Chris Orlamünder ist IT-Trainer und Christ. Zwischen 2016 und 2017 rettete der 49-Jährige als Kapitän der Sea-Eye 1 im Mittelmeer etwa 2.000 Menschen das Leben. Aktuell trainiert er in seiner Freizeit Crewmitglieder. Ein Kurzinterview.
Die Fragen stellte Nathanael Ullmann
Wenn Sie das Flüchtlingsthema in den täglichen Nachrichten sehen, was geht Ihnen da durch den Kopf?
Ich finde es als Europäer am schlimmsten, dass sich nach so vielen Jahren Flüchtlingskrise immer noch keine Antwort auf das Problem gefunden hat. Die gesamte Weltgemeinschaft hat noch keine Lösungsansätze. Was wir davon in Deutschland erleben, ist nur ein kleiner Ausschnitt. Das Problem wird nicht kleiner, sondern größer.
Als Seenotretter haben wir versucht, im Kleinen erste Hilfe zu leisten. Aber das ist nur eine erste Hilfe. Wir ringen darum, dass eine Lösung her muss. Es ist jedoch nie eine Lösung, jemanden zur Abschreckung im Wasser sterben zu lassen. Als Christ erst recht nicht.
„Das Engagement ist zum festen Teil meines Glaubens geworden.“
Sie engagieren sich in Ihrer Freizeit. Was motiviert Sie dazu?
Das ist meine persönliche Geschichte. Ich wäre selbst bei einem Eis-Unfall Anfang 20 fast im Wasser ertrunken. Da hat mir keiner geholfen, obwohl Menschen anwesend waren. Ich musste mir selber helfen. Auch mein Bruder wäre im Kleinkindalter beinahe ertrunken. Wenn mein Vater nicht in den See gesprungen und ihn gerettet hätte.
Ich habe mitbekommen habe, dass Menschen im Mittelmeer ertrinken, wo ich selber gerne Urlaub mache. Da dachte ich: Das kann doch nicht sein. Ich hörte von privaten Seenotrettern und machte mit.
Motiviert sie auch der christliche Glaube?
Auf jeden Fall. Auf See habe ich meinen Glauben noch einmal ganz anders erlebt. Das Engagement ist zum festen Teil meines Glaubens geworden. Als Christen sollten wir uns fragen: Was würde Jesus tun? Würde er Menschen ertrinken lassen? Ich finde, viele Christen sind da ziemlich zurückhaltend. Es würde uns guttun, das Thema mal an uns ran zu lassen.
„Die Leute wollen zu uns, das geht uns alle an.“
Vielleicht möchten sich Leser engagieren. Was können sie tun?
Erst einmal können sie sich informieren. Sie können googeln: Was passiert mit den Flüchtlingen? Was machen die Seenotretter? Die Leute wollen zu uns, das geht uns alle an. Anschließend können die Leser sich engagieren: Sie können Nichtregierungsorganisationen unterstützen, entsprechend ihrer Überzeugung wählen und Geld spenden. Aber das Informieren ist erst einmal das Wichtigste, das Thema an sich ran zu lassen.
Die Evangelische Kirche überlegt seit dem Kirchentag, selbst ein Schiff zur Seenotrettung loszuschicken. Eine gute Idee?
Das würde ich unterstützen. Aber ich als Kirche würde mir überlegen: Was kann ich am besten und wo brauche ich Fachleute? Wir selbst haben viel Lehrgeld bezahlen müssen. Und mittlerweile braucht man Berufsschiffe, Seeleute, etc. Die Frage ist: Wie kommt man schnell zu einer Lösung? Lässt sich nicht eher mit einer bestehenden Organisation zusammenarbeiten. Beispielsweise kann die Kirche ein weiteres Schiff organisieren und dann in Partnerschaft mit den Nichtregierungsorganisationen betreiben.
Weitere Infos zu Chris Orlamünder und seinem Engagement gibt es in dieser Focus-Reportage: