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In der JVA Dresden: „Wo mein Schal ist, da ist auch mein Herz“

Ihren Namen kenne ich nicht. Gerade eben habe ich ihr noch einmal gewunken. Dann war Einschluss. Zweimal klackte der Schlüssel im Schloss. Ich ging zurück zum Bus.

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 Nach mehr als drei Stunden in einer kleinen, in sich abgeschlossenen Welt holte ich bei den Beamten meinen Pass und meinen Rucksack. Ich drehte mich nicht um, als ich in den Bus und später in die Bahn stieg. Am Carolaplatz verließ ich die Bahn, ging über die Brücke, genoss das Panorama der Elbe und der Stadt. Ruhig war es in mir und nur langsam nahm ich die Bewegungen um mich herum wahr. Die Farben drangen wieder in den Vordergrund: Das Pink der Fahnen, das Grün der Kirchentagsschal.

 Als ich gegen Mittag die Bahn in die andere Richtung, nämlich der JVA im Hammerweg nahm, hatte auch ich einen grünen Schal. Einmal locker um den Hals geschlungen und mit einem Doppelknoten fixiert. Die beiden Enden fielen über meinen Rucksack. Eine Bratwurst aß ich. „Auf Pappe“ – wie man hier sagt. Senf bestellte ich mir einfach nach. Selbstverständlich wählte ich eine Fanta dazu. Ich bin draußen, in Freiheit. Ich kann gehen wohin ich will und essen wann und wo und wie viel ich will. Ich habe einen Schlüsselbund in der Tasche für mein Auto, mein Schließfach, meine Haustüre und den Eingang zu meinem Arbeitsplatz.

 Die Straße zur JVA scheint endlos weit. Dort angekommen, ist bald der emotionale Ausnahmezustand spürbar. Viele wollen an diesem Nachmittag in die JVA – nicht alle können, das geben die Sicherheitsbestimmungen nicht her. Ein Gerangel geht los. Wer zuerst und sowieso. Rein dürfen schließlich doch (fast) alle. Gespannt geht die Gruppe den Beamten nach. Mehrere Tore und Türe müssen erst durchquert werden, ehe man im Innenhof ist. Die Kirchentagsbesucher werden gebeten, auf dem Rasen zu warten oder dort, am Boden, Platz zu nehmen. Still ist es und aufgeräumt wirkt es. Fast scheint es, als sei hier, inmitten der Justizvollzugsanstalt, tatsächlich so etwas wie ein kleines Stückchen heile Welt…

 Vier Wochen haben die Inhaftierten an den Vorführungen geprobt. Die Frauen tanzen in einer wunderbar ausdrucksstarken Choreographie das Bild einer Zwiebel. Von vielen Schalen ist sie umgeben. Ein nächster Tanz zeigt, wie die Frucht, ein Apfel, verloren wird. Vielleicht soll er für die Unschuld stehen. Dann rennen die Frauen gegen eine der Wände. Kräftig, aber nicht ohne Hoffnung. Immer wieder. Die letzte Nummer, ein Showtanz, spiegelt die Freude. Es mag der Tag der Entlassung sein. Der lang ersehnte Gang in die Freiheit. Laut jubeln die Noch-Gefangenen. Vor Freude springen sie in die Höhe und zeigen, dass die Lust am Leben sie noch lange nicht verlassen hat.

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 Beim anschließenden gemeinsamen Gottesdienst, die Inhaftierten und die Besucher sitzen untereinander gemischt, greift die Pfarrerin das Bild der „Zwiebel“ auf. „Was sind Ihre Schalen?“ fragt sie und: „was schützen sie damit?“ Was also schütze ich, was ist mein Schatz und womit schütze ich das. Auch meine Verletzungen. Das ist die Frage. Die Inhaftierten sind offen. „Wir haben Sehnsucht“, sagen sie. Danach, die schwachen Seiten zeigen zu dürfen und das Vertrauen zu haben, nicht wieder verletzt zu werden. Die Gegenwart müsse man aushalten können, beten sie zu Gott. Für die Zukunft bitten sie. Und um Vergebung für die Opfer und deren Angehörigen. Für die Taten, die nicht mehr rückgängig zu machen seien, die sie aber bereuen (können). „Ich staune, wie viel Lebenskraft in der Zwiebel steckt“, sagt die Pfarrerin. Schneide man die Zwiebel auf, reize sie zu tränen. Tränen würden gut tun. Nur, wo kann man im Gefängnis weinen? Das Grün der Zwiebel sei Ausdruck der Hoffnung. Es wachse dem Himmel entgegen.

 Ich drehe den Kirchentagsschal in meinen Händen und denke über die Farbe Grün nach. Über die Hoffnung, den Mut zu Leben und das immer wieder Neue, das gleichsam gegen „den Himmel“ wächst. Ich zwirbel die Enden meines Schale ineinander. Ich denke an die anderen Farben, ich ich seit dem Kirchentag 1999 in Stuttgart zu Hause gesammelt habe. Jeder hatte bisher seine eigene Coleur seine ganz eigene Prägung und manche der Erinnerungen sind mir bis heute wach geblieben.

 „Ich möchte auch einen Schal haben“, sagt die Frau neben mir. Ich zögere. Frage dann, ob ich den Schal verschenken darf. „Tun sie das einfach“, sagt eine der Bediensteten. Langsam löse ich den Knoten, drehe den Schal einmal um den Kopf herum, hebe ihn hoch, wickle ihn mittig um das Handgelenk und reiche ihn nach links. Die Lippen presse ich aufeinander. Mein Gegenüber strahlt mich an. „Oh Danke!“ sagt sie und freut sich in einer Weise, die ich hinter diesen Mauern nicht vermutet hätte. Ihre Augen leuchten. Ich traue mich nicht, sie zu umarmen. Nur in Gedanken. Beim nächsten Lied schaue ich ihr Gesicht von der Seite an. Den Schal. Viele Gedanken gehen mir durch den Kopf. Heute kann ich diese nicht alle zu Ende denken. Wo mein Schal ist, da ist auch mein Herz. Die junge Frau hat mich mit ihrer Freude und der Offenheit, um etwas zu bitten, reich beschenkt. Lange wird sie mir – und dieser Kirchentag – vermutlich noch in den Gedanken bleiben. Gottes Schutz und die Gebete dieses Nachmittags mögen sie – und all die anderen – begleiten. Gott kennt ihre Namen – und er sieht die Herzen.

(Quelle: jesus.de)

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