Ohne das Kreuz macht Jesu Leben keinen Sinn. Das Kreuz vergibt, stiftet Gemeinschaft und macht Gottes grenzenlose Liebe zu uns Menschen deutlich. Was bedeutet das für uns?
Von Raphael Vach
Jesus, der Prediger der Nächstenliebe, fasziniert bis heute. Er weckt unsere Sympathien, wenn er Kinder auf den Arm nimmt, wenn er Frauen auf Augenhöhe behandelt, wenn er Partei ergreift für die Armen. Sein weiser Umgang mit Sorge und Angst findet Nachahmer, seine Kritik an religiöser und politischer Gängelung von Menschen Zustimmung. Mit diesem Jesus haben Menschen heutzutage wenig Probleme.
Barmherziger Jesus ohne Kreuz?
Ja, einige wären durchaus bereit, Jesus in Verbindung zu bringen mit dem barmherzigen Gott, den er verkündigt. Wenn Jesus im Namen Gottes Kranke heilt und Menschen aus ihren Zwängen befreit, liegt das ganz auf der Linie seiner erlösenden Botschaft. Wenn er Menschen die Vergebung der Sünden zuspricht, passt das in das Bild eines gnädigen Gottes. Dieser Jesus gibt nicht nur ein stimmiges Bild ab – er passt in unser Bild. Wäre da nicht das Ende seiner Geschichte. Wäre da nicht das Kreuz. Wäre da nicht diese unsägliche Botschaft, dass er am Kreuz für uns sterben musste. Das will für viele nicht in den Kopf. Und noch weniger ins Herz.
Ausgerechnet aber auf dieses Teilstück des Lebens Jesu, sein grausames Ende am Kreuz, legen die Glaubensbekenntnisse ihr ganzes Gewicht. Ausgerechnet diesen Tod nennen Christen in einem Atemzug mit der Liebe Gottes. Ausgerechnet dieses Lebensende musste sein, sagen Gläubige. Viele andere dagegen verstehen überhaupt nicht, warum Blut fließen musste, um zu vergeben. Bei Jesus ging es vorher doch auch anders, oder? Hat es etwas mit Liebe zu tun, seinen Sohn opfern zu müssen, um gnädig zu sein? Warum um alles in der Welt musste Jesus das für mich tun? Beim Kreuz steigen viele aus. Weil es ihr Bild von Jesus und seiner rettenden Liebe durchkreuzt. So können und wollen sie nicht an ihn glauben. Ihr Standpunkt ist konsequent.
“In Jesus offenbart sich die Rettung Gottes für die Welt, nicht nur in Teilen seines Lebens.“
Wo dagegen Christen meinen, sie müssten sich vom Kreuz verabschieden, um an Jesus festhalten zu können, machen sie sich etwas vor. Denn Jesus gibt es nur ganz. Sein Blutvergießen am Kreuz als Opfer zur Vergebung der Sünden kann man nicht aus ihm herausschneiden. Christen bekennen: In Jesus offenbart sich die Rettung Gottes für die Welt, nicht nur in Teilen seines Lebens. Warum? Jesus selbst ließ in seiner Verkündigung und seinem Handeln keinen Zweifel. Wer es mit ihm zu tun bekommt, bekommt es mit Gott zu tun. Das gilt auch fürs Kreuz.
Nichts weniger bestätigt das Osterereignis: Gott weckte Jesus von den Toten auf und bekannte sich zu seinem Weg vom Anfang bis zum Ende.
Das Kreuz im Osterlicht
Durch Ostern wurde es möglich, diesen grausamen Kreuzestod anders zu verstehen. Musste man ihn vorher als Scheitern eines Heilsbringers begreifen, war es nun nicht nur möglich, sondern geradezu nötig, auch seinen Tod als Heil zu deuten. Wer an die Auferweckung und Erhöhung Jesu durch Gott glaubte, kam gar nicht drum herum. Das Fazit war klar: Sein Leiden und Sterben spricht keine andere Sprache als sein Leben.
Menschen fragen heute: „Warum musste Jesus am Kreuz sterben, um Menschen von ihrer Sünde zu erlösen?“ Das war aber nicht die Frage der ersten Anhänger Jesu.
“Diese grenzenlose Liebe Gottes hat die Kraft, unseren Unglauben und unser Misstrauen in sie zu überwinden.“
Sie fragten nach Ostern:„Wie zeigt sich auch im Tod Jesu Gottes Erlösung für die Menschen?“ Der Tod Jesu hatte Gottes Erlösung der Menschen durch Jesus für sie in Frage gestellt (Lukas 24,19-21). Durch die Auferstehung musste sein Tod nun aber als Erlösung verstanden werden (Lukas 24,26).
Die Frage „Steht Gott auf Blut?“ mag provokant sein, aber sie ist berechtigt. Wenn Menschen heute darauf verweisen, dass Vergebung auch ohne Opfer und Blutvergießen möglich ist, ist das richtig. Ja, nicht nur das: Es geschieht Tag für Tag so unter Menschen. Wenn Jesus in schockierender Vollmacht vor seinem Kreuzestod (!) Menschen vergibt (Lukas 5,20) oder mit Sündern Gemeinschaft hat (Lukas 15,2), passiert nichts anderes auch zwischen Gott und Menschen. Kreuz, Opfer und Blut sind nicht denknotwendig für die Erlösung von Menschen. Dass Gott mehr Optionen als den Kreuzesweg hatte und nicht im Dilemma steckte, zeigt nicht zuletzt der betende Jesus in Gethsemane (Markus 14,36). Das, was am Kreuz passierte, war eben noch nie „selbst-verständlich“, sondern „unerhört“ (1. Korinther 2,9). Der Weg Jesu ist nicht einfach ein logisches Produkt menschlichen Schlussfolgerns. Er kann daher gar als Torheit begriffen werden (1. Korinther 1,18ff). Es gilt, von Ostern her das Kreuz als heilsnotwendig zu begreifen, nicht aber als denknotwendig.
Das Kreuz stiftet Gemeinschaft
Wie aber kann man das Kreuz als notwendig für unsere Rettung, unser Heil, begreifen? Jesus selbst hat dies seinen Jüngern auf dem Weg nach Emmaus plausibel gemacht. Wie hat er selbst sein Leben und seinen Tod verstanden?
Jesus hat sein Leben einmal mit den Worten zusammengefasst: „Der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und sein Leben gebe als Lösegeld für viele“ (Markus 10,45). Lösegeldzahlungen erfolgen da, wo Rettung notwendig ist. Für Jesus besteht die notwendige Rettung darin, dass Menschen wieder in Gemeinschaft mit dem lebendigen Gott kommen und ihm nicht verloren gehen. Dem galt sein Dienst, indem er Menschen jeglicher Couleur Gottes Zuwendung schenkte. Dies ging nur, indem er die Abwendung der Menschen von Gott, ihre Sünde und Schuld, vergab und so Gemeinschaft wieder möglich machte.
“Diese grenzenlose Liebe Gottes hat die Kraft, unseren Unglauben und unser Misstrauen in sie zu überwinden.“
Gemeinschaft funktioniert nicht ohne Vergebung. Und Vergebung hat immer einen Preis. Zusammenleben kostet etwas: das Ertragen des anderen. Wir alle kennen das von
unseren Beziehungen. Wir tragen die Schwächen der anderen mit. Wir ertragen es, wo sie an uns schuldig werden. Das fängt schon damit an, dass wir unsere quengelnden Kinder nicht auf die Straße setzen. Bei uns Menschen hat jedoch die Liebe Grenzen. Wir wollen nicht Gemeinschaft um jeden Preis. Bei Gott ist das anders. Seine Lebenshingabe reicht sogar bis in den Tod. Nicht, dass Gott Blut sehen müsste. Aber er ist bereit, sein Blut zu spenden. Die Abendmahlsworte Jesu machen dies deutlich. Gott ist bereit, für den Bund mit uns sein Blut zu vergießen und sein Leben zu geben (Markus 14,24). Seine Liebe ist grenzenlos. Sie „hält allem Stand“ (1. Korinther 13,7).
Das Kreuz zeigt Gottes grenzenlose Liebe
Jesu ganzes Leben steht unter dem Vorzeichen dieser Liebe Gottes zu den Menschen (Johannes 3,16). Sie ist der Motor seiner Hingabe. Sie hat von Anfang an ihren Preis. Am Kreuz ist diese Liebe keine andere als in der Krippe. Aber erst am Kreuz erweist sich Gottes Hingabe als eine „bis zum Tod, ja zum Tod am Kreuz“ (Philipper 2,8), als eine „Liebe bis zur Vollendung“ (Johannes 13,1). Erst das Kreuz zeichnet diese Liebe als grenzenlos, als Feindesliebe, als Liebe, die nicht aufhört, die Arme offenzuhalten. Erst am Kreuz erfahren wir überzeugend, dass seine Zuwendung wirklich bedingungslos ist. Gott kündigt nicht seine Liebe angesichts unserer Sünde auf. Er reagiert nicht mit Liebesentzug oder Strafe auf sie. Deshalb ist das Kreuz für unsere Rettung notwendig.
Diese grenzenlose Liebe Gottes hat die Kraft, unseren Unglauben und unser Misstrauen in sie zu überwinden. Sie lässt glauben. Sie fragt uns: „Der auch seinen eigenen Sohn nicht verschont hat, sondern hat ihn für uns dahingegeben – wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?“ (Römer 8,32).
Dieser Artikel ist zuerst in der Zeitschrift Christsein Heute erschienen, die wie Jesus.de zum SCM Bundes-Verlag gehört.