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Die eigenen Begrenzungen lieben lernen

Es ist frustrierend, immer wieder an die eigenen Grenzen zu stoßen. Aber: sie sind auch eine befreiende Erinnerung daran, dass Gott die Kontrolle hat – nicht wir.

„Es gibt nichts Neues unter der Sonne. Alles wiederholt sich. Alles ist völlig sinnlos, und ganz egal, wie sehr man sich abmüht, am Ende kommt nichts Bleibendes heraus.“ Wenn mein bester Freund mir sowas sagen würde, würde ich ihn vermutlich beiseitenehmen und fragen, was los ist. Ob er jemanden zum Reden braucht. Oder eine Umarmung.

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Umso seltsamer, dass so etwas gerade in der Bibel steht. In diesem Buch, das uns doch erzählen soll, wie sehr Gott uns liebt, dass unser Leben einen tieferen Sinn hat und wir auf ein gutes Ziel zugehen. Das Buch „Prediger“ beschäftigt sich fast nur mit solchen zynisch anmutenden Fragen. Wozu soll man sich Mühe geben? Es ist doch sowieso alles vergänglich. Wozu etwas Neues versuchen oder entdecken? Alles ist schon mal da gewesen in irgendeiner Form. Wozu Wissen und Weisheit ansammeln? Je mehr ich weiß, desto klarer wird mir, was ich alles NICHT weiß und verstehe. Mit anderen Worten: Das Leben ist eintönig und anstrengend.

Begrenzungen

Aber woher kommt dieses Gefühl, dass alles immer gleich bleibt, obwohl wir so eine riesige Welt zu entdecken haben, obwohl wir uns als Menschheit schon so weit entwickelt haben?

Der Prediger findet Hinweise, mit denen er sich in seinem Fragen näher beschäftigt. Ein paar will ich an dieser Stelle herausgreifen. „Krummes kann nicht gerade werden; was nicht da ist, kannst du nicht zählen.“ (1,15) „Wer viel weiß, hat viel Ärger. Je mehr Erfahrung, desto mehr Enttäuschung.“ (1,18) „Kluge müssen doch genauso sterben wie die Dummen. Und man erinnert sich an die einen nicht länger als an die andern.“ (2,16)

Was den Prediger zur Verzweiflung bringt, ist seine eigene Begrenztheit. Er kann „Krummes“ und Mangel erkennen, aber dauerhafte Lösungen findet er nicht. Wie gut kann ich das nachfühlen. Sei es, dass ich wieder von einem Krieg lese und das Gefühl habe, wir kennen längst alle dahinterstehenden Mechanismen – Machtgier, Ressourcenknappheit, Fremdenhass, religiöser oder ideologischer Fanatismus – und müssten doch inzwischen fähig sein, es besser zu machen. Trotzdem passiert es immer wieder. Oder dass ich zum hundertsten Mal versuche, meinen Alltag in den Griff zu kriegen, und nach einer Woche feststelle, dass ich wieder keinen Sport gemacht habe und die Hälfte meiner To-do-Liste immer noch nicht abgehakt ist.

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Ich weiß auch noch, wie ich vor meinem Theologiestudium gehofft hatte, Gott und die Welt besser verstehen zu lernen. Nur um dann festzustellen, dass mehr Wissen auch mehr Fragen und Problemstellungen aufwirft. Mein Verstand wird nie groß genug sein, um auf alles endgültige, allgemeingültige und befriedigende Antworten zu finden.
Und schließlich komme ich immer an den Punkt, an dem ich erkennen muss: Ich habe mein Schicksal nicht in der Hand. Ob ich Erfolg im Leben habe, hängt nicht nur von mir ab. Wer weiß, wie sich die wirtschaftliche Lage entwickelt? Welche Probleme in meiner Familie entstehen? Ob ich krank werde? Wann ich sterbe?

Komplizierte Langeweile

Letztendlich ist es ein Paradoxon. Die Welt und das Leben erdrücken uns nicht in ihrer Gleichförmigkeit, weil sie zu klein und zu einfach wären, sondern weil sie so groß und komplex sind, dass sie uns überfordern. Es ist wie dieses komplizierte Matheproblem, das uns langweilt und nervt, nicht weil die Lösung so simpel wäre, sondern weil wir immer wieder daran scheitern, die Formel zu knacken. Es ist wie dieses dicke Buch voller hochphilosophischer Gedanken, das wir frustriert zur Seite legen, nicht weil es uninteressant ist, sondern weil die Gedanken uns zu hoch sind und wir immer wieder dieselben Sätze lesen, ohne sie erfassen zu können.

Vielleicht liegt aber gerade hier der Knackpunkt. Gerade dann, wenn wir daran glauben, dass es einen Gott gibt, der uns liebt, der uns einen tieferen Sinn für unser Leben schenkt und uns auf ein gutes Ziel hinführt. Zumindest ich erwische mich immer wieder in demselben Denken, das auch den Prediger gefangen zu nehmen scheint: Ich betrachte mein Leben als eine Ansammlung von Problemen, die ich lösen muss. Als Reihe von Ansprüchen, die ich managen, und Zielen, die ich erreichen muss. Dinge, denen ich niemals gerecht werde, nicht zuletzt deshalb, weil vieles sich meiner Kontrolle entzieht, sei es die Weltwirtschaft, die Politik oder so etwas Simples wie das Wetter. Und so gerate ich immer wieder in dieselben Kreisläufe des Scheiterns.

Am Zaun stehengeblieben

Aber wenn wir glauben, dass Gott uns liebt, glauben wir doch auch, dass er uns Freude wünscht und nicht nur von uns erwartet, Probleme zu erkennen und zu managen. Wenn wir glauben, dass Gott uns Sinn für unser Leben schenken will, dürfen wir doch glauben, dass unsere Taten nicht wirkungslos verpuffen, sondern nachhaltig wirken, selbst da, wo wir es nicht sehen.

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Und wenn wir glauben, dass Gott uns zu einem guten Ziel führt, wird uns klar, dass wir gar nicht alles lösen, verstehen oder managen müssen.

Wer bin ich kleiner Mensch, dass ich die ganze Welt verstehen, verbessern, retten könnte? Und das erwartet auch keiner von mir. Erst recht nicht Gott. Wir als Menschen werden es niemals schaffen, alle Probleme der Welt zu lösen – oder auch nur unser eigenes Leben ganz in den Griff zu bekommen. Das ist ein Gedanke, der wehtut, weil er genau dorthin zielt, wo wir als Menschheit schon ganz am Anfang in Eden gescheitert sind: Wir wollen wie Gott sein. Wir wollen die Kontrolle haben und alles überblicken können. Wir wollen „wissen, was die Welt im Innersten zusammenhält“, wie Goethe es einmal formuliert, und es so formen können, wie es uns gefällt.

Das bedeutet natürlich nicht, dass wir uns nirgends mehr Mühe geben müssen und nur noch sinnlos in den Tag hineinleben sollen. Aber mich entspannt es zu wissen, dass meine Begrenztheit kein Fehler ist, den ich mit aller Macht überwinden muss, sondern ein gewollter Teil von mir. Ich darf meine Grenzen austesten und erweitern. Aber ich darf auch akzeptieren, dass manche Grenzen permanent sind. Und den Raum entdecken, der sich in ihnen auftut, anstatt ständig am „Zaun“ zu stehen und daran zu verzweifeln, dass ich nichts als Maschendraht sehe.

Zum Ziel

Ich glaube, Staunen können wir erst da wieder lernen, wo wir den Wunsch nach Kontrolle in einem gewissen Maß abgeben können. Wo wir anerkennen können, dass letztgültig ein anderer die Welt und unser Leben in der Hand hat, wie es auch der Prediger formuliert: „Es werden viel zu viele Bücher geschrieben und das viele Grübeln kann dich bis zur Erschöpfung ermüden. Fassen wir alles zusammen, so kommen wir zu dem Ergebnis: Nimm Gott ernst und befolge seine Gebote (12,12)!“ Wo wir Gott ernst nehmen, können wir das Leben entspannter angehen – weil wir zwar nicht alles in der Hand haben, aber auch nicht alles in der Hand haben MÜSSEN. Wir dürfen uns stattdessen in die Hand dessen begeben, der uns dazu geschaffen hat, uns über die Welt zu freuen. Und von dort aus dürfen wir staunen. Sowohl über das, was wir im Griff haben, als auch über das, was sich unserer Kontrolle entzieht. Über das, was wir verstehen, und über das, was für uns immer ein Geheimnis bleiben wird.

Denn: Das Ziel unseres Lebens steht bereits fest. Wir müssen es uns nicht erarbeiten, wir müssen es nicht erst machen. Wenn das Ziel feststeht und wir wissen, dass es gut wird, müssen wir nicht ständig versuchen, unser Leben gewaltsam mit Sinn zu füllen, sondern wir können den Weg genießen. Und vielleicht dabei lernen, ganz neu über die kleinen Dinge zu staunen, die für uns zwar nicht immer Sinn ergeben, aber wunderschön sein können.


Diesen Artikel schrieb die Autorin und Theologin Lydia Rieß zuerst für das Magazin DRAN (Ausgabe 03/2021). DRAN ist ein Produkt des SCM Bundes-Verlags, zu dem auch Jesus.de gehört. 

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