Die russische Stadt Samara ist ein Spielort der Fußball-WM. Das Sportfieber lässt für ein paar Tage vergessen, dass dort für viele Menschen soziale Kälte herrscht. Christen kämpfen vor Ort gegen die Not an – mit Unterstützung aus Deutschland.
Von Marcus Mockler (epd)
Vom Fußballsommer ist Samara in diesen Tagen noch durch eine Kältewand getrennt. Tagsüber steigt das Thermometer nur wenig über minus zehn Grad, nachts sinkt es häufig tiefer als minus 20 Grad. Die Obdachlosen der 1,1-Millionen-Einwohner-Stadt suchen sich zum Schlafen einen Platz an einer Fernwärme-Leitung oder in einem Keller der zahllosen Wohnsilos. Dass verarmte Menschen im Winterhalbjahr wenigstens drei Mal die Woche eine warme Mahlzeit erhalten, dafür sorgen lutherische und orthodoxe Christen mit einer gemeinsamen Suppenküche – finanziert von der württembergischen Aktion „Hoffnung für Osteuropa“.
Arbeitslose, Haftentlassene, Kriegsgeschädigte, Behinderte steigen in den tristen Kellerraum hinab, um gratis einen Eintopf, etwas Brot und Reis zu bekommen. Vielen Männern steht die Armut ins Gesicht geschrieben, während die Frauen ihre Not hinter einer Fassade ordentlicher Kleidung und dick aufgetragener Schminke verbergen. Wer pünktlich kommt, nimmt noch am gemeinsamen Tischgebet teil. Wer mit allzu zerschlissener Kleidung erscheint, hat die Chance, aus einer kleinen Kleiderkammer im Nebenraum höherwertigen Ersatz zu bekommen.
Das Suppenküchenprojekt ist für die mächtige russisch-orthodoxe Kirche eher ungewöhnlich. Ihre karitative Arbeit steckt noch in den Kinderschuhen. Die Orthodoxen haben zweieinhalb Jahrzehnte nach dem Zusammenbruch des religionsfeindlichen Kommunismus vor allem das Bedürfnis, durch neue Kirchenbauten überall Präsenz zu zeigen. Mehr als 70 ihrer Gotteshäuser sind nach 1991 in Samara entstanden – der Kampf gegen die Armut muss dahinter zurückstehen.
Gestresste Gesellschaften brauchen diakonische Angebote
Doch das Bewusstsein für den tätigen Dienst der Nächstenliebe wächst auch bei den Orthodoxen. Dafür arbeiten sie gerne mit der lutherischen Gemeinde und deren Pröpstin Olga Temirbulatova zusammen. Dabei musste die evangelische Theologin auch in ihrer 300 Mitglieder zählenden Gemeinde erst Überzeugungsarbeit leisten. Anfangs wollten manche nicht mitmachen, weil sie Angst hatten, sich in der Suppenküche Tuberkulose zu holen, erzählt sie. Inzwischen sei die Bereitschaft, ehrenamtlich Hand anzulegen, aber deutlich gestiegen.
Den Kellerraum haben die christlichen Nothelfer von der Stadt zur Verfügung gestellt bekommen. Der blaugrüne Anstrich platzt an vielen Stellen ab, schwarze Spinnweben hängen an der Decke. Auch wenn der Keller keine heimelige Atmosphäre verbreitet, ist der doch ein deutlicher Fortschritt im Vergleich zur Garagenbox aus Stahl, in der die Suppenküche zuvor stationiert war. An der Kellerwand hängen eine orthodoxe Ikone sowie ein Bild, das Jesus Christus mit seinen Jüngern beim Abendmahl zeigt.
Die Aktion „Hoffnung für Osteuropa“, die vom Diakonischen Werk Württemberg koordiniert wird, unterstützt die Essensausgabe in Samara mit 5.000 Euro im Jahr. Die Ortsgemeinden steuern weitere 800 Euro bei. „Hoffnung für Osteuropa“ begeht in diesem Jahr seine 25. Kampagne. Im vergangenen Jahr unterstützte die Aktion diakonische Projekte in der Slowakei, Serbien, Rumänien, Russland und anderen Staaten mit insgesamt 266.000 Euro.
Koordinator Johannes Flothow hält die Arbeit nach eigenen Worten für „wichtiger denn je“. In Osteuropas „gestressten Gesellschaften“ bedürfe es guter diakonischer Angebote, die den Menschen Entlastung brächten und sie weniger in die Arme autoritärer Bewegungen trieben.
Traditionell wird in württembergischen evangelischen Kirchengemeinden die Kollekte am gut besuchten Karfreitagsgottesdienst für diesen Zweck gegeben. Protestanten in der baden-württembergischen Landeshauptstadt haben gleich doppelten Grund, „Hoffnung für Osteuropa“ zu unterstützen – Samara ist seit 1992 Partnerstadt Stuttgarts.