es dir jetzt leichter, Gott in schwierigen Situationen zu vertrauen?

Ich glaube schon. Ich kann auf jeden Fall mit einer ganz anderen Überzeugung davon sprechen. Es fällt mir auch leichter, solche steilen Liedzeilen wie „You give and take away“ mit Leuten zu singen und dazu was Persönliches zu sagen.

Hat der Tumor deinen Blick aufs Leben verändert?

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Ja, ich bin bestrebt, jeden Tag als Geschenk zu sehen. Ich weiß nicht, ob es ein Morgen geben wird. Es wird definitiv ein anderes sein. Außerdem hat sich bei mir eine ganz starke Ewigkeitsperspektive bzw. Ewigkeitssehnsucht entwickelt.

Verblassen dadurch menschliche Erfolgsdefinitionen?

Es wäre schön, wenn das bei mir so wäre. Es ist mein Ziel zu erkennen, wozu ich geschaffen bin und wie sehr Gott mich liebt und wie unwesentlich Erfolg und Reichtum und Anerkennung sind. Dann würde es mir gelingen, mit weniger Zweifel und weniger Zaudern und Zagen durchs Leben zu gehen.

Worin findest du Sinn im Leben?

Was mir Bedeutung im Leben gibt, ist mir bewusst zu werden, wie wertvoll ich bin. Gott hat mich nach seinem Ebenbild erschaffen und begabt. Er liebt mich, so wie ich bin.

Es ist gut, wie ich bin, weil Gott mich so ausgedacht hat. Das gibt mir Zufriedenheit und Klarheit über die Frage, was in meinem Leben bedeutsam ist.

Also den Sinn darin finden, dass Gott mich geschaffen hat? Dieser Umstand als Berechtigung zu sein?

Ja. Ich sehe den Sinn meines Lebens darin, dass es kein Zufall ist, dass ich bin.

Wie drückt sich deine Leidenschaft für das Leben aus?

In dem Verständnis, dass jeder Tag, den ich erleben darf, ein Geschenk ist. Ich versuche das Leben zu genießen und das Leben zu leben, was mich erfüllt. Ich versuche das Leben mitzugestalten und für Menschen in meinem Umfeld lebenswert zu machen.

„Mit der Endlichkeit des Lebens vor Augen will ich mich um das Leben bemühen.“

Das kann im Zwischenmenschlichen sein. Oder in der Gemeinde, in der Stadt, in der Gesellschaft. Mit der Endlichkeit des Lebens vor Augen will ich mich um das Leben bemühen.

Was war das Highlight deines bisherigen Lebens?

Für mich sind die kleinen, alltäglichen Dinge die Highlights meines Lebens. Wenn ich mit Menschen musiziere und ihnen einen guten Workshop, eine gute Chorprobe oder einen guten Gottesdienst bereite. Wenn wir am Ende alle erleben, dass Gott das Seine dazugegeben hat und wir erfüllt nach Hause gehen dürfen, ist das ein Highlight für mich.

Dein Song „Where I come from“ aus deinem neuen Album „Leave a Legacy“ ist inspiriert durch deinen früh verstorbenen Großvater. Warum?

Ich bin eines Tages ins Studio gekommen und mein Produzent Arne Kopfermann zeigte mir die Songs, an denen er die letzten Tage mit anderen Kollegen gearbeitet hatte. Ich höre dieses Harmonium und bin völlig getriggert davon. Plötzlich habe ich wieder den Pfeifentabak im Arbeitszimmer meines Großvaters gerochen, der gestorben ist, als ich zwei Jahre alt war.

„Wenn andere Leute mir erzählen, was sie alles schönes mit ihrem Opa erlebt haben, denke ich mir: Das hätte ich auch gerne gehabt.“

Dieser Moment hat offengelegt, dass da etwas ist, was ich in meinem Leben vermisse – eine unerfüllte Sehnsucht. Ich kenne meinen Großvater nur vom Hörensagen, aber das, was ich über sein Leben, seine Begabung, seine Berufung und seine Berufe weiß, weist viele Parallelen zu meinem Leben auf.

Welche?

Er war erst Bäcker und ist dann Gemeindepfarrer geworden. Für mich war als Kind immer klar, wenn ich ein Handwerk lerne, dann Bäcker. Und heute bin ich Chorleiter. Es interessiert mich, was er mir mitgegeben hätte.

Wenn andere Leute mir erzählen, was sie alles Schönes mit ihrem Opa erlebt haben, denke ich mir: Das hätte ich auch gerne gehabt.

Du bist Single. Ist es ein Wunsch von dir, eine Familie zu gründen?

Das Thema ist permanent da, definitiv. Allerdings denke ich weniger über Familiengründung und mehr über Partnerschaft nach. Dinge immer alleine bewerkstelligen zu müssen und sie nicht teilen zu können, bringt eine gewisse Schwere mit sich.

In Gemeinden bekommt das Thema Familie viel Aufmerksamkeit. Wie ist es für dich als Single im christlichen Kontext?

In den letzten Jahren hat Gott geschenkt, dass ich in meiner Gemeinde, aber eben auch in einer „Familie“ meinen Platz gefunden habe. Liebe Freunde haben mich komplett mit reingenommen und haben ihre Haustür für mich aufgemacht.

„Wenn es mal nicht cool ist, wieder alleine zu sein, tut es gut zu wissen, dass Gott mich mit guten Freunden versorgt.“

Ich darf da immer sein und kann kommen und gehen, wann ich möchte. Das hat sich mit meiner Tumordiagnose noch mal intensiviert. Ich durfte erleben, dass mir einfach der Haustürschlüssel in die Hand gedrückt wurde.

Wenn es mal nicht cool ist, wieder alleine mit mir selbst zu sein, tut es gut zu wissen, dass Gott mich mit guten Freunden versorgt. Ich kenne die Schwere des Singleseins. Auf der anderen Seite erlebe ich immer wieder Fürsorge und ein Gesehen sein meiner Bedürfnisse von Gott. Er versorgt mich.

Welches Vermächtnis möchtest du der Welt hinterlassen? Was bleibt?

Ich möchte als Musiker und Chorleiter den Menschen Songs mitgeben, die sie über den Tag und durch die nächste Woche begleiten. Im Nachdenken und Nachspüren darüber werden sie dadurch hoffentlich in ihrer Beziehung mit Gott oder mit anderen Menschen geprägt. Das ist etwas, was ich nicht selber machen kann. Aber das wird bleiben, weil es die Leute verändert.

Vielen Dank für das Gespräch!

Die Fragen stellte Pascal Alius.

Benjamin Gail arbeitet als Musiker und Chorleiter. Vor kurzem ist sein neues Album “Leave A Legacy” erschienen. Auf seiner Webseite findest du mehr Informationen dazu.

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